Wie funktioniert hypnotische Konfliktmoderation?

Dialogische Hypnotherapie

Dialogische Hypnotherapie ist keine Technik, sondern ein Paradigma, also ein grundlegendes Verständnis des hypnotherapeutischen Prozesses. Im naiven, traditionellen Verständnis ist Hypnose eine Einbahnstraße: Der Patient schildert kurz seine Probleme, dann setzt er sich entspannt hin, der Therapeut versetzt ihn in Trance, suggeriert ihm seine Probleme weg und weckt ihn wieder auf. Beeinflusst durch die unrealistischen, spektakulären Darbietungen von Showhypnotiseuren im Fernsehen, die durch einen Schein von Macht und Manipulation Eindruck schinden und Geld scheffeln, stellen sich immer noch auch viele Patienten Hypnotherapie so vor.

Im dialogischen Verständnis dagegen entwickelt sich der hypnotherapeutische Prozess dagegen auf kooperative Weise durch ein Aufeinander-Bezugnehmen von Patient und Therapeut, während sich der Patient in Trance und der Therapeut in Co-Trance befindet. Gegenstand dieses Dialogs ist die Auseinandersetzung des Patienten mit Anteilen seiner eigenen Psyche, die ihm Schwierigkeiten bereiten und unter denen er leidet. In Trance findet eine innere Auseinandersetzung (ein Dialog) des Patienten mit diesen Anteilen unter Hinzuziehung anderer, abgewehrter oder ressourcenvolle Anteile statt. Dabei ist auch der Therapeut sowohl mit inneren Resonanzprozessen auf das Erleben des Patienten, als auch mit ressourcenvollen (z.B. intuitiven) Anteilen seiner selbst in Kontakt (in Dialog).

Die primäre Aufgabe des Hypnotherapeuten in der dialogischen Hypnose ist es, den inneren Dialog des Patienten zu moderieren. Dieser findet nicht nur auf einer verbalen Ebene (als inneres Selbstgespräch) statt, sondern auch in anderen Modalitäten, z.B. durch Fühlen, Imaginieren, Träumen oder ähnliches. Typisch für hypnotische Therapie ist es, dass sich der Patient während dieser Auseinandersetzung in einem vertieften Entspannungs- und Versenkungszustand befindet, was es ihm ermöglicht, einen direkteren Zugang zu seiner Innenwelt, zu seinen Fantasien, Intuitionen, Gefühlen usw. zu finden. Die Selbstauseinandersetzung des Patienten kann sogar weitgehend dissoziativ, also in Tieftrance stattfinden – auch dann finden Prozesse statt, die als innere Auseinandersetzung oder dialogische Integration bezeichnet werden können.

Dialogische Techniken in der Hypnotherapie sind auch deswegen besonders wertvoll weil nach übereinstimmenden epidemiologischen Studien Persönlichkeitsstörungen in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr zunehmen. Mit Borderline-, narzisstische, posttraumatischen, schizoiden, dissozialen und andere Persönlichkeitsstörungen haben Psychotherapeuten in der Praxis sowohl in ihren schweren Formen („Low-Level“-Persönlichkeitsstörungen) als auch in ihren leichten Formen („High-Level“-Persönlichkeitsstörungen) sehr viel und zunehmend zu tun.

Manche Hypnotherapeuten neigen dazu, im Rahmen einer hypnotischen Kurzzeittherapie das zu behandelnde Problem sehr weit zu fokussieren und damit den diagnostischen Blickwinkel sehr stark einzuengen, so dass zugrunde liegende Persönlichkeitsdaten weitgehend ausgeblendet bleiben. Das führt dann nicht selten bei den Patienten zu einer Serie sequenzieller Kurzzeittherapien („Methode XY habe ich auch schon gemacht, Methode AB auch schon ausprobiert, Methode CD ebenfalls – hat mir alles ein bisschen geholfen aber letzten Endes dann doch nicht.“)

