Wie wirken Psychopharmaka?

Psychopharmaka sind psychisch wirksame Medikamente. Sie beeinflussen die biochemische Prozesse im Gehirn und bewirken dadurch eine Veränderung des psychischen Zustandes. Im Folgenden möchte ich einen Überblick und Basisinformationen über die Wirkungen der verschiedenen Psychopharmaka-Gruppen geben.

Psychopharmaka sind (je nach Substanz und Dosierung mehr oder weniger schwere) Eingriffe in die Gehirnchemie. Im Einzelfall muss zwischen dem erwünschten therapeutischen Effekt auf der einen Seite und den Nebenwirkungen, den Absetzerscheinungen und den Gefahren bei Überdosierung sehr sorgsam abgewogen werden. Eine Behandlung mit Psychopharmaka muss wenn irgendwie realisierbar immer mit einer Langzeit-Psychotherapie und falls erforderlich mit intensiver sozialer Beratung begleitet werden. Bei Kindern und Jugendlichen ist eine Behandlung mit Psychopharmaka besonders problematisch; sie muss meiner Meinung nach in jedem Fall durch Psychotherapie für das Kind und für die Familie begleitet werden.

Allgemeines zu den Wirkungsmechanismen von Psychopharmaka

Psychopharmaka wirken biochemisch im Gehirn an der Stelle, an der Nervenzellen miteinander verknüpft sind, den sogenannten Synapsen. Synapsen sind Schaltstellen zwischen den Nervenzellen. In unserem Gehirn gibt es ungefähr 100 Billionen Synapsen – das ist eine 1 mit 14 Nullen (siehe Abbildung unten).

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Synapse (Quelle: Wikipedia)

Die Leitung der Signale in den Nervenzellen selbst funktioniert elektrisch, die Übertragung der Signale von einer Nervenzelle auf die andere an den Synapsen funktioniert chemisch. An den Synapsen werden die Nervenimpulse durch Substanzen übertragen, die als Neurotransmitter bezeichnet werden.

Nach der Signalübertragung werden die Neurotransmitter sehr schnell von den Nervenzellen wieder aufgenommen und wiederverwendet. Wenn die Wiederaufnahme von Neurotransmittern durch Medikamente gehemmt wird, steigt deren Konzentration in den Synapsen an, und die Impulsübertragung zwischen den entsprechenden Nervenzellen wird gefördert.

Dasselbe geschieht, wenn bleispielsweise die Sensibilität der empfangenden Nervenzellen (Rezeptorzellen) durch ein Medikament erhöht wird, auch dann verstärkt sich die Signalübertragung an den Synapsen. Durch umgekehrt wirkende Medikamente wird die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen gebremst.

Medikamente gegen Depressionen

Medikamente gegen Depressionen (Antidepressiva) hemmen die Wiederaufnahme oder den Abbau von bestimmten Neurotransmittern und erhöhen so deren Konzentration in den Synapsen und verstärken die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen im Gehirn.

Die medizinische Schulmeinung geht davon aus, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Depressionen und der Konzentration vor allem des Neurotransmitters Serotonin im Gehirn gibt. Unter Fachleuten ist das allerdings umstritten. Strittig ist auch, ob Antidepressiva überhaupt antidepressiv wirken, ob sie auch bei leichten Depressionen wirken und wenn ja, auf welche Wirkmechanismen das zurückgeht. Manche Fachleute bestreiten, dass die Wirksamkeit von Antidepressiva durch kontrollierte Studien nachgewiesen wurde. Eigenartigerweise gibt es ein zugelassenes Antidepressivum, das den Serotoninspiegel im Gehirn verringert und nicht erhöht, und das dennoch angeblich gegen Depressionen hilft. Das lässt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Serotoninkonzentration im Gehirn und Depressionen zumindest zweifelhaft erscheinen. Unklar ist auch, warum die Wirkungen der Antidepressiva erst verzögert (nach ca. 2-4 Wochen) eintreten, weil ihre biochemische Wirkung eigentlich deutlich schneller eintreten sollte.

