Was ist Wahnsinn?
Werner Eberwein
Werner Eberwein
(Ich habe das nach dem Diplom mit Ende 20 geschrieben, als ich im Psychiatrie-Beschwerde-Zentrum war, noch vor meinen Psychotherapieausbildungen.)
Kein Ding ist durch eine einzige Ursache bestimmt. Was ist die Ursache des Regens? … oder von Musik? Die linear-logische, kausale Denkweise (Ursache => Wirkung) wird uns zu eng. Zu Newtons Zeiten kannte man noch wenig von der Welt. Das Wissen war nur punktuell, für jede Erscheinung hatte man gleich die Ursache parat. Aber im Zeitalter des systemischen Denkens verschwimmen uns die Begriffe. Selbst Newtons berühmter Apfel ist kaum noch zu erkennen hinter dem Gestrüpp unseres immer umfsssender werdenden Wissen über ihn in seinen vielfältigen Beziehungen. Wenn wir uns tiefer auf die – bald harmonischen, bald wirren – lebenden Verflechtungen einlassen, mit denen wir in der Realität sind, werden sie ab einem bestimmten Punkt regelrecht verrückt. Die alten logischen Grundfragen, wie die Frage nach der Herkunft des Universums oder nach dem Verhältnis von Ich und Gehirn, enden heute alle in Paradoxien.
Das Nicht-Denken ist wiederentdeckt. Nicht mehr hemdsärmelig stehen wir da, als Handwerker der Welt, sondern staunend, umringt von Rätseln, und können uns nur von der unerhörten Absonderlichkeit beeindrucken lassen, daß in uns ein Teil des Seins Bewußtheit seiner selbst erlangt hat. Das Tabu gegen die Weltsicht der „Verrückten“ ist brüchig geworden. Die Schatten, von denen die Irren besessen sind, beginnen auch in ganz normalen Köpfen zu spuken. Wenn die schärfste Vernunft in letzter Konsequenz ihr Gegenteil hervortreibt, wenn die herkömmliche Wissenschaft in die Absurdität hineinreicht, dann erscheint die Welt selbst als „widersprüchlich“, „zerfahren“ – eben so wie das Denken der Verrückten. War in den Jahrhunderten nach Newton noch die Dampfmaschine das Modell, wie die Welt funktioniert, so ist es heute eher die Vorstellung von einem Hypernetz, einem allseits verflochtenen, schwingenden Ökosystem.
Die alten Selbstverständlichkeiten greifen nicht mehr. Sicherheit verschwimmt zu Wahrscheinlichkeiten, Gegensätze berühren sich in Oszillationen. Die Vernunft beginnt, ihren mechanischen Formalismus zu überwinden. Die Wissenschaft schaut neugieriger in das hoch geladene Chaos des Wahnsinns, wirft verstohlene Blicke über die Mauer, wie um sich an ihrer Negation zu bereichern. Die Irren rücken uns näher, die Fremdheit wird interessant.
Wir verwenden alltagssprachliche oder medizinischen Begriffe wie „verrückt“ oder „schizophren„, und meinen, weil wir Worte haben, wüssten wir auch, wovon wir sprechen. Ich glaube, daß wir erst ganz am Anfang einer brauchbaren Begriffsbildung für diesen Bereich sind. Ich zweifle dagegen sehr am Wert der psychiatrischen Diagnostik. Ich möchte mit einigen Überlegungen darüber beginnen, wie eigentlich das entsteht, was man als „unkontrollierte Trance-Realität“ oder als „negative Transzendenz“ bezeichnen könnte, also der Wahnsinn.
Unsere natürlichen und sozialen Lebensumstände fordern von frühester Kindheit an, daß wir lernen, Teile unserer Lebendigkeit, unserer spontanen Lebensäußerungen zurückhalten oder wegschieben zu können. Eigentlich geht das aber gar nicht, denn die Gefühle werden von innen her immer wieder aufgeladen und fordern so oder so ihr Recht. Letzten Endes können wir unsere Impulse nicht wegmachen. Wir alle haben diese Konflikte zwischen „ich möchte“ und „ich darf nicht“, zwischen „ich brauche“ und „ich kriege nicht“ in uns. Eine entfremdete Gemeinschaft steht im Widerspruch zu jedem einzelnen ihrer Mitglieder.
Diese Konflikte lösen sich nie ganz. Das individuelle Glück ist immer nur momentan. Das Leben pendelt zwischen Glück und Leid, zwischen Erfüllung und Widerstand, Wachstum und Absterben, Lust und Schmerz, Kontakt und Einsamkeit. Jeder sucht auf seine Weise das Positive und meidet das Negative. Die persönliche Lebensweise, die dadurch entsteht, ist immer in Bewegung, sie gelingt immer und mißlingt immer.
Lust und Schmerz sind nur im Doppelpack zu haben.
Wir können nur ein bestimmtes Quantum an Leid ertragen (an Schmerz, Traurigkeit, Angst, Verwirrung, Enge, Einsamkeit, Auflösung usw.). Wenn es zu viel wird, spalten wir es ab. Jeder hat da seine spezielle Methode:
- körperliches Einkapseln (psychosomatische Symptome),
- Projektion nach außen (Ängste),
- Kontaktvermeidung/Abhängigkeit (Beziehungsprobleme),
- Bremsung der Energieproduktion (Depressionen),
- Chemie (Drogen),
- zwanghafte Überaktivität (Streß) usw.
Eine weitere Möglichkeit der Abspaltung von Leid ist es, den Kontakt zur Realität zu verändern, d.h. die Wahrnehmung, Empfindung und Deutung der Wirklichkeit zu verschieben. Wo die innere Lebenswelt schlimm genug ist, kann das Leiden, das daraus folgt, subjektiv betrachtet, immer noch besser sein, als in der selben Wirklichkeit zu leben, wie alle anderen.
Das geschieht besonders dann, wenn jemand sehr früh eine ganze Provinz seiner Persönlichkeit, ein ganzes Subsystem von Gedanken, Handlungen, Gefühlen und körperlichem Energiefluß so vollständig unterdrücken mußte, daß sich dieser Anteil überhaupt nicht mehr äußern konnte. Die Lebensenergie fließt weiter in diesen Komplex, er wird energetisch aufgeladen, es entsteht eine immer höhere Spannung, die aber abgespalten bleibt.
Die eingekapselte Ladung muß ständig durch eine psychische Gegenbewegung festgehalten, eingesperrt und totgemacht werden. Wenn die Integrität des Ich auf solidem Fundament steht, kann es solche Spannungen halten. Die Person ist dann lediglich ambivalent, zwanghaft oder vermeidend. Wenn jemand aber gerade zu der Zeit seiner Entwicklung, als das Selbstbewußtsein, das „Ich“, entstanden ist, in hoch aufgeladene, verdrillte Double-Bind-Beziehungen verwickelt war, ist das Identitätsbewußtsein später anfällig für Auflösungserscheinungen.
Wodurch kann in der Kindheit die Identität geschwächt und gleichzeitig der Kontakt zu einem ganzen Komplex von energetischen Impulsen blockiert werden? Diese Frage ist mit Blick nur auf das Individuum nicht zu lösen. Es handelt sich um ein soziologisches Phänomen, um eine Verstrickung in der sozialen Struktur, in der ein Mensch aufwächst, insbesondere in seinem Familiensystem.
Im Gleichgewicht seiner Familienbeziehungen ist der Lebensweg des Verrückt-Werdenden die einzig mögliche Verarbeitung einer paradoxen Erlebnisumwelt. Einerseits agiert seine Familie als Ganzes wie ein einziges Lebewesen, das das Anders-Sein eines Mitgliedes wie eine Amputation eines Körperteiles erleben würde. Andererseits werden gerade durch die Symbiose die unvermeidbar auftretenden Konflikte zwischen den Familienmitgliedern ins Extrem getrieben: Abweichungen von den versteinerten Familienrollen dürfen nicht sein. Sie werden in einen Bereich jenseits des Denkbaren gedrängt und mystifiziert.
Verbotene Strebungen des Kindes werden nicht eigentlich unterdrückt, sondern schon vor jedem Bewußtsein in ein Abseits gedrängt, wo sie sich unter Abschluß von Kontakt aus inneren Subsystemen Persönlichkeits-Bruchstücke zusammenfinden, die latent bleiben und isoliert in den Tiefen des Unbewußten um die Übernahme der Kontrolle über die Person konkurrieren. Diese alternativen Persönlichkeiten machen sich dann später z.B. als „Stimmen“, „Halluzinationen“, „psychotische Zwänge“ u.ä. bemerkbar.
Die Interaktion der Eltern mit dem verrückt werdenden Kind ist eigenartig verdreht, sie steckt in „seltsamen Schleifen„, so daß das Kind in einem doppelsinnigen aber sich ausschließenden Kontakt mit den Eltern gleichzeitig ein „ich-bin-ich“ und ein „ich-bin-nicht-ich“ entwickelt. Die Energie, die aus dem Unbewußten für die Kontrolle des Selbst zur Verfügung steht, die Ich-Kraft, wird gespalten – die Identität wird instabil. Zwischen Ich und Nicht-Ich (lebbaren und nicht-lebbaren Anteilen) entsteht eine Sollbruchstelle, die als Ventil der Familienpsychose fungiert. Der Verrückt-Werdende agiert, was in der Familie keinen Platz hat. Er hat die äußere Familienstruktur verinnerlicht, sie wird zum Modell seiner Fassaden-Identität. Gerade die Über-Stabilität und Über-Angepasstheit, die Starrheit und Zwanghaftigkeit der schizogenen Familie als Ganzes treibt als ihr notwendiges Gegengewicht ein Mitglied hervor, aus dem herausquillt, was im System nicht leben darf.