Persönlichkeitsstörungen (andere Bezeichnung: Strukturstörungen) zeigen sich vor allem in Form von interpersonellen Konflikten vor allem in nahen und ganz besonders in intimen, partnerschaftlichen und familiären Beziehungen. Häufig sind diese Dynamiken ich-synton, werden also von den Patienten nicht als eigenes Problem erkannt. Die Patienten erleben die daraus resultierenden Probleme häufig als etwas, was ihnen geschieht, und womit sie nichts zu tun haben (z.B. „Ich werde gemobbt“) oder somatisiert (z.B. „Mein Problem sind meine Rückenschmerzen“). Patienten mit Strukturstörungen leiden sehr häufig an Beziehungskonflikten oder an Beziehungslosigkeit („Ich finde seit vielen Jahren keinen Partner, der zu mir passt“).

Die Arbeit mit gegenwärtigen oder vergangenen interpersonellen Konflikten ist ein zentrales Thema in Psychotherapien. (Ich schätze, dass ich in den 33 Jahren meiner psychotherapeutischen Praxis mindestens zwei Drittel der Therapiezeit mit interpersonellen Konflikten meiner Patienten beschäftigt war.) Daher sind Dialogtechniken, besonders solche, die sich zur Konfliktmoderation eignen, wichtig und hilfreich für Psychotherapien jeder Methode, also auch für die Hypnotherapie.

Außer in der Psychotherapie können dialogische Techniken auch im hypnotischen Coaching angewandt werden. Hier geht es vor allem um Lebensperspektiven, beispielsweise um ein angemessenes Verhältnis von Arbeit und Freizeit, um Berufswünsche, Gehaltsforderungen, Kompetenzübernahmen, neue Positionen und ähnliches. All das wird in interpersonellen Verhandlungen mit Vorgesetzten, Kollegen, Gremienvertretern usw. ausgehandelt. Damit gehen meistens auch intrapersonelle Ambivalenzen einher (z.B.: „Traue ich mir diesen neuen Job überhaupt zu?“, „Will ich das wirklich?“, „Was wird meine Frau/mein Mann dazu sagen, wenn ich noch mehr arbeite/weniger verdiene?“ usw.) Die Arbeit mit äußeren oder inneren Konflikten ist also ein zentrales Thema auch im Hypno-Coaching.

In der hypnotischen Konfliktmoderation geht es also um Vermittlung in Konflikten, sowohl zwischen dem Patienten und anderen Personen, als auch zwischen Persönlichkeitsanteilen im Patienten selbst. Die Methode kann entweder

  • äußerlich“, d.h. im Hypnodrama-Stil mit Stuhl-, Kissen oder sonstigen Raum-Ankern oder
  • innerlich“ in vertiefter Entspannung und Versenkung, gegebenenfalls mit Berührungsankern

… durchgeführt werden.

Die Ankertechnik

Um die Technik der hypnotischen Konfliktmoderation zu verstehen, muss man sich zuerst bewusst machen, was  hypnotherapeutischer Anker sind, wie sie etabliert und wozu sie genutzt werden können. Unter einem Anker versteht man in der modernen Hypnotherapie einen konditionierten Auslöser, der den Zugang zu einem psychischen Zustand erleichtert. Es handelt sich dabei nicht um mechanische Automatismen (wie das von manchen NLP-Vertretern verstanden wird), sondern um konditionierte Assoziationen.

