Was ist von dem Hypnotiseur Jan Becker zu halten?
Am Dienstag, den 13. Januar 2016 führte der Showhypnotiseur Jan Becker im Berliner Radiosender 94,3 RS2 eine halbstündige „Abnehmhypnose“ durch, die komplett über den Sender ging. Die Aktion wurde von dem Sender wochenlang als „DAS größte Radioexperiment: Abnehmen einfach nur durch Radiohören“ promotet.
Jan Becker bezeichnet sich auf seiner Website www.jan-becker.de selbst als „sanfter Schädelchirurg„ (das sagt eigentlich schon alles, finde ich). In seiner dort nachzulesenden Biografie ist keinerlei qualifizierte Hypnose-Ausbildung zu erkennen, ebenso wenig wie irgendeine psychologische oder psychotherapeutische Basisausbildung. Er bezeichnet sich als „Deutschlands erfolgreichster und bekanntester Hypnotiseur mit der Fähigkeit zum Gedankenlesen“. Angeblich wurden unter der Leitung des „renommierten Neurowissenschaftlers“ Dr. Marc Thioux (kenne ich nicht) seine Fähigkeiten im Kernspintomograph überprüft. Sie seien „einer Besonderheit seines Gehirns zuzuschreiben“, denn „wenn er sich in andere hineinversetzt, arbeiten seine Spiegelneuronen auf Hochtouren“.
Was ist von dieser Aktion, von Jan Becker und seiner Hypnosetechnik zu halten?
Ich habe mir seine Radio-Hypnose angehört und mich dabei so gut es ging um Unvoreingenommenheit bemüht. Was ich daran gut fand (kann man ja auch mal sagen) war, dass er eine durchaus angenehme Stimme hat, und sich bemüht, weder invasiv eindringlich noch säuselnd zu sprechen. Auch manche seiner Suggestionen empfand ich durchaus als gut und passend.
ABER: Es gibt jede Menge kritische Punkte anzumerken, die insgesamt die Fragwürdigkeit einer solchen Aktion, der Person Jan Becker und der therapeutischen Anwendung durch unqualifizierte Showhypnotiseure insgesamt mehr als deutlich machen.
Zunächst haben mich die grandiosen, unrealistischen Anpreisungen seiner Aktion gestört. Wochenlang hörte ich in dem Sender von „dem GRÖSSTEN Radioexperiment“, von „Abnehmen EINFACH nur durch Radiohören“ durch „Deutschlands ERFOLGREICHSTEN Hypnotiseur“, und dass das „DAS Radioexperiment“ sei.
In der Hypnose selbst verwendet Becker eine mechanische Sprache, von der ich mich zu einem Ding reduziert fühlte, z.B: „wir werden etwas in deinem Unterbewusstsein installieren“. Ich fühlte mich verdinglicht zu einem Computer, in dem offenbar ein neues Programm „installiert“ werden sollte, und das auch noch in meinem Unterbewusstsein. (Wie, in meinem Unterbewusstsein soll etwas „installiert“ werden – wie soll das denn gehen?) Das fand ich bedrohlich.
Becker arbeitet nach den Prinzipien der klassischen, autoritären, direktiven (veralteten) Hypnose zur Induktion einer Trance praktisch ausschließlich mit
- Anweisungen: „entspanne deinen Kopf“, „ich möchte, dass du jetzt…“, „stelle dir vor…“ usw.
und mit
- Behauptungen: „beim Ausatmen entspannst du dich“, „bei jeder Zahl sinkst du tiefer“, „du bist jetzt in Hypnose“, „du siehst…“, „du lässt los“, „immer wenn… wirst du…“ usw.
So hat man bis etwa in die 1960er Jahre (also vor der ericksonianischen Wende) hypnotisiert. Das Problem dabei ist, dass Anweisungen sich an das Bewusstsein richten und das Unterbewusstsein in der Regel gar nicht erreichen. Der Zuhörer kriegt also einfach direkt gesagt was er tun soll, und das wird dann als hypnotische Suggestion verkauft.
Suggestionen in Form von Behauptungen lösen oft Widerstände aus, weil der Patient sich von ihnen in seinem aktuellen Befinden nicht erreicht fühlt: „Wie … nee … ich bin überhaupt nicht enspannt/in Hypnose … ich sehe das überhaupt nicht …“
Ich fühlte mich in meiner schon häufig gemachten Erfahrung bestätigt, dass Showhypnotiseure im Gegensatz zu ihrem grandiosen Auftreten von ihrer Technik her mit vollkommen veralteten Methoden arbeiten.
