Was ist eine Intrusion?

Psychologisch bezeichnet eine Intrusion das ungewollte, plötzliche Eindringen belastender innerer Inhalte ins Bewusstsein. Intrusionen sind meist nicht willentlich kontrollierbar und werden als überwältigend, störend oder fremd erlebt. Sie kommen typischerweise in folgenden Kontexten vor:

1. Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS):

Intrusionen sind hier ein zentrales Symptom.

  • Typisch: sich aufdrängende, lebhafte Erinnerungsbilder (Flashbacks), Albträume, emotionale und körperliche Reaktionen auf Trigger.
  • Die Person erlebt das Trauma wie erneut – mit Angst, Hilflosigkeit, Erstarrung oder Übererregung.

Erklärung: Das Gehirn hat das Trauma nicht integriert. Fragmente drängen in das Bewusstsein, als wäre es Gegenwart.

2. Zwangsstörungen:

Intrusionen äußern sich hier als aufdringliche Gedanken, Impulse oder Vorstellungen, die nicht mit dem Selbstbild übereinstimmen (z. B. aggressive, sexuelle, blasphemische Inhalte).

  • Typisch: Die Gedanken machen Angst oder Ekel, obwohl man sie nicht ausführen will.
  • Die Betroffenen versuchen oft, sie durch Rituale oder Vermeidung zu neutralisieren.

3. Dissoziative Störungen / Traumafolgestörungen:

Intrusionen können hier nicht nur Erinnerungen sein, sondern auch Stimmen, Körperempfindungen, Impulse oder Identitätsfragmente, die sich als fremd oder nicht zugehörig anfühlen.

Allgemeinpsychologisch:

Intrusionen sind nicht absichtlich gesteuerte, meist unwillkommene psychische Inhalte, die sich gegen die aktuelle Ich-Ausrichtung durchsetzen – oft mit großer affektiver Ladung.

Beispielhafte Formulierungen:

  • „Ich kann das Bild nicht loswerden – es kommt immer wieder hoch.“
  • „Plötzlich war dieser Satz in meinem Kopf, wie eingeflüstert.“
  • „Es fühlt sich an, als ob etwas von außen in mich hineinkommt.“

1. Traumatherapeutische Sicht

Intrusionen sind nicht verarbeitete Fragmente eines überwältigenden Erlebnisses, die vom Gehirn nicht ins autobiografische Gedächtnis integriert werden konnten.

In der akuten Bedrohungssituation schaltete das Nervensystem in einen Überlebensmodus (Kampf, Flucht, Erstarrung). Dabei wurde das Erlebte nicht vollständig „abgespeichert“, sondern in rohen Sinnesfragmenten (z. B. Gerüche, Bilder, Geräusche, Körpersensationen) eingefroren.

Intrusionen sind wie „eingefrorene Erinnerungssplitter“, die keinen sicheren Ort im inneren Archiv gefunden haben – und sich deshalb immer wieder ins Jetzt drängen.

Therapeutische Deutung:
Intrusionen sind keine Rückfälle oder Zeichen des Scheiterns, sondern Signale dafür, dass das System etwas verarbeiten möchte, wofür es bisher keinen sicheren Raum gab. Ziel der Therapie ist es, dieses Material in dosierter Weise zu integrieren – über Ressourcenstärkung, Pendeln, Körperorientierung, Affektregulation und ggf. Traumaexposition.

2. DBT-Sicht (Dialektisch-Behaviorale Therapie)

In der DBT betrachtet man Intrusionen als Affekt-getriebene Gedanken oder Bilder, die durch extreme innere Anspannung ausgelöst werden und zu einer Disbalance zwischen emotionalem und rationalem Selbst führen.

Intrusionen tauchen auf, wenn die „Emotionale Seite“ die Kontrolle übernimmt – wie eine Welle, die einen überspült.

Therapeutische Deutung:
Das Auftreten von Intrusionen zeigt an, dass der Betroffene momentan keine ausreichenden Skills zur Emotionsregulation verfügbar hat. Sie sind also ein Signal für hohe innere Not. Das Ziel ist, mithilfe von DBT-Methoden (z. B. Achtsamkeit, Stresstoleranz, Skills-Training) wieder Stabilität und Steuerungskompetenz zu entwickeln.

3. Ich-Psychologische Sicht

Die Ich-Psychologie (z. B. Anna Freud, Hartmann) sieht Intrusionen als Durchbrüche unbewusster Inhalte, die nicht ausreichend durch Abwehrmechanismen abgeschirmt sind.

Das Ich ist in seiner Funktion geschwächt – es gelingt nicht, die aufsteigenden Impulse, Erinnerungen oder Vorstellungen in symbolisierter, bewusster Form zu verarbeiten.

Intrusionen sind wie verdrängte Teile, die mit großer Wucht anklopfen, weil sie nicht integriert wurden.

Therapeutische Deutung:
Das Ich braucht Stärkung durch therapeutische Beziehung, Struktur und Reflexion, um wieder in die Lage zu kommen, diese Inhalte zu „übersetzen“, zu verstehen und zu kontrollieren. Intrusionen zeigen also, wo Integration noch fehlt – und was innerlich nach Anerkennung, Sinngebung oder Wandlung verlangt.

Gemeinsame therapeutische Botschaft:

Intrusionen sind keine „Fehler“ der Psyche, sondern Hinweise auf noch offene seelische Prozesse.
Sie laden ein, mit Mitgefühl hinzusehen, was innerlich noch keinen Platz gefunden hat.

Werner Eberwein