Was ist Faschismus?
Woher stammt das Wort Faschismus?
Das Wort Faschismus stammt von dem italienischen Wort „fascio“: Bund. Dieses wieder kommt von den lateinischen Worten „fascia“: Band bzw. „fascis“: Bündel. Als „fascis“ wurde im Römischen Reich ein Rutenbündel bezeichnet, in dem eine Axt steckte; es war das Amtssymbol der höchsten Machthaber des Römischen Reiches.
Das Wort steckt auch in dem Begriff „Faszien“. So werden die faserigen Bindegewebe genannt, die den ganzen Körper umhüllen.
„Fascia“ heißt bezeichnenderweise auch die Datenbank der US-amerikanischen NSA, die vom weltweiten Mobilfunk alle gewählten Telefonnummern, die jeweils angewählte Funkzelle, die Gerätenummer und die SIM-Karten-Nummer speichert.
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„Fasci di combattimento“ (ital. für Kampfbünde) nannten sich die paramilitärischen Milizen des italienischen Faschismus unter Mussolini (auch als Schwarzhemden, Sqadristen, später als Faschistische Miliz oder Schwarze Brigaden bezeichnet).
Unklares
Zum Thema Faschismus gibt es unzählige Untersuchungen. Darin werden vielfältige Fragen diskutiert, wobei es über manche bis heute keinen Konsens gibt, vor allem bezüglich der verschiedenen historischen und aktuellen Varianten von Faschismus, verdeckten oder maskierten Formen und den Veränderungen im Zeitablauf faschistischer Regime. (Von ihren Frühformen über die Vorbereitung der Machtergreifung, zu den Veränderungen nach der Machtergreifung, dann in entfalteter Form und schließlich in der Endphase haben sich faschistischen Regime mehrfach grundlegend gewandelt.)
Umstritten ist auch, welche Regime als faschistisch bezeichnet werden können bzw. müssen und welche nicht. Hier werden unterschiedliche Positionen vertreten, je nachdem, welche Merkmale der jeweilige Autor als bestimmend für ein faschistisches Regime betrachtet.
- Praktisch alle Autoren sind sich einig, dass der deutsche Nationalsozialismus als drastischste und brutalste Form eines faschistischen Regimes anzusehen ist.
- Dass das Mussolini-Regime in Italien als faschistisch zu betrachten ist, wird von manchen Autoren bestritten (obwohl Mussolini sich selbst so bezeichnet hat, und obwohl der Begriff „Faschismus“ sogar daher stammt). Das kommt vor allem daher, dass für diese Autoren eine antisemitische Orientierung das zentrales Kennzeichen von Faschismus ist. (Mussolini war zunächst nicht primär antisemitisch orientiert, er übernahm diese Orientierung aber mit zunehmender politischer und militärischer Verbindung mit Hitler.)
- Ob der Stalinismus, der Maoismus und die aus ihnen entstandenen autoritären Regime des Ostblocks als faschistisch zu bezeichnen sind, wird ebenfalls von manchen Autoren bejaht, von anderen bestritten, vor allem von solchen, die eine Kontinuität mit der marxistischen Arbeiterbewegung hervorheben bzw. behaupten.
- Ähnliches gilt bezüglich der terroristischen Diktaturen der Roten Khmer unter Pol Pot in Kambodscha, der Regierung von Kim Jong-un in Nordkorea und der Regierung von Milosevic in Serbien.
- Ob der radikale Islamismus von Al-Quaida, dem Islamischer Staat und der Muslim-Bruderschaft als faschistisch bezeichnet werden kann, wird ebenfalls mal bejaht, mal verneint, letzteres vor allem wegen der religiösen Begründung ihrer terroristischen Gewalt.
Unklar ist auch, ob man die Führer der faschistischen Bewegungen sowie die Massenbewegungen, die sie an die Macht brachten und an der Macht hielten, mit psychopathologischen Begriffen als psychische Störungen bezeichnen kann bzw. sollte oder nicht, zum Beispiel als
- Psychose,
- Psychopathie,
- Narzissmus,
- Paranoia oder
- Suizid.
Ebenfalls ist unklar, wie man faschistische Regime von ähnlichen Formen unterscheidet, z.B. von:
- Totalitarismus,
- Staatsterrorismus,
- Militärdiktatur,
- terroristischem Fundamentalismus
usw.
