Was ist posthypnotische Amnesie?

Posthypnotische Amnesie bedeutet ein hemmender Einfluss auf die Gedächtnisfunktion: die Unfähigkeit zu erinnern, was während der hypnotischen Trance erlebt oder gelernt wurde.

Posthypnotische Amnesie gilt als ein klassisches hypnotisches Phänomen, es gehört mit zu den spektakulärsten hypnotischen Phänomenen.

Posthypnotische Amnesie kann:

1.) spontan nach der Reorientierung aus der Trance auftreten,

2.) aufgrund von spezifischen Suggestionen in der Trance auftreten.

Sie bezieht sich:

1.) auf Teile (Teilamnesie),

oder auf

2.) alles (komplette Amnesie).

Mit zunehmender Trancetiefe wird der Hypnotherapeut vom Patienten mehr und mehr nur noch am Rande und schließlich gar nicht mehr personal als „Sender“ der Suggestion wahrgenommen. Der Patient hat dann eine Quellenamnesie, das heißt, er setzt eine Suggestion um, obwohl er sich nicht bewusst ist, woher er die Suggestion erhalten hat (d. h. vom Hypnotherapeut), oder sogar, dass er überhaupt eine Suggestion erhalten hat.

Respektvoll und mit Umsicht angewandt können sie dem dem Patienten Impulse geben, die ihn über die habituelle Begrenztheit seines Alltagsbewusstseins und seiner mustergetriebenen Gewohnheiten hinausführen können.

Beispiel: In einer Gruppentrance in einem Seminar in einer Hypnotherapie-Fortbildung erzählte ich eine weitschweifige Geschichte über „Samenkörner, die im Herbst in die Erde gepflanzt werden, die im innern der Erde reifen, und die nach dem Winter im Frühling sich zu fruchtbaren Pflanzen entwickeln“. (Das Seminar fand im Herbst statt, und die Ausbildung dauerte bis zum Frühsommer des kommenden Jahres.)

Posthypnotische Amnesie können z.B. dann eingesetzt werden, wenn:

1.) der Klient in Trance mit verdrängten traumatischen Inhalten aus der Vergangenheit (eine schmerzhafte Einsicht, ein überwältigender Affekt o.ä.) konfrontiert wird, diese sind für ihn aber noch zu belastend, um sich mit Ihnen im Alltag auseinanderzusetzen,

2.) Suggestionen am Wachbewusstsein „vorbeigeschleust“ werden sollen, um sie nicht einer rationalen Analyse auszusetzen, wenn z.B. psychosomatische oder somatoforme Patienten, mit denen in einer Therapiesitzung ein erstes Verständnis für ihre „körperlichen“ Symptome erarbeitet wurde und sie nun bis zur nächsten Sitzung gehindert werden sollen, darüber nachzudenken,

3.) der Klient ein neues Verhalten nicht als Folge von Suggestionen attribuieren soll, sondern als „unwillkürlich“ und kann so er zu einer internalen und stabilen Attribuierung führen,

4.) wenn selbstschädigendes Verhalten zu erwarten ist.

Eine Schein-posthypnotische Amnesie kann dann auftreten, wenn die Erinnerungen zwar bewusst sind, aber z.B. die Zunge gelähmt ist (motorische Inhibition), oder dass sie im Prinzip schon wussten, dass sie in dem Moment einfach nicht ins aktive Gedächtnis bringen können (amnestische Aphasie).

Von gewöhnlichem Vergessen wird die posthypnotische Amnesie dadurch abgegrenzt, dass sie auf ein vorher etabliertes Signal reversibel ist.

Eine Erklärung für posthypnotische Amnesie ist der Begriff der „Dissoziation“: eine „horizontale“ Spaltung vormals zusammengehörige Bewusstseinsinhalte, eine Spaltung kognitiver Subsysteme, ein dominantes Ich-System hat dann keinen Zugriff mehr auf ein sub-dominantes System, weil eine amnestische Barriere den Zugang versperrt.

Von einem „Zustandsgedächtnis“ sprechen wir, wenn die Patienten sich nur während eines erneuten Trancezustandes an die Erlebnisse in den letzten Trancezustand erinnern, nicht aber in Wachzustand.

Direktive Suggestion von posthypnotischer Amnesie

In der Reorientierung:

„… wenn ich bei „eins“ ankomme, dann können Sie sich nicht mehr erinnern (amnestischer Inhalt) …“.

Eine andere Technik ist, wenn ein bedrohlicher Inhalt in einem imaginiertenTresor“ verstaut wird.

Indirekte Suggestion von posthypnotischer Amnesie

Eine Möglichkeit, posthypnotisch Amnesie zu erzeugen, ist die mehrfache Einbettung von dargebotenem Material. Dieses Modell ist vor allem für die Arbeit mit Metaphern gut. Das ist eine Gelegenheit, bei weniger suggestiblen Personen eine posthypnotische Amnesie zu erzeugen.

Es hat ihren Ursprung in der in den orientalischen Märchen üblichen Verschachtelung von Geschichten (z.B. „Tausendundeine Nacht“).

Man beginnt zuerst mit einer ersten Geschichte, unterbricht diese, um mit einer zweiten Geschichte anzufangen, unterbricht diese ebenfalls, um mit der dritten Geschichte zu beginnen. Danach wird zuerst die zweite Geschichte zu Ende geführt und dann die erste Geschichte zu Ende geführt. Das erleichtert posthypnotische Amnesie für (zumindest) die dritte Geschichte.

Eine weitere Technik für posthypnotische Amnesie sind die sogenannten „Konfusionstechniken“. Dabei handelt es sich um einen Witz, um ein Rätsel oder eine verwirrende Aufgabe, die das Wachbewusstsein an den Konfusions-Inhalt bindet und dadurch die posthypnotische Amnesie fördert.

Nach der Reorientierung kann auf jede weitere Bezugnahme auf die Themen während der Trance verzichtet werden und sogar durch einen abrupten Wechsel im Ton und Inhalt so getan werden, als hätte die Trance noch gar nicht stattgefunden. Das kann man am besten dadurch erreichen, dass man nach der Reorientierung, die letzten, vor der Trance angesprochenen Inhalte wieder aufgreift. Das kann durch räumliche Stimuli unterstützt werden, indem die Arbeit in Trance auf einem getrennten „Trance-Stuhl“ stattfindet und in der Trance wird der Patient auf einen „Wach-Stuhl“ geleitet und dann dort aufgeweckt.

Kritik

Der amnestische Effekt hypnotischer Suggestion führt zu diversen Möglichkeiten der Manipulation, die zu narzisstischer Selbstbestätigung des Therapeuten einladen, therapeutische Allmachts-Illusionen fördern und unrealistische Hoffnungen bezüglich der Einsatzmöglichkeiten von Hypnose Vorschub leisten können.

Eine extrem pathologische Ausprägung kann man bei der dissoziativen Identitätsstörung finden.

Werner Eberwein