Auf der allerfrühesten Stufe besteht dieses System noch nicht aus der ganzen Familie, sondern im Wesentlichen aus dem Körper der Mutter, denn das heranreifende Kind ist zuerst nur ein Teil von ihr. Der Körper der Mutter wird später zum Inbegriff für die „Welt überhaupt„. So wie der Mutter-Körper sich angefühlt hat (schon von innen, aus dem unbegreifbar symbiotischen Erleben des Embryo), so wird später das allem Erleben zugrunde liegende Weltgefühl aussehen. Dabei spielt natürlich das emotionale Verhältnis der Mutter zu ihrer Schwangerschaft eine entscheidende Rolle, und wir können nur vermuten, wie sich z.B. erzwungene Schwangerschaften oder Abtreibungswünsche auf das im Bauch wachsende Kind auswirken.
Der schärfste Konflikt entsteht wohl, wenn die Mutter das Kind nicht will, und es eigentlich „wegmachen“ möchte, es dann aber, aus welchen Gründen auch immer, trotzdem zur Welt bringt. Mutter und Kind leben für lange Zeit in einer biologischen und emotionalen Symbiose, und wenn in diese Symbiose Tötungswünsche eindringen, dann entsteht schon früh eine existenzielle Spaltung im Kern der Identität dese Kindes, dann kommt das Ich des Kindes sozusagen erst gar nicht zur Welt. Die „paradoxe Symbiose“ lässt das Kind nie aus der Mutter heraus und vernichtet gleichzeitig seine Identität. In Worte verwandelt lautet die nonverbale Botschaft an das Kind: „Wir sind eins, aber Du bist nichts.“
- Eine erfüllte symbiotische Beziehung zwischen Eltern und Kind hinterlässt im Erwachsenen eine Freude an momentanen Verschmelzungserlebnissen.
- Bei einer ungelösten Symbiose verbleibt ein chronsiches Bedürfnis nach Regression.
- Die paradoxe Pseudo-Symbiose produziert eine Spaltung des Ich.
Wenn der gespaltene Erwachsene später in eine Situation kommt, in der er über längere Zeit viel Kraft für die Kontrolle divergierender Umweltimpulse einsetzen muß, wenn er sich zwischen widersprüchlichen Bedürfnissen verheddert, wenn er unter starkem Streß steht, (z.B. durch Überarbeitung, Prüfungsstreß, Beziehungsprobleme), dann wird die alte Ich-Schwäche durch die aktuelle Verwirrungen wieder aktiviert, und das instabile Ich wird in Vibration versetzt. Wenn der Stress stark genug ist, verliert das Identitätsbewußtsein seine Form. Der abgespaltene, psychotische Komplex drängt nach oben, der Betreffende wird diffus erregt, er kann nicht mehr schlafen. Die Ladung des Abgespaltenen wird stark und stärker, der energetische Auftrieb aus dem Unbewußten nimmt zu, die Kraft des Bewußtseins zur Selbststeuerung nimmt ab. Schließlich bricht die Mauer zum Bewußsein, die gestaute Energie überflutet das Ich und drängt ins Leben genau in der uralten, traumhaften, primärprozeßhaften Form, in der sie im Unbewußten mitunter für Jahrzehnte aufbewahrt war.
Im so genannten „psychotischen Schub“ können mitunter lustvolle Erlebnisse, Offenheit und Sensibilität nach oben kommen, meist aber sind es bedrohliche, aggressive Bilder. Dennoch mag es vielleicht überraschend sein, daß manche Verrückte ihren Wahnsinn nicht leidend erleben, sondern als eine wunderbare Erfahrung und Befreiung, als „endlich wirkliches Leben“. Als Leiden empfinden viele vielmehr den Zwang zur Normalität. Ähnliche Prozesse sind auch bei ganz „normalen“ Menschen bekannt,
- wenn sich die körperenergetische Ladung erhöht (Hyperventilation),
- wenn das Ich durch Krankheit geschwächt ist (Fieber),
- im Schlaf (Traum),
- bei freier energetischer Entladung (Orgasmus),
- wenn der Umweltkontakt blockiert ist (Isolationstank),
- durch psychische Beeinflussung (Hypnose),
- bei erzwungener Schlaf- bzw. Traumlosigkeit (Halluzinationen),
- unter extremem Streß (Gehirnwäsche),
- unter halluzinogenen Drogen (LSD, Mescalin),
- bei selbstrückbezüglicher Aktivität (Meditation),
- wenn der Panzer sich löst (Körpertherapie).
Dann wird zuweilen auch ein völlig Normaler (absichtlich oder unabsichtlich, kontrolliert oder unkontrolliert, für einen Moment oder länger) „verrückt„, d.h. die Ich-Struktur wandelt sich:
- Bei Experimenten mit einer Veränderung des Atem-Musters, wie sie im Rebirthing oder in dem von Grof entwickelten Holotropen Atmens angewandt wird, können sehr schnell sehr tiefe und eigenartige, halluzinationsähnliche Bilder auch aus den tiefsten, psychotischen Schichten ins Bewußtsein kommen und man findet sich vorübergehend in fremden Bewußtseinszuständen wieder.
- Fieberträume können ungewöhnlich intensiv werden und bei offenen Augen und in teil-wachem Bewußtsein die Realität überlagern.
- Im Traum sind wir ganz selbstverständlich in anderen Welten eingetaucht, mit anderen und manchmal ständig wechselnden Identitäten.
- Im Moment eines nicht blockierten Orgasmus sind wir in einem veränderten Bewußtseinszustand, der in der Regel (nicht immer) als lustvoll und ekstatisch erlebt wird.
- In einem Isolationstank („Samadhi-Tank„) können Fantasien als Realität erlebt werden, weil die realen Reize weitgehend ausgeschaltet sind.
- In Hypnose kann man Sinneswahrnehmungen, Umwelterleben und die persönliche Identität suggestiv verändern.
- Wenn jemand einige Tage am Schlaf gehindert wird, stellen sich Halluzinationen im Wachzustand ein – ebenso wenn zwar der traumlose Tiefschlaf möglich ist, die Versuchsperson aber immer geweckt wird, wenn sie träumt.
- Unter extremem körperlichen, emotionalen und sozialen Streß, wie er z.B. gezielt zur Gehirnwäsche angewandt wird, kann die Identität zerbröckeln.
- Halluzinogene Drogen können (vor allem in höheren Dosen) unkontrollierbare Bilder erzeugen.
- Durch tiefe Meditation kommen wir in Kontakt mit trans-realen Erlebnisbereichen.
- In der Körpertherapie sind wir – vor allem in tief regressiver oder stark energetischer Arbeit – bisweilen in einer anderen Welt.
Dies sind Zustände, die qualitativ einer Psychose ähneln mit dem Unterschied, daß sie relativ kontrolliert sind und nach kurzer Zeit von selbst verschwinden, wenn sich das Ich wieder in seine Lenkungsposition einreguliert hat.
Die Inhalte einer Psychose, die sogenannten „Wahnvorstellungen“ sind in den selben Räumen angesiedelt, wie die oben genannten außernormalen Bewußtseinszustände. Sie stammen aus den verschiedensten Landschaften und Tiefenschichten des Unbewußten. Manche Verrückte sind an einer bestimmten Stelle des Unbewußten kleben geblieben, und leben in einer fixen, starren Sonderrealität, die in sich immer gleich bleibt. Andere springen innerhalb weniger Minuten zwischen den Schichten und Orten des Unbewußten hin und her.
Wir sind derzeit noch weit von einer Kartografie des Unbewußten entfernt. Wir wissen weder, wie groß der Bereich des Unbewußten, der grundsätzlich bewußt gemacht werden könnte, überhaupt ist, noch haben wir eine einheitliche Terminologie für die verschiedenen Bereiche zur Verfügung.
Freuds Begriffe reichen biografisch maximal bis in die Zeit zurück, als das Kind schon einige Monate alt war. Der davor liegende Bereich ist der zentrale Inhalt der post-freudianischen psychoanalytischen Erforschung der so genannten „Frühstörungen„. Es gibt Hinweise darauf, daß es prägende Einflüsse schon während des Geburtsvorganges und sogar aus der Zeit im Mutterleib gibt. Die traditionelle Medizin lehnt zwar die Möglichkeit einer Erinnerung an die Geburt oder an die Zeit davor ab, weil in diesem Alter die leitenden Nervenbahnen noch nicht myelinisiert seien. Ich habe jedoch in körpertherapeutischen Sitzungen schon oft Situationen gesehen und auch selbst erlebt, die mich durchaus an die Möglichkeit eines Wiedererlebens von Erfahrungen während der Geburt und im Mutterleib denken lassen.
Wie sich der Bereich, den Jung das „kollektive Unbewußte“ nannte, sowie Reichs biologische Reflexe, die im Yoga bewußtseinsfähigen Organfunktionen, Grofs transpersonale Bilder, Dürckheims transzendente Erfahrungen, die Symbole der schamanistischen Naturmystik, Erlebnisse außergewöhnlicher Wahrnehmungs-Sensitivität und die vielen anderen inneren Welten dazu verhalten, ist für die Psychologie heute noch immer ein großes Rätsel. Ich kann hier nur andeuten, daß es natürlich äußerst schwierig ist, in diesem Bereich zwischen „wirklichen“ Erfahrungen, Projektionen, hysterischem Aufbauschen und einfacher Einbildung zu unterscheiden.