Unklar ist weiterhin, ob der Faschismus sich nur unter den historisch spezifischen Bedingungen nach dem Ersten Weltkrieg entwickeln konnte, oder ob es auch heute noch eine aktuelle Gefahr des Wiederauflebens faschistischer Tendenzen geben kann oder ob es gar bereits an der Macht befindliche faschistische Regime gibt.
Ebenfalls ist umstritten, ob das Entstehen faschistischer Regierungen historisch unvermeidbar war bzw. ist, oder ob dabei die subjektiven Entscheidungen von Trägern gesellschaftlicher Macht eine entscheidende Rolle gespielt haben bzw. spielen.
In der folgenden Zusammenfassung kann ich unmöglich all diese Diskussionen und Differenzierungen (die ich nicht alle kenne) im Einzelnen nachverfolgen. Da meiner Meinung nach alle genannten Regimes bzw. Tendenzen brandgefährlich sind, und man hier eigentlich nur zwischen schrecklichen und unvergleichlich schrecklichen Monstrositäten unterscheiden kann, möchte ich im folgenden einige Bestimmungen zusammentragen, die um den Begriff Faschismus herum sortiert sind, so dass jeder selbst entscheiden kann, was er dazu zählt und worauf er den Schwerpunkt legt.
Was ist das Wesen des Faschismus?
Es gab und gibt eine Reihe von Versuchen, das Wesen des Faschismus zu beschreiben, hier eine Auswahl:
- Faschismus ist eine terroristische, imperialistische Diktatur der reaktionärsten Elemente des Finanzkapitals.
- Faschismus ist die Folge einer Systemkrise auf der Endstufe des Monopolkapitalismus und eines Kampfes zwischen verschiedenen Monopolgruppen mit einer Radikalisierung des Mittelstandes gegen Arbeiter und Kapital zugleich.
- Die Anfälligkeit für faschistische Strukturen entspringt dem autoritären Charakter: Ein schwaches ich, dem es an Reflexionsfähigkeit mangelt, und das zu Vorurteilen und sadomasochistische Strukturen neigt, will sich einer Autorität unterwerfen und Teil eines scheinbar allmächtigen Kollektivs werden. Seine Aggressionen richtet es gegen Fremdgruppen statt gegen den eigentlichen Gegner: den dominanten und repressiven Vater.
- Faschismus ist diktatorischer staatlicher Terror gegen die Linke bei begeisterter Zustimmung weiter Teile der Bürger.
- Faschismus ist eine Antipartei-Partei, eine rechtsgerichtete, extrem nationalistische, antimarxistische, antiaufklärerische, antimaterialistische, antiindividualistische, antiliberale, antidemokratische, häufig antisemitische Ideologie, in der der Wille und die direkte Aktion betont und Gewalt verherrlicht wird.
- Faschismus ist eine aus der Moderne (Aufklärung, Industrialisierung) erwachsene Revolte gegen die Moderne.
- Faschismus ist eine politische Ersatzreligion in einer Zeit des Glaubensverfalls: ein mörderisches Glaubenssystem, das als Politik verkauft wird (Nationalsozialismus, Stalinismus) bzw. eine mörderische Politik, die als Religion verkauft wird (radikaler Islamismus).
Wie ist Faschismus entstanden?
Die Entstehung und Machtergreifung faschistischer Bewegungen ist aus einem Kontext ökonomischer Krise und dem anhaltenden Versagen verknöcherten politischer Eliten zu verstehen. Ihre Machtübernahme war bisher nur dort möglich, wo die Linke zerstritten und ihr Ruf durch die Bürokratendiktaturen im Ostblock zerrüttet war.
Faschistische Bewegungen treten typischerweise in ihrer Anfangsphase als Vertreter der „Entrechteten und Beleidigten“, also der Arbeiter und der von Abstieg bedrohten Teile der Mittelschicht auf. Sie tun sich anfangs durch soziale Arbeit, die Vertretung von Arbeiterrechten und eine militant antikapitalistische Propaganda hervor. Mussolini war beispielsweise 1912-1914 Chefredakteur des Zentralorgans der Sozialistischen Partei Italiens (PSI). Auch die deutsche NSDAP gab sich zunächst arbeiterfreundlich und antikapitalistisch.
Spätestens ab der Machtergreifung erhielten die Faschisten dann massive finanzielle Unterstützung durch das Kapital, das sich gigantische Profite durch die (primäre und sekundäre) Rüstungsindustrie versprach und zunächst auch erhielt.
