Was versteht man unter der/den inneren Kritiker*in?

In der Psychologie versteht man unter der/dem innere*n Kritiker*in eine innere Stimme oder Gedankeninstanz, die eine Person ständig bewertet, kritisiert oder abwertet. Er ist wie ein*e innere*r Kommentator*in, der Schwächen betont, Fehler übertreibt und hohe, oft unrealistische Erwartungen stellt.

Typische Merkmale der/des innere*n Kritiker*in:

  • Selbstabwertung: „Das war wieder typisch für mich – ich krieg nichts auf die Reihe.“
  • Perfektionismus: „Wenn es nicht perfekt ist, ist es nichts wert.“
  • Vergleiche mit anderen: „Alle anderen schaffen das, nur ich nicht.“
  • Angst vor Ablehnung: „Wenn ich das sage, lachen mich alle aus.“

Die/der inner*e Kritiker*in entsteht oft in der Kindheit durch strenge Erziehung, Kritik oder übernommene gesellschaftliche Normen. In einem gesunden Maß kann er helfen, sich weiterzuentwickeln oder Fehler zu reflektieren. Doch wenn er zu dominant wird, führt er zu:

  • geringem Selbstwertgefühl
  • Angststörungen
  • Depressionen
  • Blockaden oder Selbstsabotage

In vielen Therapien (z. B. in der Gestalttherapie oder der Schematherapie) lernt man, die/den innere*n Kritiker*in zu erkennen, mit ihm in Dialog zu treten und ihn durch eine*n innere*n Unterstützer*in oder einen freundlicheren Anteil zu ergänzen. Ziel ist es, mit sich selbst wohlwollender und konstruktiver umzugehen.

Übung: Dialog mit der/dem innere*n Kritiker*in:

1. Kritische Stimme identifizieren

Therapeut: „Schließe für einen Moment die Augen und erinnere dich an eine typische Situation, in der du dich selbst kritisiert hast. … Frage dich:

  • Was hat die/der innere Kritiker*in gesagt?
  • Wie klang ihre/seine Stimme? (streng, spöttisch, kalt…?)
  • Welche Gefühle kamen dabei in dir auf?“

Beispiel: ‚Du bist zu langsam, du wirst das nie schaffen.‘

Oder:

  • ‚Du bist zu dumm.‘
  • ‚Alle anderen sind besser als du.‘
  • ‚Du darfst keine Fehler machen.‘

Gefühl: Scham, Hilflosigkeit

2. Ein*e Mentor*in finden

Imaginiere an einem anderen Ort ein*e Mentor*in die/der in dieser Situation helfen kann: (z.B.: ein*e Lehrer*in in der Schule:)

Therapeut: (führt die/den Patientin/Patienten an einen anderen Ort:)

„Geh in Trance in deine*n Mentor*in hinein: … Wie heißt die/der Mentor*in mit Vornamen, was hat sie/er für eine Haarfarbe, ist sie/er oder dünn oder Mittel, wie groß ist sie/er …“

(Der Therapeut spricht mit der/dem Mentor*in mit Vornamen:)

Therapeut: „Was sagt die/der X zu dem innere*n Kritiker*in?“

… … …

Therapeut: (führt die/den Patientin/Patienten in die Position zurück, die er selber hat:)

Reagiere auf das, was der Mentor zu dem inneren Kritiker gesagt hat.“

… … …

Reflexion:

  1. Wie fühle ich mich jetzt?
  2. Was hast du gelernt?
  3. Was würdest du in deinen Alltag davon mitnehmen?

Werner Eberwein