Das Unbewußte ist ein großes Labyrinth, und nur für bestimmte Ausschnitte dieses Labyrinthes haben wir Wegepläne zur Verfügung. Aber auch diese Karten stimmen in ihrem Abbildungsmodus nicht miteinander überein, so daß wir sehr wenig über die Grenzen, Übergänge und Beziehungen der verschiedenen Abteilungen des Unbewussten zueinander wissen.
Verrückte haben sich in diesen Räumen verirrt, mancher von ihnen ist von den Wundern dieser Räume fasziniert. Während wir in Therapie und Meditation kontrolliert die verzwickten Kellerräume der Psychoe betreten können, die unter dem Wohnzimmer unseres Ich liegen, steht uns im Verrückten der Inhalt dieser Räume ungefiltert in Persona gegenüber. Der Verrückte ist mit Inhalten des Unbewussten identifiziert. Während in dynamischen Therapien ein kontrollierender Ich-Kern gezielt in das Unbewußte eintaucht, sich von Abgewehrtem „im Dienste des Ich“ durchdringen lässt und wieder auftaucht, sehen wir in einem Irren eine ganze Landschaft des Unbewußten unmittelbar zum Leben erwacht. Daher trifft den Verrückten die selbe feindselige Abwehr, mit der wir uns auch nach innen gegen die Gespenster verteidigen, in denen wir dem Irren verwandt sind.
Unsere Ausrichtung auf die Normen der Gemeinschaft hat begonnen, als wir zum ersten Mal den Atem anhalten und Muskeln anspannen mussten, um Gefühle zurückzuhalten. Ohne es zu merken, tun wir das auch heute immer weiter. Mit unserer energetischen Körperpanzerung klammern wir uns an den nährenden und strafenden Regeln der Gemeinschaft fest und halten uns überschäumende Emotionen vom Leib.
In der Körpertherapie arbeiten wir daran, den emotionalen Körperpanzer und aufgelöste, verschwommene Ich-Strukturen allmählich in eine flexible Kontaktgrenze umzuwandeln. Dabei kommen wir unweigerlich in Kontakt mit dem Irrationalen. Das neurotischen Gleichgewicht wird destabilisiert, und dann kriegt der Patient (manchmal auch der Therapeut) Angst.
Wenn in der Therapie ein energetischer Stau (ein Abwehrkomplex) berührt wird, der noch nicht bewußtseinsfähig ist, dann empfinden wir Angst und reagieren instinktiv mit einem Fluchtreflex. Es wird uns dann „zu viel“, wir „möchten am liebsten wegrennen“. In einer solchen Situation verwenden wir alle unsere erlernten Kontrollmechanismen, um die aufkeimende Erregung schnellstmöglich abzutöten:
- erstarren,
- in Trance gehen,
- zum Kind werden
- hektische Überaktivität,
- drüber weg reden,
- intellektualisieren,
- weglaufen,
- einen Streit anfangen,
- einschlafen,
- krank werden,
usw..
Diese Situationen erfordern vom Therapeuten großen Respekt und viel Feingefühl. Die Angst vor dem Schatten ist letzten Endes die Überraschung darüber, eine überstarke, ungewohnte, oft ambivalente Erregung zu spüren, verbunden mit unintegrierten Phantasien und Impulsen. Furcht ist ein Signal für eine reale Gefahr. Angst dagegen ist die Scheu vor der Berührung mit dem Abgewehrten. Es ist die Angst vor der Gegen-Welt (innen gefühlt oder nach außen projeziert), die uns signalisiert, wo unser Ich aufhört. Sie ähnelt der Angst vor dem Tod, denn auch im Wahnsinn ist das Ich gestorben (Benedetti).
Dynamische Selbstverwandlung in der Therapie ist eine kontrollierte Destrukturierung und Restrukturierung. Daher kommen wir auch in der Therapie immer wieder in Kontakt mit der Angst vor Destabilisierung oder vor Erstarrung. Es ist das Gefühl, an den Rand der inneren Welt gelangt zu sein, wo die Halt gebende Erde zu Ende ist, und wo wir in das bedrohliche Vakuum des unendlichen Weltalls hinab zu fallen drohen. Wenn der Therapeut genug Sicherheit hat und Halt geben kann, wenn er fürsorglich und behutsam ist, dann kann genau an dieser Grenze entlang Heilung und Erneuerung geschehen. In der Besinnung auf die Gewitter der Gegenwelt liegt die Chance der Transformation.
Die Entstehung einer psychotischen Struktur reicht zurück in die eigenartige Zeit, als das Kind noch keine Objekte wahrnehmen konnte, bis in die ersten Lebenswochen, bis zum Trauma der Geburt und möglicherweise weiter zurück bis in den Mutterleib. Das Wesen der Psychose ist uns in dem Maß unverständlich, wie wir uns nicht mehr in die vorsprachliche, vorbegriffliche Realität eines Kindes in diesem Alter hineinversetzen können. Sie ist uns „unsagbar„ fremd. Das psychotische Erleben kann nur umschrieben und angedeutet werden, weil es die Begriffe sprengt. Am besten ist das wohl Gaetano Benedetti gelungen in seinem Buch-Juwel „Todeslandschaften der Seele„.
Der Zustand einer Destabilisierung des Ich ist nur schwer einfühlbar. Wir denken, fühlen, erleben ja immer als Ichund objekthaft. Wir können Trauer, Wut oder Schmerz eines anderen Menschen vielleicht nachvollziehen, denn da ist die Dualität zwischen der wahrnehmenden Instanz, dem „inneren Beobachter„, dem Ich, und dem wahrgenommenen Inhalt, der „Empfindung“, dem Objekt, intakt. Wenn aber das Ich selbst nicht mehr richtig funktioniert, dann geraten wir bei einem ernsthaften Versuch, uns in einen solchen Zustand hineinzuversetzen, in eigenartige Paradoxien.
Versuchen wir es:
Richten Sie jetzt bitte Ihre Aufmerksamkeit einmal ganz auf diesen Text, während Sie ihn lesen. Und nun, während Ihre Augen die Buchstaben und Worte entlanggleiten, verfolgen Sie Ihre Aufmerksamkeit rückwärts nach innen. Suchen Sie denjenigen, der gerade jetzt aufmerksam für den Text ist. Versuchen Sie, ihr Ich-Bewußtsein, also „sich selbst“ im Zentrum Ihrer Aktivitäten jetzt in diesem Moment wahrzunehmen. Wosind Sie genau ? Im Kopf ? Im Bauch? Gar nicht leicht, stimmtÙs? Das kann nicht leicht sein, weil es selbstrückbezüglich ist: das Ich versucht, sich selbst wahrzunehmen. Das ist, als ob eine Netzhaut sich selbst sehen wollte, als ob ein Spiegel sich selbst spiegelte – eine Paradoxie, aber noch nachvollziehbar.
Wie wäre es aber jetzt, wenn alles andere, die ganze Realität, Ihr Körper, sogar Ihre Gefühle weiterhin existierten, aber „Sie selbst„, d.h. der Kern Ihres Ich-Bewußtseins, würde diffus, würde beginnen, instabil und unfaßbar zu werden, sich aufzulösen und schließlich gar nicht mehr existieren. Das ist kaum nachvollziehbar, weil unsere Sprache und unser Denken nicht auf die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt verzichten können. Wenn ich mir vorstelle, daß „ich“ (mein Ich) nicht mehr existiert, dann betrachte ich mein Ich in der Phantasie objekthaft aus der Perspektive eines gesunden, stabilen Ich. Darum aber geht es nicht. Was wäre, wenn ich als Sehender, als der Betrachtende, Wahrnehmende, also „ich selbst„, nicht mehr richtig funktioniert, ja aufgelöst, zerstört wäre? Wenn ich mir vorstelle, daß „ich selbst“ nicht mehr da sei, dann ist das wie in dem alten Satz: „Ein Kreter sagt, alle Kreter lügen. – eine Paradoxie, eine Selbstaufhebung, eine Absurdität, abwegig und nicht mehr nachvollziehbar. Höchstens im Tod „verschwinden“ wir doch – oder?
Wie verwunderlich ist es, daß wir alle einen solchen Vorgang schon erlebt haben, sogar schon tausende von Malen, und wir erleben ihn jeden Abend von neuem. Jeden Abend, wenn wir einschlafen, versickert unser Ich-Bewußtsein allmählich. Nach einer eigenartigen Übergangszeit (der „Einschlaftrance“) ist niemand mehr da, der das Versickern bemerken könnte. Und gerade diese Übergangszeit ist für uns interessant, denn hier beginnen Realität und Phantasie zu verschwimmen. Wir schlafen nicht schlagartig ein, sondern wir gleiten allmählich in eine Zwischenwelt, in der unsere Bewußtheit (und damit unsere bewußte Erinnerung) allmählich abnimmt. Danach kommt entweder die völlige Leere und das Vergessen des Tiefschlafs oder die Traumzeit hat begonnen. Aber im Übergang sind wir „da“ und „nicht da“ zugleich, in Trance, teilwach in einer Nicht-Welt. Diese Welt ist meist friedlich, man schlummert oder phantasiert etwas schönes, aber qualitativ, strukturell sind wir dem Erleben eines Verrückten hier näher als im Wachzustand.