Im Psychodrama ist es beispielsweise üblich, den Mitgliedern einer Gruppe Rollen zuzuweisen (bspw. „der Patient“, „die Mutter des Patienten“, „die Frau des Patienten“, „der Sohn des Patienten“ und „der Blick von außen“). Die Teilnehmer können dann in verschiedene Rollen schlüpfen. Beispielsweise kann ein Patient, der gerade einen Konflikt mit seiner Frau erlebt, diesen Konflikt aus der Rolle seiner Frau, seiner Mutter oder seines Sohnes erleben. Die Rollen des Psychodramas sind somit an verschiedene Personen geankert, wobei diese Ankerungen gezielt verändert werden können. Wenn sich der Patient bspw. in seine Frau hineinversetzt, als diese spricht und handelt, ermöglicht ihm das, einen Zugang zu vertiefter empathischer Einfühlung in seine Frau, die ihm ohne die Rollenidentifizierung nicht ohne weiteres möglich wäre. In diesem Fall dient also der Rollen-Anker dazu, einen empathischen Zugang zum Fühlen und Erleben seiner Frau zu erleichtern.

In der Gestalttherapie wird primär mit intrapsychischen Dialogen gearbeitet, also mit Auseinandersetzungen zwischen Persönlichkeitsanteilen. Der oben genannte Patient mit einem Ehekonflikt könnte in der Gestalttherapie beispielsweise seine Wut auf seine Frau auf einen Stuhl imaginieren, seine Angst sie zu verlieren auf einen anderen Stuhl und dann unter Anleitung des Therapeuten einen Dialog zwischen diesen beiden Anteilen führen. In diesem Fall sind Persönlichkeitsanteile („Ich-Zustände“) des Patienten an die Stühle geankert. Wenn sich der Patient auf den „Wut“-Stuhl setzt, kann er sich unter Anleitung des Therapeuten in seine wütenden Gefühle hineinversetzen und aus diesen heraus mit seinen „Angst“-Anteilen auf dem anderen Stuhl kommunizieren.

In einer dialogischen Hypnose finden Ankerungsprozesse in der imaginativen Szenerie einer mittleren hypnotischen Trance statt. Der Patient befindet sich in einem traditionellen Trance-Setting. Er sitzt oder liegt in Entspannung und Versenkung und imaginiert (bzw. träumt) sich in einen inneren Dialog hinein, in dem er zeitweise in seine Frau „hineinschlüpft“, sich also mit ihr identifiziert und dadurch einen vertieften empathischen Zugang zu ihren Gefühlen und Bedürfnissen erhält, um dann durch mehrfache imaginative Rollenwechsel in Trance einen empathischen Dialog zwischen sich selbst und seiner Frau auszuarbeiten. Analog kann er sich in Trance in Anteile seiner eigenen Person hineinversetzen und einen imaginierten Dialog zwischen diesen führen.

Hypnotische Konfliktmoderation setzt ein Basiskonzept zur Moderation von intrapersonalen oder interpersonalen Konflikten voraus. Dieses wird von der Hypnose-Theorie selbst nicht zur Verfügung gestellt und muss aus anderen Verfahren übernommen werden. Ich gehe aber davon aus, dass gut ausgebildete und erfahrene Psychotherapeuten über solche Konzepte verfügen, und dass diese sich, auch wenn sie aus verschiedenen Ansätzen stammen, möglicherweise nicht sehr voneinander unterscheiden:

  • Eine relativ einfache (und doch schwer zu praktizierende) Variante der Konfliktmoderation wird von dem in Vietnam geborenen buddhistischen Mönch Thich Nhat Hanh in seinem Buch „Achtsam sprechen – achtsam zuhören“ beschrieben. Im Wesentlichen handelt es sich um die Beschreibung einer Haltung der liebevollen Achtsamkeit dem anderen gegenüber mit der Bereitschaft, seinem Befinden und besonders seinem Leiden mitfühlend zuzuhören.
  • Sehr ähnlich ist das Konzept des „Aktiven Zuhörens“, das auf den Begründer der Personzentrierten Gesprächspsychotherapie Carl Rogers, zurückgeht, das aus empathischem Verstehen und begleitendem Rückmelden besteht.
  • Ein deutlich komplexeres, verhaltensorientiertes Konzept auf Basis einer pazifistischen Philosophie hat der amerikanische Psychologe Marshall Rosenberg unter der Bezeichnung „Gewaltfreie Kommunikation“beschrieben. Darin geht es um das Erreichen liebevoller Verbundenheit zwischen den Konfliktparteien durch empathischen Dialog auf der Ebene von Gefühlen und Bedürfnissen.

