Was ist Fundamentalismus?
Fundamentalismus bezeichnet eine strenge, wörtliche und kompromisslose Auslegung von Glaubens-, Weltanschauungs- oder Ideologiegrundsätzen. Menschen oder Gruppen mit fundamentalistischer Haltung sehen ihre Überzeugungen als absolute Wahrheit, die nicht hinterfragt oder verändert werden darf.
Grundidee:
Der Begriff kommt vom englischen fundamentals = „Grundlagen“. Fundamentalisten wollen zu den ursprünglichen, „reinen“ Fundamenten ihres Glaubens oder ihrer Lehre zurückkehren. Sie lehnen moderne oder kritische Deutungen oft ab, weil sie darin eine Verfälschung oder Bedrohung der Wahrheit sehen.
Ursprung des Begriffs:
Der Begriff entstand um 1900 in den USA:
- Konservative protestantische Christen veröffentlichten eine Schriftenreihe mit dem Titel „The Fundamentals“ (1910–1915). Darin verteidigten sie eine wörtliche Auslegung der Bibel gegen moderne Theologie und Evolutionstheorie.
- Von dort breitete sich der Begriff auf andere Religionen und Weltanschauungen aus.
Heute wird „Fundamentalismus“ breiter verwendet:
Er kann sich auf Religionen, aber auch auf politische oder ideologische Bewegungen beziehen.
Religiöser Fundamentalismus:
- Christlicher Fundamentalismus: wörtlicher Glaube an die Bibel, Ablehnung der Evolution, Betonung moralischer Regeln.
- Islamischer Fundamentalismus: strenge Orientierung am Koran und an der Scharia; Ablehnung westlicher Einflüsse.
- Jüdischer, hinduistischer oder buddhistischer Fundamentalismus: ähnliche Tendenzen, meist als Reaktion auf Modernisierung oder Globalisierung.
Merkmale des Fundamentalismus:
| Merkmal | Beschreibung |
| Absolutheitsanspruch | Nur die eigene Lehre gilt als wahr; andere Sichtweisen werden abgelehnt |
| Wörtliche Auslegung heiliger Texte oder Grundsätze | Kein Raum für Interpretation oder Kontext |
| Ablehnung von Moderne und Säkularisierung | Wissenschaft, Demokratie oder Gleichberechtigung gelten oft als Bedrohung |
| Kollektive Identität | starke Abgrenzung nach außen |
| Autoritätsglaube | Orientierung an religiösen Führern, Schriften oder Traditionen |
| Missionarischer oder kämpferischer Eifer | Ziel ist oft, die Gesellschaft zu reinigen oder zu bekehrten |
Ursachen:
Fundamentalismus entsteht häufig in Zeiten sozialer, kultureller oder moralischer Verunsicherung, z. B. durch:
- Globalisierung und Wertewandel
- Technologische und gesellschaftliche Veränderungen
- Gefühl von Identitätsverlust oder Machtlosigkeit
Er bietet scheinbare Sicherheit durch klare Regeln, Identität und Gemeinschaft.
Kritik:
Kritiker werfen dem Fundamentalismus vor:
- Intoleranz gegenüber anderen Religionen, Lebensweisen oder Meinungen,
- Gefahr für Demokratie und Menschenrechte,
- Tendenz zu Fanatismus oder Gewalt, wenn Andersdenkende bekämpft werden.
Beispiel: Islamischer Fundamentalismus
Islamischer Fundamentalismus bezeichnet Bewegungen, die den Islam in seiner ursprünglichen Form wiederherstellen wollen, wie sie ihn im frühen 7. Jahrhundert verstehen. Sie fordern, dass Gesellschaft, Politik und Recht vollständig nach der Scharia (islamischem Recht) gestaltet werden.
Entstehung:
- Entstand im 20. Jahrhundert als Reaktion auf Kolonialismus, westliche Einflüsse und Säkularisierung.
- Viele Muslime fühlten, dass westliche Werte traditionelle Lebensweisen verdrängen.
- Fundamentalistische Gruppen sahen darin einen Verlust religiöser Identität und forderten eine „Rückkehr zum wahren Islam“.
Beispiele:
- Muslimbruderschaft (gegründet 1928 in Ägypten): wollte das islamische Recht zur Grundlage des Staates machen.
- Taliban (Afghanistan): interpretieren den Koran und die Scharia extrem streng; lehnen westliche Bildung und Frauenrechte weitgehend ab.
- Iranische Revolution (1979): führte zur Errichtung einer islamischen Republik unter Ajatollah Khomeini – eine theokratische Staatsform.
Kritik:
- Intoleranz gegenüber anderen Religionen und Strömungen des Islam.
- Einschränkung der Rechte von Frauen und Minderheiten.
- Gefahr extremistischer Gewalt, wenn religiöse Ziele mit politischer Macht verknüpft werden.
Beispiel: Christlicher Fundamentalismus
Entstand Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA, als konservative Protestanten die wörtliche Gültigkeit der Bibel verteidigten – besonders gegen die Evolutionstheorie und moderne Bibelkritik.
Merkmale:
- Wörtliche Auslegung der Bibel (z. B. Schöpfungsgeschichte als historische Tatsache).
- Ablehnung der Evolutionslehre („Kreationismus“).
- Betonung traditioneller Werte, z. B. gegen Abtreibung oder Homosexualität.
Beispiel:
- „Bible Belt“ in den Südstaaten der USA: Regionen, in denen konservativ-evangelikale Kirchen großen gesellschaftlichen Einfluss haben.
- Kreationistische Bewegungen setzen sich dafür ein, dass Schöpfungsglaube im Biologieunterricht gelehrt wird.
Kritik:
- Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen.
- Intoleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen oder Lebensformen.
- Einfluss auf Politik (z. B. Bildung, Sexualmoral, Klimapolitik).
Beispiel: Politischer Fundamentalismus
Politischer Fundamentalismus tritt auf, wenn politische Ideologien (nicht Religion) als absolute Wahrheit betrachtet werden. Abweichende Meinungen werden nicht akzeptiert.
Beispiele:
- Kommunistischer Fundamentalismus im Stalinismus: absolute Bindung an die Ideologie des Marxismus-Leninismus; keine Meinungsfreiheit, politische Säuberungen.
- Rechtsextremer Nationalismus: Vorstellung, dass eine Nation oder „Rasse“ über allen anderen steht; Ablehnung von Demokratie und Pluralismus.
Kritik:
- Führt oft zu Diktatur, Gewalt und Unterdrückung Andersdenkender.
- Kein Raum für Kompromisse oder demokratische Vielfalt.
Fazit:
| Art des Fundamentalismus | Ziel | Kennzeichen | Gefahr |
| Religion (z. B. islamisch, christlich) | Rückkehr zu reinem Glauben | Wörtliche Textauslegung, Ablehnung moderner Werte | Intoleranz, Gewalt im Namen des Glaubens |
| Politisch (z. B. ideologisch) | Durchsetzung absoluter Weltanschauung | Kein Raum für Kritik, Führerkult | Diktatur, Unterdrückung |
Werner Eberwein
