Wie funktioniert Hypnose und Selbsthypnose bei Krebs?

Hypnotherapie ist Psychotherapie in Trance mit Hilfe von suggestiver Kommunikation. Wir unterscheiden drei Bewusstseinszustände, die jeder Mensch kennt und täglich erlebt: den normalen Wachzustand, den Schlaf und ein Bündel von veränderten Bewusstseinszuständen, die wir als „Trance“ bezeichnen.

In Trance ist man weder wach noch schläft man. Der Unterschied zwischen Trance und Schlaf zeigt sich darin, dass die Patienten in Trance auf die Suggestionen der Therapeuten reagieren. Das tut ein Mensch nicht, wenn er schläft. Der Unterschied zwischen Trance und Wachzustand ist, dass man in Trance empfänglicher für Suggestionen wird. Wir sind auch im Wachzustand „suggestibel“ – aus diesem Grund geben Unternehmen horrende Summen für Werbung aus. In Trance sind wir aber noch offener für Suggestionen. Hypnotherapeuten arbeiten daher mit diesen veränderten Bewusstseinszuständen.

Der Therapeut führt seinen Patienten durch Suggestion in einen Trancezustand. In den vergangenen Jahrhunderten glaubte man, dass es sich dabei um etwas Magisches handelte, z.B. um Energieübertragung oder Ähnliches. Heute wissen wir, dass Suggestion einfach eine spezielle Kommunikationsform ist. Worte werden auf eine bestimmte Weise formuliert und auch die Stimmlage spielt eine Rolle. Außerdem kann man Imaginationen (bildhafte Vorstellungen) benutzen, um eine Trance einzuleiten. Sie erleichtern dem Patienten das Hinübergleiten in den Trance-Zustand.

Durch die Tranceinduktion werden die Patienten in Trance geführt. Suggestion führt also in Trance, und in Trance sind die Patienten empfänglicher für Suggestion. Auf diese Weise werden die Patienten allmählich immer tiefer in die Trance hineingeleitet. Am Ende werden sie auf umgekehrte Weise wieder aus der Trance herausgeführt.

Es gibt unterschiedliche Formen von Trance:

  • Manche KollegInnen gehen davon aus, dass alle psychischen Störungen pathologische Formen von Trance sind.
  • Trancezustände können drogeninduziert sein, z.B. durch halluzinogene Substanzen.
  • Ekstatische Trancezustände können wir z.B. bei Naturvölkern im Rahmen ihrer religiösen und Heilungsrituale beobachten.
  • Kathartische Trancen werden manchmal z.B. bei bestimmten Formen therapeutischer Körperarbeit erlebt.
  • Bei Handlungstrancen schaut es so aus, als seien die Betroffenen wach, obwohl sie sich innerlich in einer anderen Realität befinden. Man findet diese Zustände z.B. in gestalttherapeutischen Rollenspielen oder beim Familienaufstellen.
  • In der Hypnotherapie arbeiten wir in der Regel mit Entspannungstrancen: Der Patient ist in einem entspannten und versunkenen, nach innen gewandten Zustand.

Viele Menschen stellen sich den Übergang in die Trance so vor, als ob man mit einem Schalter das Licht ausschaltet. Sie meinen, der Mensch könnte mit einem Fingerschnipsen augenblicklich in Trance versetzt werden – tatsächlich ist das in aller Regel nicht so. Der Übergang in die Trance hinein ist ein kontinuierlicher Prozess. Sie können ihn mit einem Dimmer vergleichen, mit dem Sie eine Lampe allmählich dunkler oder heller machen. Man versinkt also vom Wachzustand allmählich in die Trance hinein und kehrt aus der Trance allmählich wieder zurück.

Trancezustände sind gekennzeichnet durch gedämpfte Kontrollfunktionen des alltäglichen Wachbewusstseins. Das ist psychotherapeutisch sinnvoll, wenn das Bewusstsein durch seine gewohnten Gedankenabläufe den therapeutischen Fortschritt hemmt. In Trance werden autonome Prozesse aktiviert, latente Bewältigungsfähigkeiten und Verarbeitungsressourcen werden zugänglich und können auf das zu bearbeitende Problem angewandt werden.

Trancezustände können auf unterschiedliche Weise eingeleitet werden. In der Literatur findet man einige 100 Induktionstechniken beschrieben. Manche sind sehr einfach, andere ziemlich komplex. Wer das Grundprinzip der Tranceinduktion einmal verstanden hat, kann auch selbst eigene Induktionstechniken erfinden. Um zu lernen, wie das funktioniert, muss man eine gründliche, seriöse Ausbildung absolvieren. Sie basiert auf einer psychotherapeutischen oder medizinischen Grundausbildung.