Versuchen Sie heute abend einmal, bewußt zu erleben, wie Sie einschlafen, während Sie einschlafen. Es wird Ihnen wahrscheinlich nicht gelingen. Aber vielleicht, wenn Sie den Mut haben, es wieder und wieder zu versuchen, erhalten Sie eine Ahnung der Erfahrung von Wachsein im Nicht-Ich. In dem Maße, wie Ihnen das gelingt, können Sie so von innen her, nicht nur verstandesmäßig im Kopf, einen ersten Eindruck von psychotischem Erleben gewinnen. Während des Einschlafens verschwindet allmählich unsere Ich-Identität. In unseren Träumen erlauben wir einer anderen Realität, in uns zu leben, die viel näher am Unbewussten ist, aber um den Preis, daß wir sie hinterher weitgehend vergessen oder nur stark verändert und an unser normales Erleben wieder angepasst erinnern.
Im Traum gehen wir in eine Gegen-Zone, in der die Anteile leben dürfen, die teils schon ewig in den Abgründen des Unbewußten hocken, teils aus Verdrängungen im Alltag stammen. Auch hier eine Paradoxie: Die Traumzone, also ein bißchen Verrücktsein im Inneren, ist der Garant für unsere psychische Gesundheit. Im Traum wird dem Wahnsinn in uns ein Tummelplatz zugeteilt, auf dem er sich bewegen kann, damit das Wachbewußtsein frei davon bleibt.
Wenn aber die Ladung der Primärprozesse zu stark wird, dann erleben wir innere Übergriffe aus der Gegen-Welt z.B. in Form von nicht-realen, angstbesetzten Phantasien. Sie werden vor allem dann akut, wenn das stabilisierende Ich schwach ist, und das ist es mindestens immer beim Einschlafen. Daher haben Menschen in einem präpsychotischen Zustand oft Angst vor dem Schlaf. Sie fürchten zu Recht, wenn sie einschliefen, könnte die Gegenwelt die Herrschaft übernehmen. Daher können sie manchmal 5, 6 oder 10 Tage nicht schlafen, bevor die Psychose ausbricht.
In einer krisenhaften Situation verstärkt aber die Schlaflosigkeit den Druck in der Traumwelt und destabilisiert das Ich weiter. Es gibt eine ganze Reihe von experimentellen Untersuchungen, in denen nicht-psychotische Versuchspersonen zwar den traumlosen Tiefschlaf hatten, aber am Träumen gehindert wurden. (Immer wenn bei ihnen die schnellen Augenbewegungen begannen, der so genannte REM-Schlaf, wurden sie geweckt.) Nach 4-6 Tagen begannen diese (vorher normalen) Personen zu halluzinieren. Ein Teilnehmer der Untersuchung öffnete z.B. seine Schreibtischschublade und sah plötzlich Flammen herausschlagen. Wenn die Traumwelt ihren Platz nicht im Schlaf haben darf, entsteht im Unbewußten eine Überladung, und die Primärprozesse greifen auf das Tagesbewußtsein über. Man wird sozusagen unkontrolliert verrückt, weil man nicht begrenzt verrückt sein darf. Wenn man einmal nur die Gegenwart betrachtet und die biografische Vorgeschichte beiseite lässt, könnte man sagen, daß eine Psychose durch einen Mangel an Träumen entsteht:
Die Traumwelt fordert ihr Recht.
Näher noch am psychotischen Bewußtseinszustand sind jene „luziden“ Momente im Traum, wenn man plötzlich merkt, daß man träumt. Das Erleben, bewußt in einer fremden, irrealen, inneren Welt zu sein, quasi in der „Matrix“ zu stecken, ist so bedrohlich, daß man meistens ziemlich schnell aufwacht. Luzides Träumen ist dem psychotischen Erleben schon sehr nah. Der Entscheidende Unterschied ist aber, daß ein intaktes Ich sich in einer Traumwelt bewegt. In der Psychose bewegt sich ein zerstörtes Ich in der Realität.
Im Zustand der Verrücktheit wird man oft wieder zum Kind, allerdings zu einem sehr kleinen. In den ersten Lebenswochen war noch alles eins. Es gab weder Ich noch Welt, weder dieses noch jenes Objekt. Statt einer Welt gab es (mit erwachsenen Begriffen gesprochen) nur ein strukturloses, zeitloses Chaos von Eindrücken. Am Anfang war das Chaos. In der Zeit vor der Objektkonstanz ging noch alles dauernd in alles über, einschließlich dem „Ich selbst“. Säugling erfassen wahrscheinlich zuerst überhaupt noch nicht, daß der Kinderwagen, in dem sie jetzt liegen, der selbe ist, wie das, was sie gerade noch von außen gesehen haben. Sie leben im ewigen Jetzt ohne Konstanz über die Zeit und über den Raum. Daher wechseln auch ihre Stimmungen so phänomenal schnell. In einem Augenblick weinen und schreien sie – im nächsten Moment glucksen und lachen sie schon wieder. Ihre Identität wechselt ständig wie im Traum. In dieses frühe, strukturlose Welterleben fällt der Irre zurück. Seine Welt ist ohne Konstanz der Objekte und des Ich, ohne Halt. Das kann manchmal faszinieren, aber meistens macht es unsagbare Angst.
Die Wand zwischen Bewußtem und Unbewußtem ist auch bei uns „Normalen“ dünner als wir gerne glauben möchten. Der Wahnsinn ist uns näher als wir denken. Schon ein paar Minuten tieferes Atmen, wie es z.B. im Grof’schen Holotropen Atmen angewendet wird – und die Mauer bröckelt. Es ist erstaunlich, welche an sich geringfügigen Veränderungen unserer gewohnten Muster schon einen Kontakt zum Trans-Realen herstellen können.
Haben Sie Lust auf ein Experiment? Dann verbringen Sie einmal eine Nacht ganz allein und im Dunkeln im Wald. Sie werden sehr schnell kommen, die Dämonen, die Ängste und Traumbilder, die vergessenen Gefühle, die erschreckenden Fast-Halluzinationen bei jedem Knacken, deren Beherrschung und Abspaltung offenbar von so zerbrechlichen Umständen abhängt, daß ein paar Stunden allein außerhalb unserer gewohnten Umgebung sie schon emporholen können.
Die Entstehung der Abwehrwand verdanken wir einer Reifung und Erziehung, die von dem Chaos der unendlichen Wahrnehmungen und Impulse, deren wir fähig sind, nur ein ordentliches Maß übrig lässt. Ist die Wand zu dick, werden wir starr und gefühllos (zwanghaft). Ist sie zu dünn, werden wir überflutet und panisch (paranoid). Bricht sie, verlieren wir den Boden unter den Füßen, dann sind wir verrückt. Die ambivalente Funktion der Mauer, ihre Entstehung und ihr Zerbrechen ist von der Gruppe Pink Floyd in ihrem alten Film „The Wall“ sehr mitfühlbar dargestellt worden.
Die Existenz und das lebendige Funktionieren einer Fernhaltungsfunktion, der „Verdrängung“ als Voraussetzung für einen sachlichen, nüchternen Realitätskontakt, in dem man auf dem Teppich bleibt, ist überlebensnotwendig. Ich wage es kaum, den Begriff „Gesundheit“ in den Mund zu nehmen (schauen Sie nur mal in die Schlafzimmer der Glücklichen, die immer so gewinnend lächeln, oder schauen Sie sich ihre Kinder an), aber ich weiß, daß der Wahnsinn die Verrückten zeitweise orientierungslos und hilflos macht und schnell existenzbedrohend werden kann.
Das, was in einer Psychose hochkommt, ist für den Betroffenen im Moment wahr. Indem das, was er vorher für Realität gehalten hat, zerbricht, geht er in eine eigene, subjektiv realere Wirklichkeit über. Die innere Welt stülpt sich über die äußere. Sie ist durch ihre Ladung so eindrücklich, daß sie als wahrer erlebt wird, als die normale Welt. Die Psychose ist wie die umfassende Tiefe eines archaischen Schreis gegen ein bloßes Wort, wie die höhere Dimensionalität eines surrealistischen Gedichtes gegen eine deskriptive Beschreibung, es ist die Entfesselung eines unkontrollierbaren Untergrundes, der durch den Kopf geht, die die Verrückten von der Normalität abhebt. Die Dinge der Realität in ihren chaotischen Bedeutungen springen den Irren an. Der Deich ist gebrochen, der Block ist gerissen, die Grenzen verschwimmen, es gibt keine Sicherheit mehr.
Es ist die Pathologie einer Ich-Zerstörung (Benedetti), aber auch die wunderbar-schreckliche allerfrüheste Erfahrung der All-Einheit, die orgonomische Empfindung des Nicht-Dualismus, die dem Verrückten in den Kopf schießt. Zen-Anhänger haben es erlebt, nachdem sie sich jahrelang in den Autismus der Meditation zurückgezogen haben. In dem Augenblick, den sie idealisierend als „Erleuchtung“ bezeichnen, löst sich das Ich auf und alles ist eins. Die sozial-kulturell integrierbare Erfahrung von Einheit mit einem All-Geist produziert Religionen. Die hilflose, spontane, als Überflutung erlebte Erfahrung des Wahnsinns erzeugt soziale Ausgrenzung.
Der Irre spürt seinen Wahnsinn nicht als etwas Fremdes, das er unter Kontrolle halten müsste. Die „Transzendenz als Erfahrung“ (Dürckheim) ist ihm unmittelbar Realität. Oder wie ein Verrückter einmal zu mir sagte:
„Die anderen sind dicht – ich bin leck.“
Aus dem tiefsten Innern, aus der rätselhaften Welt des Unbewußten hat der Tsunami der Traumzeit, des „Nagual“ (Castaneda) die Herrschaft übernommen.