Das wird auch an der Zähltechnik deutlich, die Becker zur Induktion und zur Reorientierung benutzt: „mit jeder Zahl gehst du tiefer in Trance“, „mit jeder Zahl wirst du wacher“. Ich habe mich schon immer gefragt, was Zahlen eigentlich mit einem Weg in die Trance oder aus der Trance heraus zu tun haben sollen. Ebenso gut könnte man durch die Farben des Regenbogens gehen, die Buchstaben von A bis F oder die Sternzeichen zur Trance-Induktion benutzen. Die Zähltechnik ist veraltet und mechanisch.
In der Trance selbst gibt Becker überaus problematische Suggestionen, die einer Einladung zur Selbstaufgabe gleichkommen: „gib deine komplette Persönlichkeit in ein Gefäß … [dies wird in der Trance detailliert ausgeführt, und dann:] … vielleicht entsorgst du dieses Gefäß …“. Wie bitte – ich soll meine komplette Persönlichkeit entsorgen? Wie könnte ich das eigentlich tun, ohne mich selbst dabei zu „entsorgen“? Das ist gefährlich.
Um die geweckten grandiosen Erwartungen zu erfüllen arbeitet Becker in der Trance ständig mit unrealistischen Übertreibungen: „du hast die absolute Kontrolle“, „du hast ein riesiges Selbstvertrauen“, „du bist glücklich … absolut motiviert … absolut sicher …“, „du triffst in jeder Sekunde weise Entscheidungen“ usw. Solche grandiosen Versprechungen in Trance fördern narzisstisch überhöhte Selbstbilder und sind weit von realistischen Zielen einer hypnotischen Intervention entfernt.
Weil Becker nicht weiß, wie man professionell mit Essstörungen umgeht, greift er zu dem alten Muster, Probleme hypnotisch einfach wegmachen zu wollen: „gib alles Negative (?) in eine Wolke … all das Negative löst sich in Nichts auf“. Ich habe mich beim Hören gefragt, was „all das Negative“ in mir eigentlich sein soll. Das wird lange ausgeführt – offenbar habe ich eine Menge „Negatives“ in mir. Becker suggeriert, dass „das Negative in mir“ vernichtet werden müsse. Und dies könne geschehen, in dem ich es „einfach“ in eine Wolke gebe und es sich „auflösen“ lasse. Vom Standpunkt einer professionellen Arbeit mit Essstörungen (und überhaupt vom Standpunkt einer professionellen Arbeit mit menschlichen Problemen) ist das primitiv, unwirksam und hinterlässt im Patienten ein defizitorientiertes Selbstbild.
Viele seiner Suggestionen gibt Becker in der Ich-Form: „ich akzeptiere meinen Körper“ usw. Beim Hören habe ich mich gefragt, was das eigentlich mit mir zu tun hat, wenn Becker seinen Körper akzeptiert.
Das ganze Auftreten und der Stil von Becker folgt dem veralteten, autoritären Macho-Stil der Hypnose, den seriöse Hypnotherapeuten-Verbände seit Jahrzehnten nach Kräften zu überwinden suchen. In Beckers Stil ist es, um seine eigenen „besonderen hypnotischen Kräfte“ zu beweisen, ganz klar, dass er als Hypnotiseur die Hypnose selbst und auch die Veränderung durch die Hypnose „macht“. Er ist eindeutig der „Action-Man“, der „Macher“ der Hypnose und der hypnotischen Veränderung – die Zuhörer sind reine Empfänger seiner großartigen hypnotischen „Kräfte“. Für meine Begriffe widerspricht das diametral einem humanistischen Menschenbild und einem würdevollen Umgang mit dem Menschen.