Antidepressiva sollen die Stimmung aufhellen und den Antrieb verbessern, damit helfen sie depressiven Patienten aus ihrer gedrückten Stimmung heraus und fördern, dass sie wieder aktiv werden, sich beschäftigen und engagieren.

Antidepressiva sind die mit Abstand am häufigsten verschriebene Psychopharmaka; sie gehören zu den am häufigsten verordneten Medikamenten überhaupt.

Außer bei Depressionen werden Antidepressiva eingesetzt bei

  • Angststörungen,
  • posttraumatischen Belastungsstörungen,
  • Zwangsstörungen,
  • psychisch bedingte körperliche Störungen,
  • chronische Schmerzen,
  • chronischer Müdigkeit,
  • Essstörungen,
  • Schlafstörungen,
  • Beschwerden während der Wechseljahre,
  • Persönlichkeitsstörungen,
  • Drogen- und Alkoholentzugssymptome.

Bei Kindern werden Antidepressiva eingesetzt bei

  • ADHS (Unaufmerksamkeit, Überaktivität, Impulsivität),
  • Problemen mit dem Sozialverhalten,
  • schweren Entwicklungsstörungen (z.B. Autismus, Asperger-Syndrom),
  • Beeinträchtigungen der sprachlichen Kommunikation (Mutismus),
  • Tics,
  • automatenhaft wiederholenden Bewegungen (Bewegungsstereotypien),
  • altersunangemessenem Einnässen, Einkoten.

Die Antidepressiva werden unterschieden nach dem Neurotransmitter, dessen Konzentration im Gehirn sie steigern. Je nach dem von welchen Neurotransmittern ein Antidepressivum die Konzentration in den Synapsen steigert, wirkt das Medikament anders und hat andere Nebenwirkungen:

  • Medikamente, die die Serotonin-Konzentration steigern, wirken vor allem emotional ausgleichend und stimmungsaufhellend, aktivierend und appetithemmend. Gleichzeitig hemmen sie das Sexualverlangen, die Erektion und die Ejakulation.
  • Wenn Sie die Noradrenalin-Konzentration steigen, wirken sie vor allem anregend und aktivierend
  • Wenn sie die Dopamin-Konzentration steigern, wirken sie vor allem motivations- und antriebssteigernd.

Die verschiedenen Antidepressiva haben zum Teil erhebliche Nebenwirkungen in unterschiedlichem Umfang, unter anderem

  • Gewichtszunahme,
  • Dämpfung, Ermüdung, Müdigkeit,
  • Mundtrockenheit,
  • sexuelle Funktionsstörungen (vermindertes Sexualverlangen, Erektions-/Ejakulationsstörungen),
  • erniedrigter Blutdruck, Blutdruckabfall beim Aufstehen,
  • Herzklopfen,
  • Schlafstörungen,
  • Herzrhythmusstörungen,
  • Kopfschmerzen,
  • Störungen der Blutbildung,
  • Übelkeit,
  • Appetitminderung,
  • Magen-Darm-Störungen,
  • Hautausschläge,
  • Schwitzen,
  • Störungen bei der Entleerung der Blase,
  • Sehstörungen,
  • Verstopfungen,
  • Benommenheit,
  • Gedächtnisstörungen,
  • Verwirrtheitszustände,
  • erhöhtes Selbstmordrisiko (vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen),
  • verminderte Reaktionsfähigkeit, Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit und der Fähigkeit Maschinen zu bedienen,
  • vor allem bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen: erhöhte Selbstmordgefahr,
  • bei Überdosierung: Vergiftungserscheinungen, Muskelstarre, Muskelzuckungen, gesteigerte Reflexe, Zittern, Bewusstseinstrübung, Desorientiertheit, Erregung, Verwirrung.

