Wie ist das Verhältnis von Involviertheit und Distanz?
Die zentrale Widerspruchsganzheit in der sich (wenn auch in asymmetrischer Weise) sowohl der Patient als auch der Therapeut als auch beide miteinander befinden, ist der Widerspruch zwischen emotionaler Involviertheit einerseits und reflektierender Distanz andererseits, zwischen interaktiver Musterwiederholung einerseits und ko-konstruierender Wahlfreiheit andererseits.
In der therapeutischen Beziehung ist emotionales Involviertwerden von Patient und Therapeut unvermeidbar, und die reflektierende Distanz beider ist unabdingbar. Beiden Beteiligten ist bewusst, dass sie sich in einer professionellen, formalisierten Dienstleistungsbeziehung befinden, dennoch sind beide zugleich auch reale Menschen, die unmittelbar emotional aufeinander reagieren und miteinander interagieren. Patient und Therapeut gestalten bewusst und kooperativ den therapeutischen Prozess und sind zugleich eingewoben in die Reaktivierung alter Beziehungsmuster.
Zwischen Patient und Therapeut entsteht eine besondere Form der Nähe, die durch die psychotherapeutische Distanz erst ermöglicht wird. Nur im Rahmen einer therapeutisch distanzierten und begrenzten Beziehung können sie sich so weit öffnen, wie das nur in einer Psychotherapie möglich ist. Die Patient-Therapeut-Beziehung ist professionell und interpersonell zugleich, ein professionelles Dienstleistungsverhältnis und gleichzeitig eine persönliche, intersubjektive Begegnung. Beide erleben sich als bewusst und zielorientiert Handelnde und absichtsvoll Gestaltende, aber zugleich auch als eingebunden in alte Beziehungsmuster und Reaktionserwartungen, die sich zunächst wie automatisch herstellen.
- Nur aufgrund einer selbstkritischen Distanz sind Patient und Therapeut in der Lage, sich auf die spezielle therapeutische Beziehung und den therapeutischen Prozess einzulassen.
- Nur aufgrund ihrer emotionalen Involviertheit können sie erkennen, wovon sie sich überhaupt reflektierend distanzieren müssen.
Patient und Therapeut als Menschen und in ihren Funktionsrollen sind vielschichtig und vieles zugleich. Beide sind Gestaltende und Gestaltete, Kreative und Wiederholende, Freie und Gefangene, Agierende und Reflektierende, frei Handelnde und Automatismen Ausgelieferte.
Dabei sind die Probleme und Themen des Patienten immer Gegenstand, Ausgangs- und Mittelpunkt der Sitzungen. Seine Fragen und Dynamiken stehen stets im Zentrum, während der Therapeut über eine geschulte Fähigkeit zur reflektierenden Zurückhaltung seiner Impulse und Bedürfnisse verfügen sollte.
Werner Eberwein