Vieles von dem, was Becker in der Trance erzählt, hat mit Abnehmen im engeren und auch im weiteren Sinn gar nichts zu tun. Beispielsweise erzählt er die Wolfsgeschichte, die in der Therapeutenszene inzwischen ziemlich bekannt ist: „In jedem Menschen leben zwei Wölfe, die miteinander einen furchtbaren Kampf kämpfen (!) … es gewinnt immer der Wolf, den du fütterst.“ Ich kann nicht erkennen, was diese Geschichte unmittelbar mit Abnehmen zu tun hat, abgesehen davon, dass das Wort „fütterst“ noch eine Weile in mir nachklang, und ich irgendwie den Impuls verspürte hatte, mich „füttern“ zu wollen. Dann aber dachte ich, dass man einen Wolf eigentlich nicht füttert, und das Wölfe eigentlich recht gefährliche Tiere sind (zumindest denkt man das). Die Vorstellung, dass in meinem Inneren zwei Wölfe miteinander „einen furchtbaren Kampf kämpfen“ fand ich wirklich gruselig. Mit solchen Bildern werden beim Hörer überaus problematische und konfliktverstärkende Selbstbilder erzeugt.
Becker verwendet vielfach Problem-verstärkende Formulierungen wie: “ … Gier … Eifersucht … Hass … Neid … Hunger … die Langeweile stiftet dich zu ungesundem Essverhalten an … du verspürst Hunger“ und immer wieder: „… Essen … Essen … Essen … Heißhunger … Verlangen“, „du isst aus emotionalen Gründen“ usw. Qualifizierte Hypnotiseure wissen, dass solche Formulierungen, vor allem wenn sie in Trance vielfach wiederholt werden, das hervorrufen, was sie aussagen. Ich hatte nach der Trance jedenfalls ziemlichen Hunger und dachte die ganze Zeit an Essen.
Dasselbe geschieht durch Suggestionen in negativer Form: „du gehst nicht zum Kühlschrank … nicht was du denkst ist wichtig … das Essen schmeckt plötzlich nicht mehr gut … du versuchst nicht, deine Emotionen (?) durch Essen zu befriedigen … du bist … nicht ausgeliefert“ usw. Negativ-Suggestionen in Trance werden von der Seele als Suggestionen in positiver Form wahrgenommen, und genauso war es auch bei mir.
Nebenbei war mir nicht klar, was das bedeuten soll, dass ich „meine Emotionen“ durch Essen befriedige. Anscheinend meinte Becker nicht Emotionen sondern Bedürfnisse, denn Emotionen kann man nicht befriedigen. Um das zu wissen, muss man nicht Psychologie studiert haben, dazu reicht ein durchschnittliches Verständnis der deutschen Sprache eigentlich aus.
Weil Becker nicht weiß, wie man mit psychischen Problemen wie Übergewicht professionell arbeitet, verwendet er völlig verschwurbelte therapeutische Konzepte: „Sage zu dir selbst: ‚ich vergebe mir all das, was mich in der Vergangenheit verletzt hat‘.“ Wie bitte? Ich soll mir vergeben, was mich verletzt hat? Was soll das denn? Das ist doch reiner Unsinn. Schlimmer: es suggeriert indirekt, ich sei verantwortlich für das, was mich verletzt hat und trüge die Schuld daran, die ich mir nun selbst „verzeihen“ müsse. So etwas verstärkt psychisches Leid statt es zu lindern.
Geradezu unverantwortlich fand ich, dass Becker in einer Radio-Sendung (also einem komplett ungeschützten Rahmen) mit unreflektierten und zeitlich unbegrenzten Suggestionen auftritt wie: „dein Unterbewusstsein öffnet sich jetzt ganz weit“, „alles was ich von jetzt an (!) zu dir sage, wird sofort zu deiner Realität“ usw. Ich habe mich gefragt, was passieren würde, wenn ich ein traumatisierter Mensch wäre, dessen Unterbewusstsein sich jetzt zuhause im Wohnzimmer neben dem Radioapparat „ganz weit öffnet“. Oder wenn ich magersüchtig wäre und die Suggestion erhalte: „du erreicht dein Wunschgewicht“ (für Magersüchtige ist ihr „Wunschgewicht“ praktisch gar kein Gewicht mehr).
Fazit: Hier ist ein einer am Werk, der offenbar nicht weiß, was er tut. Die medienwirksame und zweifellos für Becker finanziell höchst einträgliche Aktion zeigt wieder einmal, dass Hypnose eine gründliche Ausbildung voraussetzt, dass Showhypnotiseure im Gegensatz zu ihrem grandiosen Auftreten überaus primitive Hypnotiseure sind, und dass die psychotherapeutische Anwendung von Hypnose in die Hände von qualifizierten Fachleuten gehört.
Werner Eberwein