Nach der medizinischen Schulmeinung gibt es bei Antidepressiva kein Risiko einer Abhängigkeits-(Sucht-)Entwicklung; allerdings sind erhebliche Probleme beim Absetzen des Medikaments bekannt (was meines Erachtens auf das selbe hinausläuft):

  • Schwindel,
  • Gangunsicherheit,
  • Übelkeit,
  • Erbrechen,
  • grippeähnliche Symptome (Abgeschlagenheit, Gliederschmerzen),
  • Empfindungsstörungen (Hautempfindlichkeit, elektrisierende Empfindungen),
  • Schlafstörungen,
  • Reizbarkeit,
  • gedrückte Stimmung, Wiederkehren der Depressionen,
  • Unruhe,
  • Konzentrationsstörungen,
  • Gedächtnisstörungen,
  • Verwirrtheitszustände.

Gegen Depressionen werden manchmal auch bestimmte Medikamente gegen Psychosen (atypische Antipsychotika) verabreicht.

Medikamente gegen starke Stimmungsschwankungen

Patienten mit starken Stimmungsschwankungen (bipolaren Störungen) schwanken zwischen überdrehten (manischen) und depressiven Stimmungen. Medikamente gegen bipolare Störungen werden Stimmungsstabilisierer genannt.

Das bekannteste und verbreitetste dieser Substanzen ist Lithium, ein chemisches Element, das ausgleichend auf die Stimmung wirkt. Zu seinem Wirkmechanismus gibt es nur Vermutungen. Es wird in Form von Lithiumsalzen verabreicht.

Stimmungsstabilisierende Medikamente müssen jahrelang, oft sogar lebenslang genommen werden.

Häufige Nebenwirkungen von Stimmungsstabilisierern sind

  • Gewichtszunahme,
  • Kreislaufstörungen,
  • Koordinationsstörungen,
  • Hautveränderungen (Ausschläge),
  • Kopfschmerzen,
  • Magen-Darm-Beschwerden,
  • Zittern (Tremor) vor allem der Hände,
  • Denkstörungen,
  • Übelkeit,
  • Erbrechen,
  • Veränderungen des Blutbildes (Vermehrung der weißen Blutkörperchen),
  • Müdigkeit,
  • verstärkter Durst,
  • verstärktes Wasserlassen,
  • Durchfälle,
  • Unterfunktion der Schilddrüse,
  • Übersäuerung des Blutes (Azidose),
  • Nierenschädigung,
  • erhöhte Gefahr von Missbildungen des Embryos bei Einnahme während der Schwangerschaft,
  • bei höheren Dosen: Schläfrigkeit,
  • bei Überdosierung: Krämpfe, Koma.

Beim Absetzen von Lithium, besonders wenn es zu schnell abgesetzt wird, kann es kommen zu

  • Reizbarkeit,
  • Ängstlichkeit,
  • Unruhe,
  • labile Gemütslage,
  • Ausbruch einer manischen Phase.

Bei Kindern und Jugendlichen wirken stimmungsstabilisierende Medikamente deutlich weniger als bei Erwachsenen. Hier werden Stimmungsstabilisierer auch eingesetzt bei:

  • schweren Entwicklungsstörungen (Autismus, Asperger-Syndrom),
  • abnormen Gewohnheiten,
  • Impulsivität,
  • Verhaltensauffälligkeiten,
  • Störungen des Sozialverhaltens.

Gegen bipolare Störungen, besonders in der manischen Phase, werden auch Antidepressiva, Mittel gegen Epilepsie (Antiepileptika, Antikonvulsiva) und bestimmte Medikamente gegen Psychosen (atypische Antipsychotika) gegeben. Bestimmte Antidepressiva (trizyklische) sollen bei bipolaren Störungen nicht verwendet werden, weil die Gefahr besteht, dass sich die Phasen der Stimmungswechsel dadurch beschleunigen (bipolare Störung vom rapid-cycling-Typ).

Medikamente gegen Psychosen

Psychosen sind schwere psychische Störungen, die mit einem zeitweiligen Verlust des Realitätsbezuges einhergehen. Dazu zählen die Schizophrenien, aber auch manische und manisch-depressive sowie organische Psychosen (z.B. durch Hirnverletzungen, Schlaganfälle, Vergiftungen, hohes Fieber oder Epilepsie).