  • Hypnose ist Vertrauenssache: Ein Patient lässt sich vom Hypnotiseur nur dann in eine Trance führen, wenn er ihm vertraut. Generell müssen Patienten sich darauf verlassen können, dass die Hypnose nur im Sinne des hippokratischen Eids in ihrem besten Interesse angewendet wird, so wie das eigentlich bei allen therapeutischen Verfahren erwartet werden darf.
  • Hypnose ist Übungssache: Jeder Therapeut kann das Hypnotisieren erlernen. Und jeder Patient kann lernen, in Trance zu gehen. Ebenso wie sich jeder Mensch das Klavierspielen aneignen kann – auch wenn manche dafür wohl begabter sind als andere.
  • Hypnose ist Kooperation: Ein fruchtbarer hypnotherapeutischer Prozess besteht nicht primär darin, dass die Hypnotherapeuten etwas mit den Patienten machen. Hypnose ist Zusammenarbeit, nicht nur auf der bewussten Ebene, sondern auch zwischen dem Bewusstsein und dem Unbewussten beider.

Manche psychischen Anteile kann das Bewusstsein nicht ertragen, sie müssen daher vom Bewusstsein abgespalten oder von anderen psychischen Anteilen getrennt gehalten werden. Wir sprechen dann von Dissoziation. In Trance kann man sich solchen abgespaltenen Anteilen behutsam nähern, so dass sie zugänglich, erfahrbar und verarbeitbar werden. Das Unbewusste beinhaltet nicht nur Verdrängtes, auch latente Fähigkeiten („Ressourcen“) können in Trance aktiviert werden, um sie zur Bewältigung anstehender Probleme einzusetzen.

Ob ein Mensch hypnotisierbar ist, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Einige dieser Faktoren liegen auf der Seite des Patienten. Wichtig ist vor allem seine Motivation. Es wesentlich einfacher, Patienten in Trance zu führen, die daran ein starkes Interesse haben, z.B. weil sie sich in einer Notlage befinden oder Hilfe bei einer akuten Krankheit brauchen. Auch Erfahrungen der Patienten mit Entspannungsübungen, Meditation oder Yoga erleichtern die Trance. Andere Faktoren liegen auf Seiten der Therapeuten. Erfahrene Hypnotherapeuten verfügen über eine Vielfalt von Techniken, die sie kreativ den individuellen Vorlieben und Abneigungen der Patienten anpassen können. Daher fällt es ihnen leichter, Menschen in eine Trance zu führen als weniger erfahrene Kollegen. Auch die Beziehung zwischen Therapeut und Patient ist bedeutsam. Patienten lassen sich besser in Trance führen, wenn sie ihren Therapeuten wertschätzen, ihm vertrauen und sich von ihm geschützt, verstanden und gut begleitet fühlen, wenn sie von ihm in der Hypnose behutsam und respektvoll behandelt werden.

Viele Patienten und auch manche Kollegen denken, dass eine therapeutisch wirkungsvolle Trance möglichst tief sein muss, doch das ist in der Regel nicht der Fall. Für die meisten therapeutischen Anwendungen sind leichte bis mittlere Trancezustände ausreichend. Mit den modernen Hypnosetechniken nach Milton Erickson kann praktisch jeder Mensch – wenn er das möchte, in einen Trancezustand geleitet werden, der für die Hypnotherapie ausreichend tief ist.

Hypnotherapie ist immer dann sinnvoll, wenn auch andere Formen von Psychotherapie sinnvoll wären, also bei allen psychischen oder psychosomatischen Problemen. Hypnotherapeutische Methoden werden oft mit anderen therapeutischen Verfahren kombiniert, beispielsweise mit Psychoanalyse, Tiefenpsychologie, Verhaltenstherapie, Körperpsychotherapie, Gestalttherapie, Psychodrama oder auch mit Tanz, Trommelarbeit oder anderen künstlerischen und Ausdrucksmedien.

  • Psychotherapeuten lindern mit Hilfe von Hypnotherapie psychisches Leid, z.B. bei Ängsten, Depressionen, Zwängen, psychosomatischen Störungen, Persönlichkeitsstörungen usw.
  • In der Medizin werden hypnotherapeutische Methoden z.B. zur Vorbereitung oder während Eingriffen oder invasiver Diagnostik genutzt, beispielsweise bei Magen- oder Darmspiegelungen, zur Geburtsvorbereitung oder vor und während Operationen.
  • Zahnärzte versetzen ihre Patienten in Trance, damit sie die Zahnbehandlung als etwas Angenehmes erleben. Mithilfe der Hypnotherapie können sie Patienten behandeln, die unter Zahnarztphobie leiden oder Angst vor Spritzen haben.
  • Es ist möglich, mit Hypnose akute oder chronische Schmerzen zu lindern oder auszuschalten, man spricht dann von „Hypnose-Anästhesie“.
  • Praktisch alle denkbaren Operationen wurden schon unter Hypnose ohne chemische Betäubungsmittel durchgeführt, z.B. Zahnextraktionen, Gallenblasenoperationen, Kaiserschnitte, Augenoperation usw.

