Was ist humanistische Hypnotherapie?
Der Begriff „humanistische Hypnotherapie“ erscheint zunächst paradox: Im traditionellen Verständnis arbeitet Hypnotherapie mit bewusstseinsferner suggestiver „Einflussnahme“ in einem Zustand der Versenkung. Humanistische Psychotherapie hingegen betont achtsames Gewahrsein, Wahlfreiheit, Gestaltungskraft und Selbstverantwortung des Patienten. Wie geht das zusammen? Ich praktiziere Hypnotherapie auf der Basis einer humanistischen Grundhaltung. Das ist eine besonders wirkungsvolle Arbeitsweise für existenziell wirksame und nachhaltige psychotherapeutische Transformationsprozesse.
Was ist Hypnotherapie?
Jeder Mensch kennt spontane Trance-Zustände im Alltag, Momente seltsamer Abwesenheit, Dösigkeit oder Versunkenheit, zum Beispiel bei längeren Autofahrten oder ausgelöst durch eine ergreifende Musik oder einen spannenden Kinofilm. Trance ist ein veränderter Zustand des Erlebens und Verhaltens, der weder mit dem alltäglichen Wachbewusstsein, noch mit Schlaf identisch sind. Vergleichbare leichte oder tiefere dissoziative Zustände von Entspannung und Versenkung werden im Rahmen einer Hypnotherapie vom Therapeuten eingeladen, angeleitet und begleitet, und ihre speziellen Möglichkeiten werden psychotherapeutisch genutzt. Das kontinuierliche Hinübergleiten in den Trancezustand und dessen therapeutische Nutzung geschieht mit Hilfe von Suggestion (d.h. von Vorschlägen, Einladungen). Das können auf eine bestimmte Weise formulierte Worte oder Sätze, die Stimmlage, aber auch behutsame Berührungen oder innere Bilder sein.
Ein Zustand mit besonderen Fähigkeiten
Trance bedeutet eine Verminderung der kontrollierenden, aber auch musterverhafteten Aktivitäten des alltäglichen Wachbewusstseins und gleichzeitig eine Stärkung der selbstständigen, kreativen Möglichkeiten des Unbewussten. Das Alltagsbewusstsein tendiert dazu, in gewohnten emotionalen, kognitiven und sozialen Mustern zu verharren und damit auch zur Aufrechterhaltung psychischer Probleme beizutragen. Entsprechend kann das Eintauchen in einen flexibleren, ressourcenvollen Bewusstseinszustand helfen, psychotherapeutisch Fortschritte zu erreichen.
Abgespaltene Anteile und Ressourcen
Psychische Anteile, die (besonders in der Kindheit) als unerträglich empfunden wurden, sind oft vom Bewusstsein oder anderen psychischen Anteilen getrennt gehalten („dissoziiert“), d.h. normalerweise integrierte psychische Funktionen sind voneinander isoliert. So kann beispielsweise die Wahrnehmung des Körpers aus dem Gewahrsein abgespalten sein, die Kontinuität des Gedächtnisses kann unterbrochen, traumatische Gefühle und Erinnerungen können unzugänglich sein, was zu verschiedenen Formen von psychischem Leid beiträgt. In Trance ist es möglich, abgespaltene Anteile mit spezifischen hypnotischen Techniken behutsam verarbeitbar und integrierbar zu machen.
Das Unbewusste beinhaltet aber nicht nur das Verdrängte, sondern auch eine Vielfalt von Ressourcen, von latenten Fähigkeiten, die in Trance angesprochen und aktiviert werden können, um sie zur Bewältigung anstehender Probleme einzusetzen. Der Trancezustand dient dazu, Zugang zum Unbewussten zu ermöglichen um abgespaltene Anteile zu integrieren sowie latente Ressourcen zu aktivieren und auf posthypnotische Weise im Alltag des Patienten fruchtbar werden zu lassen.
Einladung zu Erfahrungen
Obwohl oft so vermutet, ist Hypnose ist kein Verfahren, dass passiv heilt. Ebenso besteht moderne, und vor allem humanistisch orientierte Hypnotherapie nicht in einem beziehungslosen „Umprogrammieren“. Dies entspräche einer Entmündigung und Verdinglichung des Patienten und kann retraumatisierend wirken. Ziel der humanistischen ist die Förderung der Autonomie und der Wahlfreiheit des Patienten, seiner authentischen Bewältigungsfähigkeiten und personalen Gestaltungskräfte. Es wird keinerlei hypnosuggestiver Druck oder gar Zwang ausgeübt. Der Patient wird nicht auf raffinierte Weise manipuliert oder gedrängt, etwas Bestimmtes zu tun, zu denken oder zu fühlen. Seine Erfahrungs- und Entscheidungsmöglichkeiten werden in keiner Weise eingeschränkt. Die hypnotischen Suggestionen in der humanistische Hypnotherapie sind vielmehr dialogisch-kommunikative Einladungen, neue Erfahrungen zu machen eine Anregungen zu kreativen Lösungs- und Wachstumsprozessen sowie zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen Lebensgestaltung.