Medikamente gegen Psychosen (Antipsychotika, früher: Neuroleptika) wirken durch eine Verminderung der Empfindlichkeit der Sinnes-Nervenzellen (der Rezeptorzellen) im Gehirn. Sie dämpfen die Weiterleitung von Signalen im Gehirn vor allem durch Verringerung der Konzentration des Neurotransmitters Dopamin im Gehirn. Dadurch wird die Aktivität der geistigen Prozesse insgesamt verringert, ohne dass es unbedingt zu körperlichen Ermüdungserscheinungen kommen muss.

Antipsychotika werden hauptsächlich gegeben bei

  • den verschiedenen Formen von Schizophrenie,
  • manischen oder depressiven Wahnzuständen,

aber auch bei

  • Verhaltensstörungen aufgrund von Demenz,
  • schweren Entwicklungsstörungen (z.B. Autismus, Asperger-Syndrom),
  • neurologisch bedingten Geistesstörungen (z.B. infolge des Tourette-, Parkinson- oder Chorea-Huntington-Syndroms),
  • zur Verstärkung der Wirkung von Antidepressiva bei schweren Angst- oder Zwangssymptomen, sowie bei
  • schweren Persönlichkeitsstörungen,
  • Schmerzsyndromen,
  • Schlafstörungen.

Bei Kindern und Jugendlichen werden Antipsychotika außerdem gegeben bei

  • Essstörungen,
  • ADHS,
  • Störungen des Sozialverhaltens und
  • Bindungsstörungen.

Antipsychotika werden in der Regel langfristig gegeben, bei der ersten Entwicklung einer Psychose für mindestens ein Jahr, nach mehrmaligen Episoden aber auch für fünf Jahre und länger. Zum Absetzen von Antipsychotika wird ein sehr langsames Ausschleichen über viele Monate hinweg empfohlen.

Die meisten schizophrenen Patienten nehmen die Antipsychotika nicht im vorgeschriebenen Umfang oder über die vorgesehene Dauer hinweg ein. Daher werden Depotpräparate verabreicht, die nur alle 1-4 Wochen angewandt werden müssen.

Unterschieden werden herkömmliche (konventionelle) und neue (atypische) Antipsychotika. Sie unterscheiden sich in der Anwendungsbreite und in ihren Wirkungen und Nebenwirkungen.

Aufgrund erheblicher Nebenwirkungen erleben die meisten Patienten, die Antipsychotika einnehmen, ihre Lebensqualität als deutlich gemindert. Häufige Nebenwirkungen von Antipsychotika sind

  • starke Gewichtszunahme (sehr häufig),
  • Einschränkung der Fahrtüchtigkeit und der Fähigkeit Maschinen zu bedienen,
  • Unruhe,
  • Angstzustände,
  • Müdigkeit, Schläfrigkeit,
  • Schwindel,
  • Übelkeit,
  • vermehrter Speichelfluss,
  • Verminderung der weißen Blutkörperchen,
  • erhöhtes Risiko der Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, von Bluthochdruck und plötzlichem Herztod,
  • Gefahr der Entwicklung von Diabetes,
  • Depressivität,
  • Denkstörungen,
  • Schlafstörungen,
  • Probleme bei der Harnentleerung,
  • Verstopfung,
  • niedriger Blutdruck, Kreislaufstörungen,
  • Lichtempfindlichkeit,
  • Muskelschmerzen,
  • Nierenschädigungen,
  • Gleichgewichsstörungen mit erhöhtem Risiko von Stürzen v.a. im höheren Lebensalter,
  • bei Frauen: Ausbleiben der Regel, Austritt von Muttermilch,
  • bei Männern: Erektion-und Ejakulationsprobleme, Vergrößerung des Brustgewebes, selten: schmerzhafte Dauererektion,
  • vor allem bei klassischen Antipsychotika: Störungen des Bewegungsablaufs und der unwillkürlichen Bewegungen, Erhöhung oder Verminderung der Bewegungen, erhöhter oder verminderter Spannungszustand der Muskeln, Koordinationsstörungen, Muskelzucken/-zittern (extrapyramidales Syndrom) sowie Dämpfung, Müdigkeit, Konzentrationsminderung, selten Krampfanfälle,
  • bei Überdosierung oder zu schnellem Dosisanstieg: Delir,
  • nach langjähriger Einnahme vor allem von klassischen Antipsychotika: unwillkürliche Bewegungen (wiederholtes Ausstrecken der Zunge, Schmatzen, Grimassieren)
  • vor allem bei atypischen Antipsychotika: Gewichtszunahme, Fettleibigkeit, dadurch erhöhtes Risiko für Diabetes und Herzerkrankungen,
  • bei Kombination z.B. mit anregenden Antidepressiva: Erregungszustände bis hin zum Delir,
  • in Kombination mit Alkohol (v.a. in größeren Mengen): Wirkungsverstärkung bis hin zum Koma.

