Sucht

Sucht bezeichnet das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entfaltung einer Persönlichkeit und die sozialen Chancen eines Individuums.

Sucht ist:

  1. Unerlaubter Gebrauch ist ein von der Gesellschaft nicht tolerierter Gebrauch.
  2. Gefährlicher Gebrauch ist ein Gebrauch mit wahrscheinlich schädlichen Folgen für den Konsumenten.
  3. Dysfunktionaler Gebrauch liegt vor, wenn psychische oder soziale Anforderungen beeinträchtigt sind.
  4. Schädlicher Gebrauch hat bereits schädliche Folgen (Zellschäden, psychische Störung) hervorgerufen.

Es geht um:

Substanzen wie Alkohol, Tabak, Coffein, bestimmte Beruhigungs- und Schlafmittel wie Benzodiazepine oder Barbiturate, flüchtige Lösungsmittel und illegale Drogen wie Cannabis, Ecstasy, LSD, Kokain und Heroin (Opioide) besitzen allesamt ein Suchtpotenzial. Das bedeutet, dass möglicherweise bereits ihr einmaliger, in jedem Fall aber ihr mehrmaliger Konsum der erste Schritt in eine Abhängigkeit sein kann. Kurzfristig wird mit dem Konsum eines Suchtmittels eine positive Wirkung erzielt, die oft als unbefriedigend empfundene Ausgangssituation wird scheinbar gebessert. Die anschließende „Ernüchterung“ lässt einen Teufelskreis entstehen, der Wunsch nach einem erneuten Rausch rückt für den Betroffenen immer mehr in den Lebensmittelpunkt.

Eine Suchterkrankung basiert auf einer Fehlsteuerung des Belohnungssystems im Gehirn. Suchtmittel aktivieren verschiedene Botenstoffe, die zum Beispiel Wohlbefinden oder Euphorie auslösen. Dadurch lernt das Gehirn relativ schnell, ein bestimmtes Suchtmittel als positiven Reiz wahrzunehmen. Fehlt dieser Reiz, empfindet es eine Art Belohnungsdefizit – mit der Folge, dass der unkontrollierte Wunsch nach dem Suchtmittel entsteht.

Fast jede Sucht entwickelt sich über die psychischen Prozesse Erfahrung und Wiederholung an die sich der physiologische Prozess der Gewöhnung anschließt. Unter Gewöhnung versteht man die Abnahme der Drogenwirkung bei wiederholter Einnahme. Sucht-Patienten kompensieren diesen Wirkungsverlust mit immer höheren Dosen.

Um von Suchtverhalten zu sprechen, müssen im Laufe der letzten 12 Monate nach Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mindestens drei dieser sechs Kriterien erfüllt gewesen sein:

  • Starkes, unwiderstehliches Verlangen, ein bestimmtes Rauschmittel zu konsumieren,
  • verminderte Kontrollfähigkeit über Menge, Zeitpunkt und Dauer der Zufuhr,
  • Entzugserscheinungen,
  • Toleranzentwicklung – die Wirkung der Substanz nimmt ab, weil sich der Körper daran gewöhnt. In der Folge muss für die gleiche Wirkung mehr konsumiert werden
  • wachsender Interessenverlust und zunehmende Bedeutung von Beschaffung der Substanz bzw. Erholung vom Konsum der Substanz,
  • anhaltender Konsum trotz nachweisbarer schädlicher gesundheitlicher oder sozialer Folgen.

Zu den körperlichen Symptomen gehören Unruhe, Zittern und Schwitzen. Die psychischen Symptome umfassen beispielsweise einen starken Wunsch oder Zwang, in bestimmten Situationen eine Substanz zu konsumieren.

Auch ein Verhalten kann süchtig machen, etwa das Glücksspiel. Hier ist ebenfalls das Verlangen sehr stark, die Betroffenen verlieren die Kontrolle über das Spielen und machen oft weiter, obwohl sie dabei viel Geld verlieren und ihre sozialen Kontakte vernachlässigen. Als 2013 das DSM-5 die vorherige Version DSM-IV ablöste, wurde „Glücksspielstörung“ deshalb als erste Verhaltenssucht in das Handbuch aufgenommen. In der ICD-10 ist diese Sucht als „Pathologisches Spielen“ aufgelistet.
Auch Onlinespiele und andere Onlineaktivitäten können süchtig machen.
Es wird zudem immer deutlicher, dass auch übermäßiges Essen oder sogar Sport süchtig machen können.