Wenn man sich von einem anderen Menschen verletzt fühlt, ist die spontane Reaktion oft Ärger und Wut. (Meiner Meinung nach ist das ein Teil unseres phylogenetischen Erbes aus der Steinzeit: Ein anderer Höhlenbewohner knurrt mich von der Seite an, ich hole meine Keule heraus, haue sie ihm auf die Rübe, Ende der Diskussion.) Wenn man wütend ist, ist man scheinbar stark und weniger verletzbar. Man hört nicht zu, sondern spricht laut (also dominant), in der Regel in Form von Anklagen („Du bist ein Egoist!“) oder Unterstellungen („Dir geht es doch immer nur um dich!“).

Ein entscheidender erster Schritt in der Konfliktmoderation (aber der schwierigste) besteht darin, von aggressiven Anklagen und Unterstellungen weg zu einer Kommunikation über die hinter den harten Attacken stehenden, „weichen“ Gefühlen und Bedürfnissen zu kommen. Diese sollten wenn möglich als „Ich-Botschaften“ kommuniziert werden. Eine Falle, in die man hier leicht hineintappt, besteht darin, einen Satz mit z.B. „Ich fühle …“ zu beginnen und dann eigentlich eine Aussage über den anderen zu machen, z.B.:

  • „Ich fühle von mich von dir nicht verstanden.“
  • „Ich habe das Gefühl, du interessierst dich nicht für mich.“
  • „Ich fühle mich von dir missachtet.“

Ich nenne diese Sprechweise projektiv, weil es sich um Sätze handelt, die, obwohl sie mit „Ich fühle“ beginnen, eigentlich projektive Aussagen über die andere Person sind, die in der Regel als Anklagen oder Unterstellungen fungieren. Die oder der Sprechende redet hier gar nicht über sich, sondern auf indirekte Form über den anderen, was der Annäherung im Konflikt natürlich nicht gerade zugutekommt.

Hypnodrama

Um sich in die Hypnodrama-Technik der Konfliktmoderation einzuarbeiten, ist es am einfachsten, zunächst mit einem „äußeren“ Setting im Psychodrama-Stil zu beginnen, und die Übung anschließend in ein traditionelles Hypnose-Setting in Tiefentspannung zu übertragen. In der „äußeren“ Variante werden zunächst drei räumliche Anker aufgebaut (z.B. Stühle, Kissen, Decken, Stofftiere oder ähnliches) für:

  • die Patientin/den Patienten
  • die Person, mit der die/der Patient-/in einen Konflikt hat und
  • die Meta-Position.

Anstelle von zwei Personen kann die Konfliktmoderation wie erwähnt auch mit zwei Anteilen der Persönlichkeit der Patientin/des Patienten durchgeführt werden.

Nehmen wir an, es handelt sich bei dem Patienten um einen Mann, der zurzeit einen schwierigen Konflikt mit seiner Frau hat.

Als Vorübung kann der Therapeut den Patienten zunächst anleiten, sich auf eine neutrale Position („Meta“) zu dissoziieren, um den Konflikt von außen betrachten zu können. Diese Übung nenne ich:

Die Gardinenstangentechnik

  1. Der Patient begibt sich zunächst auf einen Anker (Kissen, Stuhl, Decke oder Ähnliches), der „ihn selbst“ in dem Konflikt mit seiner Frau symbolisiert. Ihm gegenüber befindet sich der Anker, der seine Frau symbolisiert. Der Patient wendet sich seiner Frau zu. Der Therapeut leitet ihn auf suggestive Weise an, seine Frau „dort drüben“ zu imaginieren und in sich selbst hineinzuspüren, wie sich die Konfliktsituation mit ihr in diesem Moment anfühlt.
  2. Danach leitet der Therapeut den Patienten an, sich auf den Anker für die „Meta-Position“ zu begeben, auf der er gleichsam einen Abstand zu der Konfliktsituation hat, quasi „darübersteht“. Metaphorisch kann diese Position z.B. verglichen werden mit einem Falken, der hoch oben über den beiden Kontrahenten schwebt und die Situation „von oben“ distanziert beobachtet. Auch die Metapher eines Blickwinkels „von der Gardinenstange“ ist oft hilfreich (vor allem, wenn man wie ich, als Kind einen heißgeliebten Wellensittich als Haustier hatte).
  3. Der Therapeut leitet den Patienten an, von Meta (also z.B. „von der Gardinenstange“), also aus einer dissoziierten Position heraus, die Situation „dort unten“ zwischen diesem Mann und dieser Frau anzuschauen mit der Frage: „Was passiert da eigentlich?“, „Worum geht es eigentlich/in Wirklichkeit?“
  4. Anschließend wird der Patient angeleitet, die dissoziierte Meta-Position wieder zu verlassen und die Informationen, die er aus der Dissoziation über den Konflikt erhalten hat, „mitzubringen“.

Der Wechsel von einer Ankerposition zur anderen hilft dem Patienten, sich von seinen „wilden“ Gefühlen von Schmerz, Wut, Angst, Schuld usw. in der Konfliktsituation zu dissoziieren, um einen Abstand zu dem Konfliktgeschehen zu finden, von dort aus besser verstehen zu können, worum es bei dem Konflikt eigentlich geht, und um sich in der Fortführung der Übung besser in das Gegenüber (in diesem Fall in seine Frau) hineinversetzen zu können.

Anschließend kann diese Übung im Hypnose-Setting, also im Sitzen oder Liegen in vertiefter Entspannung und Versenkung wiederholt werden, wobei der Patient die Ankerwechsel jetzt in seiner Trance-Welt fantasiert. Der Therapeut leitet ihn dazu hypnosuggestiv an und kann dabei den Patienten zum Ankern an bestimmten Stellen seines Körpers berühren („Körper“- oder „Berührungsanker“), zum Beispiel:

  • An der linken Schulter des Patienten kann beispielsweise sein unmittelbares Erleben im Konflikt mit seiner Frau geankert werden.
  • Durch eine Berührung am Kopf kann beispielsweise die Meta-Position geankert werden.

Auf diese Weise kann das hypnotische Dissoziieren in Therapien mit Patienten sehr einfach und wirkungsvoll aufgebaut werden.

Die Identifikationstechnik

Nun sind die Voraussetzungen dafür gegeben, den Patienten durch eine hypnotische Konfliktmoderation hindurchzuführen. Auch das kann zweistufig realisiert werden:

  • zuerst „äußerlich“ mit räumlichen Ankern (Stühlen, Kissen o.ä.),
  • dann „innerlich“ in Tiefentspannung (und gegebenenfalls mit Berührungsankern).

Der Prozess kann zu Übungszwecken in sieben Schritte unterteilt werden:

  1. Wieder leitet der Therapeut den Patienten zunächst in sein imaginatives Erleben des Konflikts mit seiner Frau im Hier und Jetzt des Therapieraums hinein.
  2. Dann leitet er ihn suggestiv an, sich aus der Situation in eine Meta-Position hinein zu dissoziieren, um besser erkennen zu können, worum es bei dem Konflikt eigentlich geht.
  3. In einem nächsten Schritt leitet der Therapeut den Patienten suggestiv und mithilfe von Ankertechniken an, sich in seine Frau hineinzuversetzen.

Bei diesem Schritt geht es nicht darum, Vermutungen über das Befinden der Frau anzustellen, oder sich empathisch in sie einzufühlen, sondern sich per hypnotischer Identifikation „als“ die Frau wahrzunehmen und zu spüren, gleichsam gleichsam in sie „hineinzuschlüpfen“, mit ihren Augen die Welt zu sehen und sich in ihr subjektives Erleben der Situation hineinzuversetzen.