Die klassischen Antipsychotika führen bei ca. 30% der Patienten zu keiner und bei ca. 50% der Patienten nur zu einer teilweisen Besserung der Psychose. Vor allem die sogenannten Negativsymptome (Verflachung der Gefühle, Verarmung der Sprache, verminderter Antrieb, sozialer Rückzug) können mit herkömmlichen Antipsychotika kaum behandelt werden. Die neuen (atypischen) Antipsychotika sollen hier besser wirken.

Medikamente gegen Ängste

Medikamente gegen Ängste (Anxiolytika) wirken beruhigend, muskelentspannend und krampflösend, in gewissem Umfang auch schlaffördernd, manchmal auch stimmungsaufhellend bis euphorisierend.

Anxiolytika werden eingesetzt bei

  • Angststörungen,
  • Depressionen (als Begleitmedikation zu Antidepressiva),
  • akuten Psychosen, vor allem bei Manie oder psychotischen Starrezuständen (zusammen mit Antipsychotika),
  • vor Operationen zur Beruhigung und Angstminderung,
  • Schlafstörungen,
  • Krampfzuständen, z.B. Epilepsie oder spastischen Zuständen.

Die bekanntesten und am häufigsten verordneten Anxiolytika sind die Benzodiazepine (früher: Tranquillizer, z.B. Valium, Tavor). Benzodiazepine verstärken die Wirkung des hemmenden Neurotransmitters GABA, was sehr schnell zu einer geringeren Erregbarkeit des Nervensystems und damit zur Beruhigung führt.

Benzodiazepine haben eine sehr hohe Suchtpotenz, und ihre Einnahme geht mit großen Schwierigkeiten beim Absetzen einher. Diese Problematik wird dadurch massiv verstärkt, dass ca. 80% der Beruhigungsmittel von nicht psychiatrisch ausgebildeten Allgemeinärzten verschrieben oder auf dem Drogenmarkt erworben werden. Benzodiazepine dürfen daher nur in Notfällen Patienten mit Abhängigkeitsproblemen gegeben werden. Da die Abhängigkeit mit der Dosis und der Einnahmedauer steigt, soll ein Absetzen in der Regel nach 6 Wochen, spätestens aber nach 6 Monaten erfolgen. Zurzeit wird versucht, Benzodiazepine nach Möglichkeit durch moderne Antidepressiva zu ersetzen.

Benzodiazepine dürfen wegen der gegenseitigen Wirkungsverstärkung nicht zusammen mit Alkohol, Schlaf- oder Schmerzmitteln eingenommen werden. Ebenfalls dürfen sie nicht eingesetzt werden bei chronischen Lungenerkrankungen (Raucherlunge, Lungenemphysem), Herzschwäche, insulinpflichtiger Diabetes, verminderter Herzfrequenz, Herzrhythmusstörungen oder Arteriosklerose.