Gegenüber dem Wildwasser der unkontrollierten Erfahrung transzendierter Realität wird der Begriff der objektiven Wirklichkeit zu einer Versperrung des Verstehens. Diese Versperrung passiert jedem Irren unvermeidlich. Keiner, der normal bleibt, kann einem Irren durch die Abwehrwand hindurch folgen. Was die Irren herausplatzen, davor müssen wir (manchmal mürrisch aber in Sicherheit) unser Großhirn schützen.
Im schizophrenen „Schub“ wird Energie verschleudert. Sie verpufft unkontrolliert. Hinterher setzt oft eine Periode von Depression und Kraftlosigkeit ein. Dieser Zyklus von Unterdrückung, Stauung, Entladung und Leere kann sich mehrmals oder immer wieder wiederholen, solange das Unlebbare nicht angenommen und integriert ist. Dennoch greift der Begriff von Wahnsinn als „Krankheit“ zu kurz. Wahnsinn ist ein rasender Versuch der Integration, ein Versuch, die Realität wieder heil zu machen – ein Versuch, der scheitern muss.
Die Betrachtungsweise der Schizophrenie als Krankheit hatte historisch einmal ihren positiven Sinn gegen das im letzten Jahrhundert noch übliche Moralisieren und Kriminalisieren. Der Irre wurde medizinisiert und damit ent-schuldigt: „Der kann doch nichts dafür, der ist eben krank.“ (Auf die selbe Weise und mit dem selben Effekt wurden ja aus Alkoholikern die sogenannten „Alkoholkranken“.) Sind die Verrückten aber erst einmal als „Gehirnkranke“ erfaßt, sehen sie sich der Selbstverantwortlichkeit für ihr Leiden enthoben. Dann können und müssen sie die für sie vorgesehenen medizinischen und sozialen Interventionen über sich ergehen lassen. Da praktisch niemand ihr subjektives Leiden verstehen und annehmen kann (noch nicht einmal sie selbst), und jeder versucht, ihnen einzureden, woran sie eigentlich leiden müssten, da sie ja selbst nicht wissen, was mit ihnen los ist, und da es keinen gibt, der ihnen glaubhaft einen Weg aus der Hospitalisierungs-Drehtür nennen kann, beginnen sie häufig selbst ganz gern, die resignative Vererbungs-Hypothesen zu teilen, nach der sie unter einer angeborenen Störung des Hirnstoffwechsels leiden. Es entsteht Krankheitseinsicht – aber es stirbt die Selbstverantwortung. Der Wahnsinn ist in das Psychiatrie-System eingepackt und wird darin verwaltet.
In die Köpfe vieler Psychiatrie-Arbeiter ist mit konservativer Hartnäckigkeit der (vollkommen unbewiesend, aber dennoch handlungssteuernde) Gedanke eingedrungen, Schizophrenie sei irgendwie, zumindest unter anderem „anlagebedingt„, d.h. erblich und daher unveränderbar. Es wird immer wieder auf angebliche Zwillingsuntersuchungen verwiesen, die das beweisen sollen, d.h. Fälle, wo eineiige Zwillinge unter unterschiedlichen Bedingungen aufwachsen und trotzdem beide schizophren werden. Was glauben Sie, wie viele solche Fälle tatsächlich in der Literatur beschrieben sind? Es sind genau 2 (!) Fälle (Foudraine: „Schizophrenie und Familie“).
Für die These, die sogenannten „endogenen Psychosen“ (Schizophrenie und manisch-depressive Psychose) seien Störungen des Hirnstoffwechsels, also Krankheiten im medizinischen Sinne, gibt es bis heute nicht den Schatten eines wissenschaftlichen Beweises. Als Argument wird gern angeführt, daß bestimmte Medikamente (Neuroleptika) gegen Psychosen helfen, also müsse die Ursache im Gehirnstoffwechsel liegen. Nun kann man natürlich alles mögliche medizinisch beeinflussen, ohne daß auf der organischen Ebene befriedigend eine Kausalität festzustellen wäre. Die Wirksamkeit der Neuroleptika beweist gar nichts, dient aber „zufällig“ der Pharmaindustrie. Einige Psychiater wedeln gern mit der Stoffwechsel-Hypothese herum, um ihr Zuständigkeitsmonopol als Mediziner herauszukehren und ihre therapeutische Resignation zu kaschieren. Bleuler dagegen hat es noch zugegeben, daß das Wort „endogen“ nichts anderes bedeutet als: „von unbekannter Entstehung„.
Wie wirkt es sich in einem Feld von sozialen Beziehungen aus, wenn jemand ausflippt?
Was den Verrückten in seinem eigenen subjektiven Erleben fertigmacht, ist:
- die Angst vor dem Schrecken, der aus der Tiefe kommt,
- die Schlaflosigkeit – herumzurennen, wenn alle anderen schlafen,
- die Einsamkeit – keiner versteht ihn in seiner Absonderlichkeit,
- die distanzierte oder repressive Reaktion der Umwelt.
Würden die anderen (wir!) mit dem Verrückten in Kontakt bleiben, und das heißt vor allem: in gefühlsmäßigem Kontakt, dann würden wir früher oder später mit ihm zusammen verrückt. Wir müssen unseren eigenen unbewußten Wahnsinn abwehren durch Ausgrenzung, durch Vermeidung von Kontakt mit dem Irren. Jetzt hat der Irre zwei Probleme: Er muß mit seinem Wahnsinn fertig werden und mit der Feindseligkeit der Umwelt, die ihn und seine Seltsamkeit ausgrenzt.
Je mehr bestimmte innere Räume und spezielle Lebensweisen gesellschaftlich als unakzeptabel definiert sind, und je mehr eine soziale Kontrollmacht aufgefahren wird, um die Einhaltung der Normalität zu gewährleisten, umso mehr wird Wahnsinn als destruktiv einsortiert. Bei manchen Verrückten führt erst die soziale Ausgrenzung zur Lebensunfähigkeit. Ausgrenzung (meistens als Behandlung getarnt) ist oft gar nicht erforderlich. Wie sonst hätte es in Italien möglich sein können, in den 70er Jahren nach dem legendären „Gesetz Nr. 180“, mit dem die Anstaltspsychiatrie abgeschafft wurde, selbst „schwer chronisch Schizophrene“ manchmal allein durch soziale Maßnahmen wieder in die Gemeinschaft zu integrieren?
Eine psychische Krise bringt immer die sozialen Beziehungen aus ihrem Gleichgewicht. Der Verrückte provoziert mich – aber ich kann ihn nicht verstehen. Er bringt mich in eine Situation, wo ich handeln muß – aber was ich auch tue, er macht es kaputt. Ich werde hilflos, aber ich habe die Verantwortung – er ist ja verrückt! Es entsteht eine Beziehungskrise. Der Verrückte erzeugt eine Aura von verrückten Reaktionen in seinem Umfeld, die ihn wiederum noch verrückter machen.
Normalerweise herrscht in Beziehungen ein Gleichgewicht von Geben und Nehmen, eine Homöostase von gegenseitiger Unterstützung und Belastbarkeit. Wenn jemand verrückt wird, gerät dieses System aus den Fugen. Der Verrückte fordert nur noch und gibt nicht mehr das, was man von ihm gewöhnt war. Partner, Eltern, Kinder, Freunde, Kollegen fühlen sich nach kurzer Zeit genervt, brüskiert und provoziert. Im günstigsten Fall versuchen sie, eine Zeit lang geduldig und verständnisvoll gegenüber der Unerreichbarkeit und den eigentümlichen Handlungen des Verrückten zu sein. Der Irre aber kann ihnen kein Verständnis entgegenbringen, er ist aus den sozialen Bezügen herausgefallen und als die Person, die man kannte, verschwunden. Der Schock, den es z.B. für einen Ehepartner bedeutet, wenn ihn aus seit Jahrzehnten bekannten Augen plötzlich eine fremde Person anschaut, ist kaum zu ermessen. Sehr bald kommt der Punkt, wo es dem sozialen Umfeld „einfach reicht„, wo man nicht mehr kann. Die Angehörigen, und in den allermeisten Fällen nicht die Betroffenen selbst, treten dann an Einrichtungen als Hilfesuchende heran.
Um die schier unlösbaren Schwierigkeiten zu verdeutlichen, in die man kommt, wenn in der nächsten Umgebung plötzlich jemand irre wird, möchte ich ein Fallbeispiel einer psychotische Krise darstellen, den ich in ähnlicher Form viele Male miterlebt habe.
Versetzen Sie sich mal in die beschrieben Situation und fragen Sie sich:
- In welche Konflikte kommen Sie?
- Was würden Sie spontan am liebsten machen ?
- Was könnten Sie nach reiflicher Überlegung tatsächlich tun ?
Sie leben als junge/r Student/in in einer Wohngemeinschaft. Mit einer Mitbewohnerin, die eigentlich alle gern mögen, ist etwas los. Angefangen hat es vor etwa 2 Wochen. Sie war aufgedreht, als hätte sie übermäßig viel Kaffee getrunken. Sie hat immer weniger geschlafen – die letzten 6 Tage überhaupt nicht mehr.
Jetzt redet sie praktisch ununterbrochen vor sich hin und ist schon ganz heiser. Teilweise sind es wirklich tolle und tiefe Gedanken, die wie Gedichte klingen, teilweise redet sie unverständliches Zeug. Sie spricht zum Beispiel mit Gott und meint, sie müsse das himmlische Königreich auf Erden verkünden, indem sie auf die Straßen geht und den Leuten ihre Liebe gibt. Teilweise fühlt sie sich toll, euphorisch. Sie ist unentwegt in Bewegung. Manchmal kommen ihr plötzlich Einfälle wie z.B. daß sie jetzt sofort nach Rom fliegen muß, um dort ein Konzil abzuhalten. Auf dem Flughafen wäre sie um ein Haar in die Psychiatrie eingewiesen worden, weil sie erzählt hat, sie sei die Mutter Gottes und nur sie könne die Welt vor dem Untergang retten. Im letzten Moment hat sie jemand aus der WG dort abgeholt.