Die größte Schwierigkeit bei diesem Schritt besteht darin, dass im Konflikt die andere Person in der Regel zunächst als „Karikatur“ bzw. als „Monster“, also als aggressiv, verschlossen, zickig, zurückgezogen oder Ähnliches wahrgenommen wird. Eine wichtige Hypothese bei der hypnotischen Konfliktmoderation lautet aber, dass das aggressiv-distanzierte Äußere der anderen Person (und des Patienten selbst) nur eine reaktive Erscheinungsform darstellt, um sich vor schmerzhaften und empfindsamen Gefühlen zu schützen.

Der Patient braucht hier oft viel geduldige hypnosuggestive Unterstützung und Begleitung, um durch die „monströse“ Maske, als die er seine Frau zunächst wahrnimmt, hindurchzufühlen und um sich identifizierend hineinfühlen zu können, wie die Frau in ihrem Inneren die Situation subjektiv wahrnimmt, also Kontakt mit ihrem inneren Leiden und ihrer Bedürftigkeit aufzunehmen und sich mit diesem hypnotisch zu identifizieren.

  1. Wenn es dem Patienten gelingt, in das subjektive Erleben seiner Frau identifizierend „hineinzuschlüpfen“, befragt der Therapeut den Patienten in der Rolle seiner Frau nach „ihrem“ Erleben der Situation:
    – „Was fühlst du als X [Name seiner Frau]?“
    – „Was brauchst du als X?“
    Seiner Intuition folgend kann der Therapeut diese Fragen weiter detaillieren oder weitere Fragen hinzufügen, beispielsweise nach der biografischen Geschichte des Problemerlebens „in“ der Frau des Patienten usw.
  2. Dann lädt der Therapeut den Patienten ein, „als“ seine Frau „ihrem Mann dort drüben“ mitzuteilen, was sie in dem Konflikt empfindet bzw. wie sie ihn empfindet und was sie braucht (Gefühle und Bedürfnisse).
  3. Dann kann der Therapeut den Patienten suggestiv einladen, die Identifikation mit seiner Frau wieder zu verlassen, sich kurz zu dissoziieren, um aus der Identifikation mit der Frau gut herauszukommen und sich dann wieder in sich selbst „hineinzuschlüpfen“, und seine Frau „dort drüben“ zu sehen und zu hören, was sie ihm gerade gesagt hat.
  4. Nun fragt der Therapeut den Patienten selbst nach seinen Gefühlen und Bedürfnissen:
    – „Was fühlst du?“
    – „Was brauchst du?“
    … usw., und bittet ihn, dies in wörtlicher Rede „seiner Frau dort drüben“ mitzuteilen.

Durch mehrfache Rollenwechsel entsteht ein empathischer und selbstempathischer Dialog auf der Ebene der Gefühle und Bedürfnisse, der gut geeignet ist, Beziehungskonflikte zu lösen.

Die Hypothese, die hinter diesem Konfliktlösungsmodell steckt, ist, dass es, vor allem im persönlichen, privaten Bereich, bei Konflikten häufig gar nicht primär um die Durchsetzung bestimmter Forderungen geht, also gar nicht hauptsächlich darum, etwas Bestimmtes unbedingt erreichen zu wollen oder zu müssen, sondern vielmehr vor allem darum, dass man vom anderen verstanden werden will und in der Lage sein will, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse ihm gegenüber angemessen auszudrücken, also beim anderen „anzukommen“, so dass er einen  versteht.

In Streitsituationen ist der empathische Dialog durch wechselseitige Verletzungen und daraus resultierenden Ärger und Rückzug zunächst blockiert, kann aber durch die beschriebene Technik wieder in Gang gebracht werden. Die grundlegende Hypothese dieser Technik lautet:

In einem Streit will man im Grunde nur eines: verstanden werden!

Werner Eberwein