Förderung der Selbstgestaltungskraft
Jede nur erdenkliche Reaktion des Patienten auf die suggestiven Einladungen des Therapeuten wird akzeptiert und begrüßt, aufgegriffen und im Sinne des therapeutischen Prozesses aufgegriffen und weiterentwickelt, Ob nun scheinbar nichts (unmittelbar Wahrnehmbares) geschieht, ob der Patient der Suggestion des Therapeuten folgt, oder ob die Prozesse in seinem Unbewussten in eine völlig andere Richtung gehen – das Vertrauen in die autogene Selbstgestaltungskraft des Patienten steht im Mittelpunkt der Therapie. Aus der dialogisch geförderten kreativen Eigendynamik des Patienten können sich nachhaltige psychotherapeutische Fortschritte entwickeln. Manchmal bringen die Suggestionen des Therapeuten auch erst zeitverzögert unerwartete Lösung- und Reifungsprozesse im Patienten hervor.
Akzeptanz und Konfrontation
Die Erfahrung, als ganzer Mensch vom Therapeuten angenommen und auch in Verstricktheit, Leid und Hilflosigkeit gemocht und im Bemühen um Bewältigung wertgeschätzt zu werden also eine zuverlässige solidarische Bindung zum Therapeuten sind zentrale Bedingungen des humanistisch-hypnotherapeutischen Prozesses. Dabei ist es nicht so, dass der Therapeut seinen Patienten immer nur harmonisierend bestätigt. Er kann den Patienten auch zur konstruktiven Auseinandersetzung mit bisher Vermiedenem einladen und die dabei auftretenden ambivalenten Emotionen und Übertragungen thematisieren und mit dem Patienten durcharbeiten. Im Unterschied zur klassischen Hypnose und zur hypnotischen Kurzzeittherapie beinhaltet der humanistische Ansatz Möglichkeiten, den Patienten in Trance behutsam zur Konfrontation mit Anteilen seiner Persönlichkeit und Erfahrungen einzuladen, die er bisher vermieden, verleugnet oder auf andere Weise abgewehrt hat.
Prozessorientierter Ansatz
Humanistische Hypnotherapie ist kein strategischer, sondern ein prozessorientierter Ansatz. Die Therapie folgt nicht einem zu Beginn schon feststehenden Plan oder Programm. Zu Beginn der Therapie steht nicht fest, wie sich die Themen und Probleme des Patienten im Laufe der Therapie entwickeln werden, und welche Ziele der Patient auf welchem Wege verfolgen wird. Dem Patienten wird keine Richtung suggeriert, vielmehr wird er fortlaufend nach Kräften dabei unterstützt, aus der Intuition seines eigenen Unbewussten heraus und unter Abprüfung der langfristigen sozialen Konsequenzen selbst einen verantwortlichen Lebensweg zu finden.
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Existenzielle Reflexion und Orientierung
Humanistische Hypnotherapie wird in der Regel im Rahmen einer integrativen Langzeittherapie angewandt, in der es nicht um ein einzelnes, isoliertes, fokussierbares Problem geht, sondern um durchgängige Beziehungs- und Bedeutungsmuster des Patienten, die in vielen Lebensbereichen psychisches Leid verursachen bzw. aufrechterhalten.
Die humanistischen Hypnotherapie geht davon aus, dass jeder Mensch über eine „innere Weisheit“, über Intuition und ein „Bauchgefühl“ verfügt, mit dem er in Trance in Dialog treten kann. Das vertiefte Erleben des Hier und Jetzt kann helfen, die aktuellen Probleme vor dem Hintergrund der eigenen Biografie zu verstehen und konstruktive Umgangs- und Lebensweisen zu entwerfen. Ein humanistischer Hypnotherapeut kann den Patienten in Trance anleiten, Beziehungs- und Einstellungsmuster, ungelebte Bedürfnisse und Fähigkeiten sowie einschränkende Selbstbilder zu erkunden, zu reflektieren und zu transformieren und sich mit existenziellen Fragen zum Beispiel nach Sinn und Werten, Identität und Wandlung, Freiheit und Verantwortung, Endlichkeit und Absurdität auseinanderzusetzen.
Humanistische Hypnotherapie eröffnet mit den speziellen Möglichkeiten von Trance-Zuständen neue geistige Perspektiven und vermittelt signifikante emotionale Erfahrungen mit dem Ziel, das Selbstbild des Patienten zu harmonisieren und nachhaltige und authentische, existenzielle Neugestaltungen des Lebensweges des Patienten zu fördern.
Werner Eberwein