In der letzten Woche hat sie schon über 1000,- Eur. ausgegeben, z.B. ist sie nächtelang mit dem Taxi kreuz und quer durch die Stadt gefahren.
Mehr und mehr hat sie Angstgefühle. Zeitweise ist sie sicher, daß sie die letzte Überlebende eines Atomkriegs sei, und daß alle anderen Menschen schon tot seien. Dann redet sie andere Menschen als Geister an. Dann wiederum sieht sie vor dem Haus riesige Wölfe herumlaufen, und nichts auf der Welt kann sie überzeugen, daß die nicht da sind. Sie meint, sie habe den bösen Blick und jeder, den sie ansieht, müsse sterben.
Wenn man aufpasst, kann man sie durchaus davon abhalten, irgend einen Unsinn zu machen. Wenn man eindringlich mit ihr redet, kann man sich für einen Augenblick recht klar mit ihr verständigen. Manchmal ist sie sogar plötzlich wieder „normal“ und lacht über sich selbst und ihre „komischen Ideen“. Aber dann geht es wieder los.
Da in ihr Jesus wiedergeboren sei, sagt sie, brauche sie nicht mehr zu essen. Gestern hat sie das Zimmer einer Mitbewohnerin „aufgeräumt“ und dabei ihren Führerschein zerrissen, um sie „zu befreien“. Dann hat sie einen Stapel ihrer Schallplatten aus dem Fenster geworfen und dabei lauthals gesungen. Vorhin hat sie Ihnen eine Ohrfeige gegeben und Sie dabei mit dem Namen ihres Bruders angebrüllt. Dann wollte sie nackend auf die Straße rennen. Währenddessen redet sie pausenlos. Um zu beweisen, daß sie keine Schmerzen mehr fühlt, wollte sie sich eben mit einer Schere ins Bein stechen …
Wie kann man sich in einer solchen Situation verhalten, ohne etwas verkehrt zu machen? Sie werden unweigerlich in eine Beziehungskrise verwickelt und müssen reagieren, ohne daß Sie lange nachdenken können. Die Beziehung mit einem Verrückten wird im Handgemenge gestaltet. Das Umfeld versucht normalerweise, eine solche Krise zu bewältigen durch:
- Individualisierung: „Das ist Dein Problem, damit hab ich nichts zu tun.“
- Schuldzuweisung: „Da bist Du selber Schuld.“ „Du bist sowieso an allem Schuld.“
- Pathologisierung: „Du bist krank.“
- Ausgrenzung: „Du mußt hier weg.“
- Delegation: „Da muß sich ein Psychiater/Therapeut/die Polizei drum kümmern.“
In diesen Bewältigungsversuchen werden unter anderem wechselseitig abhängige Ganzheiten sowie gewachsene und eskalierte Beziehungsverwicklungen kognitiv zerschnitten. Tatsächlich bewegen sich der Irre, seine Familie, seine Kollegen, sein Umfeld – die normale Gesellschaft und der Wahnsinn ja in einem lebenden, ganzheitlichen System von Wirkungen/Rückwirkungen. Wenn man genau hinschaut, ist es manchmal gar nicht so leicht, festzustellen, wer eigentlich verrückt und was normal ist.
Erst durch das Zerhacken der Wechselwirkungen eines Beziehungssystems durch „willkürliche Interpunktion“ (Selvini-Palazzoli) kommt man zu einer scheinbaren Ursache, die dann die Wirkung „Wahnsinn“ hervorzubringen scheint (Ursache ist dann z.B. „die Familie“, die das Kind verrückt gemacht hat). Auf die selbe Weise kommt man überhaupt erst zu der Definition einer Person als Krankheitsträger, als „der Verrückte“ in einer „normalen“ Gesellschaft. Das mechanische, atomisierende Weltbild trägt dazu bei, verrückt zu machen, weil es isoliert was zusammengehört, ebenso die pathologisierende Sprech- und Denkweise: „Psychose“, „Störung“,“Krise“ usw. auf die wir aber kaum wirklich verzichten können.
Es gibt Kulturen, in denen die selben Symptome, die bei uns den psychiatrischen-juristisch-pharmazeutischen Apparat in Gang bringen, als Zeichen der Berufung zu einer sozial integrierten und mit hohem Status versehenen Funktion des Heilens und Beratens verstanden werden. Wenn jemand dort von der „Schamanenkrankheit“ befallen wird (die sich in nichts von einem schizophrenen Schub unterscheidet), dann tritt ein von Generation zu Generation weitergegebenes Arrangement der Ausbildung und Kultivierung transzendenter Rituale in Aktion. Die Erscheinungen einer chronifizierten Psychose, die Depression und die Erstarrung nach dem Schub, bleiben dort weitgehend aus. Am Ende dient der Betreffende als „Zauberer“ der Gemeinschaft. Die Verrückten als Verkünder der Wahrheit, die Kranken als Heiler – wer ist hier eigentlich verrückt?
Was bei einem Psychotiker an „Wahnvorstellungen“ herauskommt, ist in der Qualität jedem Menschen bekannt. Wir kennen fast alles aus unseren Träumen und Phantasien. Es sind all die Impulse, die wir kontrollieren und gelegentlich wegschieben müssen. Während der Zustand des Ich-Verlustes praktisch unverständlich ist, sind die Inhalte, die in der Geisteskrankheit nach oben kommen, sehr bekannt. Jeder hat sie. Der seit Jahren boomende Markt für Fantastische Literatur und Fantasy-Filme weist darauf hin, daß die Gemeinschaft Kanäle für ihre Verrücktheit braucht – verfilmte Träume.
In der Psychose realisiert sich der „Schatten„. Der Verrückte agiert die verdrängten Anteile des normalen Bürgers. Im Kontakt mit akut Verrückten werden eigenen unterdrückten Fantasien und Impulse angesprochen und in Resonanz versetzt. Man fühlt das entweder als Faszination oder als Angst, meistens als beides zugleich.
Vielen akut Verrückten kann man nichts vormachen. Für sie sind wir aus Glas. Wie ein Kind durchschauen sie Täuschungsmanöver mit „Kinderaugen„. Man kriegt nur Kontakt zu ihnen durch radikale Ehrlichkeit, so weit man dazu in der Lage ist. Lügen, Vertuschen, Vermeiden, Beschönigen und Verschleiern einem Irren gegenüber ist eine Form von Gewalt. Es erzeugt früher oder später Gewalt von seiner Seite.
Ein Irrer ist in der Regel nicht ungezielt oder grundlos aggressiv. Entgegen einem verbreiteten Vorurteil sind Verrückte nicht aggressiver oder gefährlicher als andere Menschen, sofern man es schafft, sie so sein zu lassen, wie sie sind (was manchmal fast unmöglich scheint). Auch wenn man es vielleicht im jeweiligen Moment nicht versteht: die Aggressionen eines Menschen, der gerade ausrastet, sind oft ziemlich gezielt und dosiert. Häufig reagiert er auf aktuelle oder vorherige Manipulation oder subtile Feindseligkeiten.
Auch wenn ich hier so wissend schreibt: Ich verstehe ziemlich häufig Verrückte auch nicht. Weniger weil mir Wissen oder Erfahrung fehlt, sondern weil meine Einfühlung behindert ist durch Vorurteile, Konzepte und Rezepte. Zum Beispiel kann ein zu kurz gegriffener Materialismus (z.B. „Es gibt keine Gespenster, punktum!“) dazu führen, daß ich nicht verstehen kann, wie es für jemanden eben doch Geister gibt. So geht es auch mit dem schematischen Umgang mit diagnostischen oder psychoanalytischen Begriffen. Wenn ich meinem scheinbaren Expertenwissen aufsitze, dann stehe ich mit Glasaugen dem Fremden gegenüber, und muss krampfhaft mein Unverständnis und meinen Unglauben verbergen.
- Was die Normalen an den Verrückten verrückt macht, sind abgewehrte Teile ihrer selbst.
- Was in den Verrückten verteidigenswert ist, ist das Lebensrecht unserer eigenen unangepassten Gefühle und Phantasien.
- Faszination vom Wahnsinn ist ein Kokettieren mit der eigenen Verrücktheit.
- Haß gegen Verrückte dient der Verteidigung der eigenen psychischen Stabilität.
- Unverständnis für Verrückte dient der Abwehr der eigenen unerträglichen Seiten und dem Schutz unserer sozialen Lebensfähigkeit.
An unseren unbewußten Motiven zu „helfen“ packt uns der Irre und zieht uns in die Falle, in der er selber sitzt. Er vermittelt gleichzeitig:
- „Ich leide …“ und „… ich fühle mich toll.“
- „Ich bin verrückt, Du hast die Verantwortung…“ und „… ich bin der Normale, Du bist der Verrückte.“
- „Du mußt unbedingt etwas für mich tun …“, „… aber ich lasse mich auf nichts ein!“
Wer sich die Verantwortung delegieren lässt, wird hilflos oder repressiv. Man kann Gefühle von Hilflosigkeit als Indikator dafür nehmen, wie weit man sich unterschwellig Verantwortung hat delegieren lassen. Wenn man nur die Verantwortung dafür übernehmen will, daß dem Irren nichts an Leib und Leben geschieht, dann sitzt man schon in der Falle. Jeder, der das schon einmal versucht hat, wird das bestätigen.