Keine faschistische Bewegung konnte die absolute Mehrheit in einem Parlament gewinnen, also allein die Regierungsgeschäfte übernehmen. Alle brauchten und erhielten dafür jeweils die Unterstützung konservativer Kreise und kamen letztlich an die Macht durch Entscheidungen politischer Machthaber (Reichspräsident Hindenburg, des italienischen Königs, der Parteiführer der Konservativen usw.), ohne die ihre Machtergreifung nicht möglich gewesen wäre. Die konservativen Eliten befürchteten eine Revolution durch die damals bolschewistisch orientierte Linke und betrachteten die Faschisten dem gegenüber als leichter kontrollierbares, kleineres Übel.
Die faschistische Ideologie
Die faschistische Ideologie ist ein reflexions- und kritikresistentes, geschlossenes Glaubenssystem, das gekennzeichnet ist durch:
- das (realistische oder unrealistische) überwältigende Gefühl, in einer nahezu ausweglosen politischen und ökonomischen Krise zu stecken, die scheinbar mit allen traditionellen Handlungsmöglichkeiten nicht bewältigt werden kann,
- den Glauben, dass eine bestimmte Gruppe (Volk, Nation, Rasse, Klasse, Religion), der gegenüber man als Individuum existenziell verpflichtet sei, und die über jedem Recht steht, bedingungslose und uneingeschränkte Unterordnung jedes Mitglieds dieser Gruppe fordern kann,
- den Glauben, die eigene Gruppe sei das Opfer einer oder mehrerer anderer Gruppen („der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“, „den verderben Einflüssen des Westens“ ö.ä.), was jede aggressive bis vernichtende Handlung gegen innere und äußere Gegner der eigenen Gruppe ohne jede gesetzliche oder moralische Grenzen rechtfertigt,
- die Angst vor dem Niedergang der eigenen Gruppe durch „zersetzende“ innere oder äußere Einflüsse (Individualismus, Liberalismus, Klassenkonflikte, ethnische Konflikte, Einflüsse aus dem Ausland o.ä.),
- das Bedürfnis, eine „reine“ Gemeinschaft eng zusammenzuschließen, zunächst durch Konsens, dann durch Gewalt,
- das Bedürfnis nach der Autorität durch eine als geboren wahrgenommene Führerpersönlichkeit, die als einzige fähig zu sein scheint, das Schicksal der eigenen Gruppe zu verkörpern und zu bestimmen,
- den Glauben an die Überlegenheit der Instinkte des Führers jenseits aller Erfahrungen und jenseits jeder Vernunft,
- eine Ästhetik der Gewalt und der Kraft des Willens, die als dem Erfolg der Gruppe gewidmet erscheint,
- den Glauben an das Recht der Auserwählten, andere jenseits jedes Gesetzes und jenseits jeder moralischen Regeln zu beherrschen, ein Recht, das einzig dem Kriterium der Tapferkeit der Gruppe in einem darwinistischen Kampf zugemessen wird,
- Körperkult, Verherrlichung von Kraft, Männlichkeit und Disziplin,
- einen Mythos der nationalen, religiösen oder rassischen Wiedergeburt bzw. Erneuerung nach einer Phase des Niedergangs und der Dekadenz,
- ein Verständnis von Politik als ständiger Revolution,
- ein dichotomes Denken (Freund/Feind, höherwertig/minderwertig usw.).
- eine auf Mythen, Riten und Symbolen basierende, irrationale Ersatzreligion mit einem Ursprungsdenken bezüglich Heimat, Rasse, Religion oder Klasse und einem Versuch, eine fantasierte mythische Vergangenheit zurückzuerobern („Volksgemeinschaft“, „Urkommunismus“, „fromme Gesellschaft“ o.ä.).
Was sind die Ziele faschistischer Bewegungen?
Faschistische Bewegungen sind verdeckt oder offen antidemokratisch und antiliberal. Sie bewegen sich zunächst innerhalb der parlamentarischen Demokratie und beteiligen sich an Wahlen, wobei sie zugleich durch paramilitärische Organisationen Gewalt und Terror ausüben, und damit eine Zerrüttung der öffentlichen Ordnung bewirken oder fördern, die sie dann zu beheben vorgeben. Letztlich wollen sie die als dekadent und Versagen definierte parlamentarische Demokratie zerstören und ablösen.
