Was ist Imagination?
Imagination bedeutet wörtlich „Vorstellungskraft“. Sie bezeichnet die Fähigkeit des Menschen, innere Bilder, Szenen, Geräusche, Gefühle oder ganze Erlebnisse entstehen zu lassen – unabhängig davon, ob diese gerade von der äußeren Realität gegeben sind.
Man könnte sagen: Imagination ist das innere „Kino im Kopf“, das sowohl bewusst angeregt als auch unbewusst ablaufen kann.
Merkmale der Imagination
- Bildhaftigkeit: Es entstehen innere Bilder oder Szenen.
- Sinnesübergreifend: Sie kann alle Sinne einschließen (z. B. Sehen, Hören, Riechen, Fühlen, Schmecken).
- Kreativität: Sie ermöglicht, Neues zu erfinden, zu kombinieren oder zu verändern.
- Realitätsähnlichkeit: Imaginierte Erlebnisse können sich „wirklich“ anfühlen, auch wenn sie nur innerlich stattfinden.
Formen der Imagination
- Spontane Imagination: Tagträumen, Fantasieren, innere Szenen, die von selbst auftauchen.
- Gelenkte Imagination: bewusst eingesetzte Vorstellung, z. B. beim mentalen Training, in der Hypnotherapie, bei geführten Meditationen oder in der Kunst.
- Symbolische Imagination: innere Bilder, die eine tiefere Bedeutung haben, etwa in Träumen, Mythen oder in therapeutischen Prozessen.
Bedeutung
- Alltagsleben: Planung, Problemlösung, Kreativität, Erinnern, Träumen.
- Kunst & Wissenschaft: Entwerfen, Komponieren, Erfinden.
- Psychotherapie: Ressourcen aktivieren, Trauma verarbeiten, Selbstheilungskräfte ansprechen (z. B. mit imaginativen Techniken wie der „sicheren inneren Ort“).
- Körperliche Wirkung: Vorstellungen können physiologische Reaktionen auslösen (z. B. Speichelfluss, wenn man an eine Zitrone denkt).
Kurz gesagt: Imagination ist die menschliche Fähigkeit, Wirklichkeiten innerlich zu erschaffen, die genauso wirksam sein können wie äußere Erlebnisse.
Grundidee
Imagination ist hier die gezielte Nutzung innerer Vorstellungsbilder als therapeutisches Werkzeug. Die Idee: Was wir uns intensiv vorstellen, wirkt auf Gefühle, Körper und Verhalten fast so, als würden wir es real erleben. Dadurch können Ressourcen gestärkt, Belastungen gemildert und innere Konflikte bearbeitet werden.
Wichtige Funktionen in der Psychotherapie
- Ressourcen aktivieren
Klienten stellen sich z. B. einen „sicheren Ort“ vor, eine beschützende Gestalt oder eine Quelle von Kraft. Das fördert innere Stabilität und Sicherheit. - Emotionsregulation
Mit Hilfe von Imagination lassen sich Gefühle beruhigen (z. B. „kühlender Regen auf heißer Wut“) oder positive Gefühle aufrufen (z. B. Wärme, Geborgenheit). - Traumabearbeitung
In der Traumatherapie werden belastende Erinnerungen durch imaginative Techniken „umrahmt“ oder geschützt, etwa durch Screen-Techniken, den „inneren Helfer“ oder das Tresorbild. - Symbolische Bearbeitung
Schwierige innere Konflikte oder Erfahrungen können in Bildern auftauchen (z. B. ein dunkler Wald, ein zerbrochener Spiegel). Durch Veränderung der Bilder wird psychische Veränderung ermöglicht. - Kreatives Problemlösen
Innere Bilder können neue Perspektiven eröffnen, wo Worte nicht mehr reichen.
Methoden & Verfahren
- Katathym Imaginative Psychotherapie (KIP): Arbeit mit geführten Tagträumen zu Motiven wie „Wiese“, „Haus“, „Fluss“.
- Imaginative Stabilisierungstechniken (z. B. in der Traumatherapie nach Reddemann): „Sicherer Ort“, „innere Helfer“, „Schutzmantel“.
- Hypnotherapeutische Imaginationen: Trance-Induktionen, die innere Bilder nutzen, um Heilungsprozesse zu fördern.
- Achtsamkeits- und Imaginationsübungen: Visualisierung von Atem, Licht, Körperreisen.
Wirkmechanismen
- Neurobiologisch: Imagination aktiviert ähnliche Hirnareale wie reale Wahrnehmung → reale Gefühle und Körperreaktionen entstehen.
- Psychologisch: Bilder sind oft leichter zugänglich als rationale Sprache und können Unbewusstes ausdrücken.
- Therapeutisch: Die aktive Mitgestaltung innerer Bilder gibt Klienten das Gefühl von Kontrolle und Selbstwirksamkeit.
Beispiel aus der Praxis
Eine Patientin mit traumatischen Erinnerungen hat starke innere Unruhe.
- In der Sitzung wird sie eingeladen, einen „sicheren inneren Ort“ zu gestalten: Sie stellt sich eine Hütte am Meer vor, mit einer warmen Decke und dem Geräusch der Wellen.
- Dieses Bild wirkt beruhigend und kann später in belastenden Momenten spontan abgerufen werden.
- In späteren Schritten können innere Helferfiguren hinzukommen, die in traumatischen Szenen unterstützend wirken.
Kurz gesagt:
Im psychotherapeutischen Kontext ist Imagination eine zentrale Technik, um mit inneren Bildern Stabilität, Heilung und Veränderung zu fördern.
Werner Eberwein