So lange wir im Dienste unseres Narzißmus im Umgang mit Verrückten nach Bedeutung, Erfolg und Effekt streben, liegt im Nichts-Tun-Können die Gefahr einer Krise unseres Selbstwertgefühls. Wenn wir, die Fachleute, nichts tun können, versinken wir in Bedeutungslosigkeit. Dann fühlen wir uns manchmal gezwungen, etwas zu tun, wo wir nichts tun können oder sollten. Unsere Ohnmachtsgefühle können wir mystisch wegbannen mit einem System von Einrichtungen, Tarnmanövern und Ritualen. Aber hinter diesen Ritualen und Rollenzuweisungen verschwindet uns der Kontakt zum anderen Menschen als Du, als Einer-wie-ich. Aber ohne solche Rituale würden wir gemeinsam im Chaos rotieren …
Manche psychotischen Krisen könnten durchlebt werden „wie eine Grippe“ (Basaglia), wenn es möglich wäre, dem Betroffenen einen stabilen, dauernden Kontakt mit einigen wenigen Menschen anzubieten, die ihn verstehen und die er mag. Sie müssen bei ihm bleiben, auf ihn aufpassen und ihn emotional „halten„, denn psychisch ist der Irre wie ein Baby.
Die Hände und Arme, die Ohren und Augen und Herzen, vor allem aber die einfache, wirkliche Anwesenheit von Freunden könnte eine Alternative zu Gittern, Zwangsjacken und Psychopharmaka sein. Kontakt kann Angst kontrollieren. Dann könnte der Irre durch die schreckliche Leere/Überflutung gehen, sterben und wiedergeboren werden. Eigentlich wäre eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung bei einer psychotischen Krise das Mittel der Wahl. Aber das ist in den meisten Fällen, vor allem längerfristig, praktisch gesehen einfach nicht zu leisten. Ein akut Verrückter bräuchte ein Team von 5 bis 10 Leuten, damit immer jemand bei ihm sein kann, und die sind nach zwei Wochen mit Sicherheit fix und fertig. Aber gelegentlich reicht auch schon weniger, nur ein paar Stunden da sein, oder ihn im richtigen Moment in den Arm zu nehmen. Es gibt viele Verrückte, die nie eine Klinik von innen sehen, weil sie nie übermäßig auffällig werden, und weil ihr soziales Umfeld sie akzeptiert. Früher hatte jedes Dorf seinen „Deppen„.
Für professionelle Helfer ist es notwendig, sich und den anderen die zeitlichen und psychischen Grenzen ihres Hilfsangebots klarzumachen und diese Grenzen auch dem Hilfsbedürftigen gegenüber eindeutig zu benennen. Mit konfluenter Überbetreuung und Dauer-Verfügbarkeit ist niemandem gedient, denn damit laugt man sich nur aus. Wenn man sich überfordert fühlt (was irgendwann unweigerlich passiert), kommt es leicht zu Überschusshandlungen oder zu aggressiven Entscheidungen. Auch wenn es schmerzhaft für beide ist, muß man ab einem bestimmten Punkt deutlich „nein“ sagen und sich abgrenzen.
Helfer können durchaus auf der Grundlage freier, selbstverantwortlicher Vereinbarungen arbeiten. Der Verrückte hat das Recht, „wirr“ zu sein und sich gegen Behandlung und Befragung zu wehren. Der Irre verliert nie ganz die Entscheidungsmöglichkeit, weiter verrückt zu sein oder etwas dagegen zu tun indem er an sich arbeitet (ebenso wie ein Drogenabhängiger die Entscheidung hat, weiter Drogen zu gebrauchen oder nicht). Weder Wahnsinn noch Sucht zerstört die Fähigkeit zur Selbstverantwortung völlig. Wer in einem klar begrenzten Rahmen Unterstützung bietet, kann mit der Kraft und dem Willen des Betroffenen arbeiten, nicht mit seiner eigenen. Er macht ein begrenztes Angebot – der Irre kann es annehmen oder ablehnen.
Wer sich dafür hergibt, den Betroffenen zu manipulieren oder ihm die Verantwortung für sein Leben abzunehmen, treibt ihn immer weiter in die Regression des Versorgungssyndroms hinein. Es ist eine Frage der persönlichen oder institutionellen Selbst-Definition, ob man bereit ist, gesellschaftliche Ordnungsaufgaben zu übernehmen oder nicht. Wer in einer Klinik oder beim Sozialpsychiatrischen Dienst arbeitet, steckt in einem System, das ihm Handlungsnotwendigkeiten vorgibt, die aber keineswegs immer gut für den Verrückten sind.
Wer in einer Institution arbeitet, die bezahlt soziale Kontrollfunktionen übernimmt, der kommt nicht darum herum, Zwang und Kontrolle auszuüben. Dies wird häufig verschleiert oder durch die klinischen Begriffe der Helfer-Sprache beschönigt. Psychiatrische Zwangsmaßnahmen setzen die persönliche Entscheidung des Helfers voraus, sich die Verantwortung für das Geschehen anzueignen. Vor allem die Entscheidung, wo man arbeitet, programmiert die Funktionen, die man dann wohl oder übel übernehmen muß. Hinterher kann man leicht alle Begrenztheit und Repressivität seiner täglichen Arbeit und Arbeitsumwelt mit den unausweichlichen Zwängen der Institution rechtfertigen, in der man arbeitet. Nicht selten müssen vorab die Höhe des Einkommens und die Stabilität des Arbeitsplatzes gegen die Festigkeit der eigenen Überzeugungen abgewogen werden. Wenn man erst mal ein paar Jahre in einer Institution arbeitet, übernimmt man unmerklich die institutionelle Sichtweise, sonst kann man in ihr nicht überleben.
Eine Zwangseinweisung in eine Klinik ist ein schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, der häufig in keinem Verhältnis zum Anlaß der Einweisung steht. Zwangseinweisungen werden oft leichtfertig aufgrund relativ harmloser Vorkommnisse vorgenommen, ohne zuvor ernsthaft nach anderen Lösungen zu suchen (wozu der Einweisende nach dem Unterbringungsgesetz eigentlich verpflichtet ist). Eine Einweisung kann schwere Gesundheitsschäden durch Behandlungsfolgen zur Folge haben. Es ist vielleicht nicht jedem bekannt, daß es in der Psychiatrie heute immer noch Elektroschocks, Zwangsjacken und Isolationsräume gibt. Auch Mißhandlungen durch Pflegepersonal kommt vor, und auch innerhalb der Klinikmauern begehen immer wieder Patienten Selbstmord. Da – nach psychiatrischer Sicht – der akut Verrückte nicht in der Lage ist, einen eigenen Willen zu bilden, können seine Wünsche ignoriert werden. Er kann gegen seinen Willen festgehalten werden. Er kann zu Medikamenten überredet werden, ja sie können ihm auch zwangsweise verabreicht werden. Vor den Klinikmauern enden die Menschenrechte. Andererseits erledigen die Kliniken das, was sich die soziale Gemeinschaft (die Familien, die Freunde und Kollegen) vom Hals schaffen wollen und oft müssen.
Ich möchte einem Irren keine Medikamente aufschwatzen. Ich halte ihn aber auch nicht davon ab, welche zu nehmen, wenn er das will. Es ist seine Entscheidung (oft keine leichte) ob er Medikamente nimmt oder nicht, wann, welche, wie viel, wie lange. Er braucht dazu Informationen über Wirkungen, Nebenwirkungen und Alternativen und ein nicht-manipulatives Verständnis. Er kann sich im Voraus absichern, indem er „im Zustand des unangezweifelten klaren Verstandes“ eine Patientenverfügung bei Freunden hinterlegt, wie mit ihm im Falle einer Psychose oder einer Klinikeinweisung verfahren werden soll. Er kann vertraute Personen per Vollmacht beauftragen, in diesem Fall seine Angelegenheiten zu regeln.
Die Integration der Verrückten in die Gesellschaft, damit die Integration der Traumwelt in die Normalität, würde die sozialen Beziehungen und Normierungen der Gesellschaft verändern, setzt aber diese Veränderungen gleichzeitig auch voraus. Ehemals gut gemeinte Reformeinrichtungen der Alternativ-Psychiatrie (therapeutische Wohngemeinschaften, Krisendienste, Kontaktzentren) werden mehr und mehr eingefangen von der Logik der Verwaltung scheinbaren Geldmangels. (Die Gesellschaft ist nicht arm, der Reichtum ist nur drastisch ungleich verteilt. Denken Sie mal an Bill Gates.)
Der Glaube, durch Delegation an Therapeuten oder Mediziner der Wahnsinnsschicht unserer Gesellschaft beizukommen, ist eine hoffnungsvolle Illusion des Therapiezeitalters. Eigentlich ist die Individualisierung des Wahnsinns nur eine neue Form des mechanischen Schuld-Denkens und der Ideologie des individuellen Glücks: „Du könntest ja auch mal bei Dir selber gucken … alle Probleme sind nur in Deinem Kopf.“
So lange die Gemeinschaft nicht anders kann, als repressiv und ausgrenzend miteinander umzugehen, wird es weiter Leute geben, in denen sich die paradoxe Klammer aus Repression und Haltlosigkeit sprengt, die daran „ausrasten“. Wer tief in sich hineinschaut, kann beides in sich entdecken: den Verrückten und den Wunsch, ihn wegzumachen.