Nebenwirkungen von Benzodiazepinen sind

  • erhebliche Gefahr der Abhängigkeit, vor allem bei höheren Dosen und längerem Gebrauch, ganz besoders bei nichtmedizinischer Beschaffung auf dem Drogenmarkt,
  • starke Entzugserscheinungen,
  • Dämpfung, Müdigkeit, Schläfrigkeit,
  • Konzentrationsstörungen,
  • eingeschränkte Kritikfähigkeit, Gleichgültigkeit,
  • Wirkungsverstärkung mit Alkohol,
  • Koordinationsstörungen,
  • Störungen des Kurzzeitgedächtnisses (Amnesien),
  • Einschränkung der Fahrtüchtigkeit und der Fähigkeit Maschinen zu bedienen,
  • besonders bei älteren Menschen: paradoxe Reaktion mit Erregung, euphorischen Zuständen, Schlaflosigkeit, Aggressivität.

Beim Absetzen von Benzodiazepinen kann es kommen zu

  • Wiederauftreten der ursprünglichen Symptomatik (Angst, Unruhe, Schlaflosigkeit) in verstärkter Form,
  • Verwirrtheitszuständen,
  • Veränderung oder Verlust des Persönlichkeitsgefühls (Depersonalisation),
  • Veränderung oder Verlust des Gefühls für die Wirklichkeit (Derealisation),
  • psychotische nZuständen,
  • Verwirrtheit (Delir),
  • Depressionen,
  • emotionaler Verstimmung,
  • Vergesslichkeit,
  • Leistungsminderungen,
  • Muskelschwäche,
  • Verlust von Muskelreflexen,
  • Appetitverlust,
  • Verlust des sexuellen Verlangens,
  • Menstruationsstörungen,
  • eingeschränkter Kritikfähigkeit,
  • Wahrnehmungsstörungen, Sehstörungen,
  • Überempfindlichkeit gegenüber Geräuschen,
  • Schlafsucht,
  • Empfindungsstörungen,
  • Reizbarkeit,
  • Herzklopfen,
  • Blutdrucksteigerung,
  • Übelkeit, Erbrechen,
  • Schwitzen,
  • Zittern,
  • Kopfschmerzen,
  • Muskelverspannungen,
  • Muskelzittern oder -zuckungen,
  • Krampfanfälle,
  • erhöhtem Demenzrisiko.

Bei Überdosierung oder zu schneller Dosiserhöhung kann es kommen zu

  • einer Abflachung des Atems (Atemdepression),
  • Blutdruckabfall bis hin zum Herzstillstand.

Bei Kindern und Jugendlichen werden Benzodiazepine gegeben bei

  • Spannungs-, Erregungs- und Angstzuständen,
  • aggressiven Durchbrüchen vor allem bei ADHS, autistischen, posttraumatischen oder Angststörungen.

Auch bestimmte Medikamente gegen Allergien (Antihistaminika) sowie die meisten Antidepressiva haben in gewissem Umfang eine angstlösende Wirkung. Bei ihnen ist die Suchtpotenz deutlich geringer.

Medikamente gegen sexuelle Störungen

Zu den sexuellen Störungen zählen

beim Mann:

  • Erektionsstörungen,
  • vorzeitiger Samenerguss,
  • vermindertes oder mangelndes sexuelles Verlangen,
  • krankhaft erhöhtes bis aggressives Sexualverlangen.

bei der Frau:

  • vermindertes sexuelles Verlangen, Lustlosigkeit,
  • Mangel an Scheidenflüssigkeit,
  • verminderung der sexuellen Erregbarkeit,
  • Orgasmusstörungen.

Diese Probleme nehmen häufig mit zunehmendem Alter zu (bei Frauen nach den Wechseljahren, bei Männern etwa ab dem 60. Lebensjahr).

Bei Erektionsstörungen werden am häufigsten sogenannte PDE-5-Hemmer eingesetzt (die bekanntesten sind Viagra und Cialis). Sie führen zu einer Entspannung der Blutgefäße, die die Schwellkörper des Penis versorgen und damit zu einer Förderung der Erektion. Typische Nebenwirkungen sind

  • Kopfschmerzen,
  • Gesichtsrötung,
  • Schwindel,
  • Sehstörungen,
  • erhöhte Lichtempfindlichkeit.