Sie streben eine radikale und vollständige Umgestaltung der Gesellschaft als nationale, internationale oder religiöse Bestimmung an, bei der eine angeblich organische Gemeinschaft von angeblich Anteil „andersartigen“ Gruppen gereinigt werden soll (z.B. Juden, Kommunisten, Behinderten, Homosexuellen, Kriminellen, Migranten, Latinos o.ä.).
Sie erheben den Anspruch auf totale Kontrolle perspektivisch aller Lebensbereiche, auf das Monopol der politischen Macht bei absoluter Unterordnung und totaler Hingabe der Bürger unter den Staat, der als identisch mit der faschistischen Partei betrachtet wird.
Sie wollen die Massen zu einer geschlossenen Glaubensgemeinschaft eines „neuen Menschen“ Formen, wobei Individuum und Masse zu einer organisch-mystischen Einheit verschmolzen werden sollen.
Welche Mittel setzen faschistische Bewegungen ein?
- Faschistische Bewegungen sind nach dem Führerprinzip
- Sie betreiben einen massiven, offenen Personen- bzw. Führerkult. Der Führer gilt als charismatische, uneingeschränkte und nicht infrage zu stellende Autorität.
- Sie bilden paramilitärische Terrororganisationen (Sqadristen, Kampfbünde, Todesschwardrone, Sturmabteilung, Selbstmordattentäter o.ä.).
- Sie betreiben eine Politik des Spektakels (Massenversammlungen, Fackelzüge, Aufmärsche u.ä.).
- Sie errichten eine Einparteiendiktatur und streben eine Verschmelzung von faschistischer Partei und Staat an, wobei alle anderen Parteien zunächst diskreditiert, dann gewaltsam unterdrückt, dann verboten werden.
- Die Bürgerrechte (Pressefreiheit, Freiheit der Gerichte, Gewaltenteilung usw.) werden aufgehoben.
- Alle Bürger und auch die eigenen Anhänger werden überwacht, eingeschüchtert und verfolgt durch den Polizeiapparat und eine Geheimpolizei als organisierten staatlichen Terror, um jede Opposition im Keim zu ersticken
- Sie streben eine Herrschaft jenseits jedes Gesetzes und jeder Moral an.
- Sie führen massenhafte Internierungen (Konzentrationslager, GULAG) ein, in denen es zu massenhaften Morden bis hin zum Völkermord kommt.
- Die Parteiorganisation ist nach militärischem Vorbild
- Sie streben eine die ganze Gesellschaft durchziehenden Militarisierung
- Sie nutzen die Furcht vor angeblichen äußeren oder inneren Feinden (Kommunisten, dem Westen, den Juden, der Dekadenz o.ä.).
- Sie versuchen, durch Bündnisse mit liberalen und konservativen Kräften an die Macht zu kommen.
- Sie diskriminieren, verfolgen, internieren und vernichten alle außerhalb der eigenen Gruppe Befindlichen als Feinde ihres Regimes.
- Sie streben an, alle gesellschaftlichen Kräfte (Medien, Bildungswesen, Familie, Erziehung, Rechtswesen, Wissenschaften usw.) unter ihrer Kontrolle gleichzuschalten.
- Sie betreiben eine andauernde und allumfassende Agitation und Propaganda der gesamten Gesellschaft im Dienste der Massenmobilisierung durch Monopolisierung und Gleichschaltung aller Medien zu Zwecken der Indoktrination.
Faschistische Tendenzen in der Gegenwart
Aktuelle faschistische und faschistoide Parteien, Bewegungen und Tendenzen sind eher neoliberal statt antikapitalistisch orientiert. Sie vertreten die Freiheit des Marktes, der dann schon alles regeln wird und einen „schlanken“ Staat, der anstelle von Sozialleistungen und Ausgaben für das Bildungswesen sich auf polizeiliche und militärische Aufgaben konzentrieren soll.
Was in vielen aktuellen faschistischen und faschistoiden Bewegungen bisher (noch) fehlt, ist der offene der offene Frontalangriff gegen die demokratische Ordnung und die offene Forderung nach einer Einparteiendiktatur. Auch die offene Gewaltästhetik und Forderungen nach nationaler Expansion durch Krieg werden zur Zeit kaum oder nicht offen vertreten.
Literatur
- Friedrich, C. J. & Brzezinski, Z. K.: Totalitäre Diktatur. Kohlhammer 1957
- Arendt, H.: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Piper 1991
- Paxton, R.: Anatomie des Faschismus. DVA 2006
Werner Eberwein