Das heißt aber nicht, daß es nicht sinnvoll für Verrückte sei, Therapie zu machen. Das Problem ist die Therapiemotivation. Ich kenne keinen Verrückten der ernsthaft und langfristig bereit wäre, seinen Wahnsinn therapeutisch zu bearbeiten. Natürlich gibt es Irre in Therapie – aber woran arbeiten sie? Der Wahnsinn wird oft kaum thematisiert und noch weniger therapeutisch angegangen. Nicht nur, weil es dafür kaum psychotherapeutische Konzepte gibt, sondern auch, weil die Verrückten das gar nicht wollen bzw. können. Das ist das ungelöste Grundproblem. Wir Therapeuten haben offenbar den Schlüssel noch nicht gefunden. Derzeit ist alle Psychosen-Psychotherapie nicht viel mehr als ein Experimentieren.
Psychosen sind wohl hauptsächlich deshalb therapieresistent, weil in den derzeit üblichen therapeutischen Settings in dem Moment, in dem die Therapie die Psychose berührt (und das heißt: aktiviert), das therapeutische Bündnis zusammenbricht. Das erwachsene Ich des Klienten, mit dem der Therapeut Vereinbarungen geschlossen hat, ist nicht mehr vorhanden. Der Klient akzeptiert keine Grenzen und keine Abmachungen mehr, er ist nicht mehr zu bremsen und nicht mehr zu erreichen. Er agiert zuerst wie ein un-erzogenes Kind, dann bleibt er aus der Therapie weg. Oder er brabbelt in den Sitzungen nur vor sich hin. Manchmal ist er wieder erreichbar, wenn die akute Psychose vorüber ist oder medikamentös hinuntergedrückt wurde, und dann ist er wieder kooperativ. Aber dann erreicht die Therapie wieder nur die „neurotische“ Schicht „über“ der Psychose.
Verrückte leiden nach innen hin an dem Schrecklichen, das sie sind, und das sie vor ihrem Ausrasten nur in Totheit hat leben lassen. Nach außen leiden sie an der ausgrenzenden und repressiven Reaktion der Gemeinschaft auf ihre „Reisen ins Jenseits“.
Wahnsinn ist eine Krücke gegen der Normalität. Normalität ist eine Krücke gegen den Wahnsinn. Wer läßt sich schon gerne die Krücken wegschlagen? Wir alle leben mit unseren Krücken. Wahnsinn ist auch eine selbstgemachte Realitäts-Insel auf der Flucht vor dem noch Schlimmeren: die (oft schmerzhafte) Realität wirklich zu berühren.
Die Irrationalität des Wahnsinns ist der Versuch, die Realität bedürfnisgerecht zu machen: „Eure Welt tut mir zu weh – ich mach mir meine eigene“ … ein Versuch, der gelingt und an der inneren Ambivalenz des Irren scheitert. Aus Leiden am Panzer hat sich im Verrückten der Panzer gesprengt. Aus Leiden am Mangel an Bezug ist er ins Chaos eingetaucht. Er ist erst euphorisch wegen seines Sieges, aber dann schutzlos der „negativen Transzendenz“ und der Aggression der Gemeinschaft ausgeliefert.
Gesucht werden Therapeuten, die sich ihrer eigenen Unendlichkeit stellen, damit sie mit den Verrückten Kontakt finden, ohne von ihnen wegen ihrer Kleinkariertheit verachtet oder gefürchtet zu werden. Die meisten Therapeuten fühlen sich dabei ziemlich schnell überfordert.
Meine Hoffnung in der Psychosetherapie liegt darin, in Zeiten relativer Stabilität auf kontrolliertem Wege an die psychotische Schicht heranzutreten und sie in einem begrenzten Setting zum Leben zu erwecken und virulent zu machen. Natürlich kann es dem Therapeuten dabei leicht gehen wie dem Zauberlehrling, der nicht mehr beherrschen kann, was er gerufen hat. Er muß auf des Messers Schneide zwischen wirkungslosen „Telefonieren“ mit dem Klienten und dem Ausbruch der Psychose in einem explosiven Grenzgebiet arbeiten, in dem sowohl ein kontrollierendes Ich als auch die alles auflösende Psychose anwesend ist.
Nur mit dem Klienten über die Psychose zu theoretisieren, ist therapeutisch wirkungslos. Sie muß leben, um integriert werden zu können. Die Instrumente für eine solche Arbeitsweise sind von den neuen humanistischen Therapieformen schon entwickelt. Es ist möglich, durch bestimmte körpertherapeutische oder Atemtechniken die psychotische Schicht zu erreichen. Eine solche Arbeit ist voller Risiken und stellt die Verantwortung des Therapeuten vor kaum zu bewältigende Schwierigkeiten. Aber die Entwicklung alternativer Settings mit neuen, körperorientierten Methoden ist meines Erachtens die einzige Alternative zum medikamentösen Zudecken und Abtöten. Bisher ist solche Arbeit aber über ein Experimentierstadium nicht hinaus.
Der Begründer einer therapeutischen Richtung spricht immer auch über sich selbst. Theorie schöpft immer wesentlich aus der Introspektion. Freud, der die Therapie der Sexualneurosen begründet hat, war selbst im klinischen Sinne neurotisch. (Wenn man heute seine Theorien über den Ödipuskonflikt, Katrationsangst und Penisneid liest, kommt man nicht umhin, Freud selbst und seine Zeit in diesen Theorien zu sehen.) Reich und Jung hatten ernste psychotische Neigungen, haben diese aber nie wirklich bearbeitet. Vielleicht fehlen Therapeuten, die selbst verrückt waren und ihren Wahnsinn erfolgreich bearbeitet und integriert haben. Vielleicht werden erst solche Therapeuten den Durchbruch in der Psychosentherapie bringen, ähnlich der Arbeit der Ex-User in den Drogenprojekten.
Einige Formen außergewöhnlicher Lebensweise, die noch vor wenigen Jahrzehnten von einer gesellschaftlichen Inquisition verfolgt und kriminalisiert wurden, wie etwa die Homosexualität, werden heute als Varianten möglicher Lebensgestaltung toleriert. Die verschiedensten Subkulturen haben sich soziale Nischen mit eigenen Treffpunkten, Zeitschriften und Beziehungsnetzen geschaffen. Die Integration der Irren in die Gemeinschaft würde eine Hebung des Schattens in das öffentliche Bewußtsein erfordern, mindestens in den Bereich des Erwägbaren: „Es könnte schon sein, daß davon auch etwas in mir ist.“ Erst wer bereit ist, sich weniger in Konsum und Selbstverständlichkeiten einzuigeln, kann Raserei und Panik, Kopflosigkeit und Extase wieder als erlebbar annehmen.
Die autogene Droge Wahnsinn wirkt provokant auf die Normalität. Die vom Schatten Besessenen rufen nach einer erweiterten Kultur jenseits der Gedanken und Gefühle im ordentlichen Gleis. Je mehr wir uns gegenwärtig sind, daß der Kopf auch weit und wirr sein kann, daß das Herz auch zucken und brennen kann, daß sich der Bauch auch aufbäumen und zerreißen kann, umso näher können wir uns Wahnsinnige kommen lassen.
Ich kann kein Rezept anheften für den Umgang mit Irren. In manchen Fällen wird bei Leuten die ausrasten ein zunächst relativ harmloser Vorgang durch panische Reaktionen und verrückte Verwicklungen im sozialen Feld eskaliert. Häufig kann man dann zugespitzte Situationen (zumindest kurzfristig) erstaunlich leicht entdramatisieren. Häufig ist man aber ziemlich hilflos mit dem Produkt jahrzehntelanger Verwicklungen konfrontiert. Wenn es zu Drohung mit Gewalt kommt, kann man sich als Helfer oft auch ohne Zwang oder Delegation schützen, z.B. durch Rückzug oder Abgrenzung.
Noch vor 20 Jahren galt die Morphinabhängigkeit als praktisch unheilbar. Heute gibt es jede Menge Therapieeinrichtungen für Junkies. Es mußte für sie erst eine geeignete Umgangsform gefunden werden, nachdem herkömmliche Psychotherapie und Psychiatrie allgemein als fehlindiziert erkannt worden war. Vielleicht ist auch für das psychische und soziale Problem „Psychose“ die geeignete Form noch zu finden?
Wenn es „um die Wurst geht“, reagieren wir unweigerlich als ganze Person. Unter starkem Stress zeigt sich, wer man wirklich ist, und der Untergrund der Lebensgeschichte, die durchlebten und unbearbeiteten Konflikte werden sichtbar. Was man weiß oder denkt, spielt in Situationen, in denen es ernst wird, nur eine begrenzte Rolle. Und wenn man mit jemandem zu tun hat, der verrückt wird, dann wird es ernst. Wie weit eine Begegnung mit dem Wahnsinn für den Verrückten und für die Helfer fruchtbar oder destruktiv wird, entscheidet sich auf einer Ebene und in Momenten, in denen man eher reflexartig reagiert, ohne zu denken, wo man nackt dasteht. Im Kontakt mit Verrückten steht man immer nackt da, auch wenn man das nicht merkt. Und es ist nie ganz klar, wer von beiden wem hilfreich sein wird, und wer welche Heilung braucht und erhalten wird. So wie man eine Krankheit nicht „hat“, sondern in personaler Ganzheit ist, so kann auch Heilung nicht „getan“ werden.
Es gibt kein Buch, in dem man nachlesen kann, wie man das alles richtig macht.
Die entscheidenden Prozesse finden sowieso sehr weit innen, sehr persönlich statt.
„Nur was einer wirklich ist, hat heilende Kraft.“
C.G. Jung