PDE-5-Hemmer dürfen nicht von Patienten mit schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen, niedrigem Blutdruck, kürzlich erlittenen Schlaganfall oder Herzinfarkt oder mit schweren Leberstörungen eingenommen werden.

Bei frühzeitigem Samenerguss werden häufig Antidepressiva gegeben.

Als Mittel bei sexuellen Störungen werden manchmal auch Geschlechtshormone (bei Männern und Frauen Testosteron, bei Frauen Östrogen) gegeben. Die örtliche Anwendung von Östrogen in der Scheide kann die Produktion von Scheidensekret fördern. Die Anwendung von Geschlechtshormonen geht mit einem erhöhten Risiko für Krebs (besonders für Brust- und Prostatakrebs), Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfall einher.

Medikamente gegen die Wirkung von Geschlechtshormonen (Antiandrogene) werden, oft in Verbindung mit Antipsychotika, zur Minderung eines krankhaft erhöhten Sexualtriebs z.B. bei Sexualstraftätern, bei Straftätern mit stark erhöhtem Aggressionspotential oder im Verlauf einer Demenz eingesetzt. Sie wirken allerdings nur bei etwa der Hälfte der Patienten. Häufige Nebenwirkungen sind Gewichtszunahme, verminderter Antrieb und Depressionen.

Jugendlichen mit krankhaft gesteigertem sexuellen Verlangen oder sozial problematischen Neigungen zu sogenannten Perversionen werden häufig auch Antipsychotika und Antidepressiva verabreicht.

Für Frauen wird zurzeit ein Medikament erprobt, das zu einer Erhöhung der sexuellen Ansprechbarkeit und zur Steigerung des sexuellen Verlangens und der sexuellen Aktivität führen soll (Flibanserin). Die Wirkung ist fraglich und geht mit erheblichen Nebenwirkungen einher.

Medikamente gegen ADHS

Bei Störungen, die mit Überaktivierung und mit einer Verminderung der Aufmerksamkeit einhergehen (ADHS) werden (seltsamerweise) Anregungsmittel (Psychostimulanzien, Amphetamine) gegeben, die dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen. Das bekannteste und verbreitetste ist Ritalin. Ritalin und andere Amphetamine werden in erheblichem Umfang z.B. zur geistigen Leistungssteigerung z.B. an Schulen und Universitäten, aber auch als Partydroge (für nächtelanges Tanzen) missbraucht.

Anregungsmittel erhöhen die Konzentration des Neurotransmitters Dopamin im Gehirn, was zu einer Erhöhung der Aktivität des Nervensystems führt. (Warum das bei Menschen, die sowieso schon überaktiv sind, beruhigend wirkt, ist unbekannt.)

Typische Nebenwirkungen von ADHS-Medikamenten sind

  • Sucht-/Abhängigkeitsgefahr,
  • Appetitminderung,
  • Schlafstörungen,
  • Blutdruckerhöhung,
  • Herzklopfen.

Bei Kindern mit Störungen des Sozialverhaltens oder Schwierigkeiten bei der Impulskontrolle werden häufig zusätzlich Antipsychotika verabreicht.

Literatur

Wenn Sie mehr über die Wirkunsweise von Psychopharmaka erfahren wollen, können Sie folgende Standardwerke zu Rate ziehen:

  • Benkert, O., Hautzinger, M. & Graf-Morgenstern, M. (Hrsg.): Psychopharmakologischer Leitfaden für Psychologen und Psychotherapeuten. Heidelberg: Springer, 3. Auflage 2016
  • Benkert, O.: Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie. Heidelberg: Springer, 11. Auflage 2016
  • Benkert, O.: Pocket Guide Psychopharmaka von A bis Z. Heidelberg: Springer, 4. Auflage 2016

Werner Eberwein