Die Wirksamkeit der Hypnotherapie kann als wissenschaftlich nachgewiesen gelten. Im Jahr 2006 hat Prof. Revenstorf von der Universität Tübingen im Auftrag der hypnotherapeutischen Fachgesellschaften DGH und MEG eine Expertise vorgelegt. Sie umfasste 71 RCT-Studien mit über 5.000 Patienten. Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie der Bundespsychotherapeuten- und -ärztekammer hat das Dokument als Nachweis der Wirksamkeit von Hypnotherapie als Methode akzeptiert.

Besonders gut erforscht ist ihre Anwendung zur Raucherentwöhnung. Eine Untersuchung an der Universität Tübingen vergleicht Hypnotherapie mit Verhaltenstherapie. Das Ergebnis ist überzeugend: Nach sechs Monaten waren noch 22,6 % der verhaltenstherapeutisch behandelten Patienten Nichtraucher, von den hypnotherapeutisch behandelten waren 48,1% weiterhin abstinent. Etwa die Hälfte der Patienten konnte also mithilfe der Hypnotherapie die Nikotinsucht längerfristig loslassen.

Zu behaupten, Hypnose könne Krebs heilen, wäre vermessen und unseriös. Für eine solche Behauptung gibt es keinerlei wissenschaftliche Nachweise. Bei Krebs stellen leider immer noch Operation, Bestrahlung und/oder Chemotherapie mit all ihren zum Teil schweren Nebenwirkungen die zurzeit aussichtsreichste Behandlung dar. Diese Verfahren sollten aber durch sinnvolle Methoden der Komplementärmedizin und durch Psychotherapie ergänzt werden. Hier haben sich Hypnose und Selbsthypnose sowie Imaginations- und Meditationstechniken bewährt. Hypnose und Selbsthypnose kann psychische und psychosomatische Dynamiken beeinflussen und eine gesunde Lebensweise fördern. Dies kann zu einer verbesserten Lebensqualität führen und Selbstheilungsprozesse fördern.

Nachweislich kann Hypnose und Selbsthypnose die Lebensqualität von Krebspatienten verbessern und die medizinischen Behandlungen leichter erträglich werden lassen. Leider hat sich die klinische Forschung bisher noch kaum damit befasst, ob und inwieweit Hypnose und Selbsthypnose einen Einfluss auf die Krebserkrankung selbst haben. Es ist also zurzeit ungeklärt, ob Hypnose und Selbsthypnose dazu beitragen können (z.B. durch Aktivierung des Immunsystems) das Fortschreiten einer Krebserkrankung zu verzögern oder zu verhindern, Rezidiven vorzubeugen oder Selbstheilungsprozesse bei Krebs zu fördern. All das müsste in aufwändigen Studien untersucht werden. Leider haben die Sponsoren solcher Studien (häufig aus der Pharmaindustrie) kein Interesse daran, herauszufinden ob Hypnose den Krebspatienten helfen kann.

Soweit wir heute wissen, entsteht Krebs über einen längeren Zeitraum hinweg durch pathologische Mutation von Zellen. Unterschiedliche Risikofaktoren sind nachweislich am Entstehen und an der Entwicklung von Krebs beteiligt:

  • genetische Disposition (familiäre Belastung),
  • Gifte (vor allem Rauchen und Alkohol sowie andere Drogen, aber auch Gifte in Nahrungsmitteln und in der Umwelt (z.B. Feinstaub),
  • ungesunde Ernährung (übermäßiges Essen, Junkfood, zu viel Zucker, Fett und Salz),
  • Strahlenbelastung (Radioaktivität, Röntgenstrahlen, exzessive Sonnenbestrahlung oder Höhensonne),
  • bestimmte Viren (z.B. das Humane Papillomvirus HPV),
  • psychische Faktoren, die das Immunsystem schwächen (z.B. massiver und anhaltender Dysstress, schwere Verlusterfahrungen oder Traumata).

Hypnose und Selbsthypnose können einen heilungsfördernden und Rezidiv-vorbeugenden Einfluss auf diese Faktoren haben und das Immunsystem stärken. Mit ihrer Hilfe können belastende Erfahrungen verarbeitet werden, die psychische Ausgeglichenheit wird unterstützt und die Fähigkeit zu stabilen und Halt gebenden Beziehungen gefördert. Ebenso können durch Hypnose ungesunde Abhängigkeiten gemindert werden, die das Entstehen und Wiederkehren von Krebs begünstigen – insbesondere Rauchen und Alkohol, aber auch krankheitsfördernde zwischenmenschliche Bindungen. Die Gewohnheiten können in Richtung einer gesunden Ernährung und Lebensweise gelenkt werden. Das hat einen positiven Effekt auf die körpereigene Abwehr und somit auf den Krebsheilungsprozess bzw. die Rezidiv-Prophylaxe.

In den 1960er Jahren hat der US-amerikanische Radio-Onkologie Carl O. Simonton Selbsthypnose-Übungen für Krebspatienten entworfen. Diese wurden zwischenzeitlich erheblich weiterentwickelt. Sie stehen heute auch in Form von Selbsthypnose-CDs zur Verfügung.

Werner Eberwein