Es gibt verschiedene Theorien darüber, wie eine Sucht entsteht. Einen Erklärungsansatz liefert das sogenannte biopsychosoziale Modell.

  • Auf körperlicher Ebene sind das z.B. Reaktionen im Gehirn, die während des Substanzkonsums auftreten.
  • Auf psychischer Ebene können beispielsweise bestimmte Denkmuster – etwa durch ein mangelndes Selbstwertgefühl – zum Substanzkonsum führen.
  • Auf sozialer Ebene spielt unter anderem die Peergroup eine Rolle.  Alle drei Ebenen beeinflussen sich wechselseitig und sind ausschlaggebend für die Ursachenfindung. 

Verschiedene Faktoren tragen schließlich dazu bei, dass eine Sucht entsteht. So werden durch den Substanzkonsum Botenstoffe im Gehirn verändert ausgeschüttet. Das beeinflusst die Informationsübertragung und stört wiederum das körpereigene Belohnungssystem. 

Auch verschiedene Lernvorgänge wirken an der Entstehung einer Sucht mit. Der Substanzkonsum wird demnach zunächst mit einer belohnenden Wirkung verknüpft. Die Veränderungen im Gehirn führen aber letztlich dazu, dass der wiederholte Konsum einer Substanz sogar negative Gefühle hervorruft. Die abhängige Person nimmt die Substanz dann nicht mehr ein, um Lust oder Freude zu spüren, sondern um eine Linderung ihrer Missstimmung zu erlangen. 

Zu den Risikofaktoren für eine Suchtentwicklung zählen beispielsweise:

Individuelle Faktoren

  • Liegen bei der Person erbliche Faktoren vor?
  • Wurden Substanzen schon im Jugendalter eingenommen?
  • Schätzt die Person den Substanzkonsum als wenig riskant ein?
  • Hat die Person eine Vorgeschichte bezüglich Stressbelastung, Leistungsdruck und Überforderungssituationen, Schmerzzuständen oder Schlafstörungen?
  • Liegen psychische Erkrankungen, wie z.B. Angststörungen, Aufmerksamkeitsdefizit- /Hyperaktivitätsstörung oder Depressionen vor?
  • Gibt es belastende persönliche Lebensumstände, wie z.B. eine Trennung oder ein Todesfall in der Familie?

Soziale Umwelt

Der Einzelne wird auch geprägt durch sein soziales Umfeld, dazu zählen z.B. Familie, Freunde, Schule und Berufsleben.

Familie

  • Gibt es Substanzmissbrauch in der Familie (z.B. durch Eltern oder ältere Geschwister)?
  • Kommt es in der Familie zu Konflikten, Missbrauch oder Vernachlässigung?
  • Befürworten oder billigen die Eltern den Substanzkonsum?

Soziale Gemeinschaft

  • Liegt ein niedrigerer sozioökonomischer Status vor?
  • Sind Substanzen wie Alkohol oder andere Drogen leicht verfügbar bzw. günstig zu erwerben?
  • Gibt es gemeinsame Normen oder Vorstellungen, die den Konsum begünstigen?
  • Gibt es sogenannte Peergroups, die auch Substanzen konsumieren?

Schule

  • Kommt es zu schlechten schulischen Leistungen?
  • Wird der Substanzkonsum unter Klassenkameraden als hoch wahrgenommen?
  • Wird der Substanzkonsum in der Schule schlecht kontrolliert?
  • Sehen Schüler die Schule nicht als lohnend oder sinnvoll an, sodass ihr Engagement für die Schule nachlässt?

Berufsleben

  • Besteht ein hoher Leistungs- und Konkurrenzdruck?
  • Werden der Entscheidungsspielraum bzw. die Kontrolle über die eigenen Handlungen als gering empfunden? 
  • Fühlt sich die Person über- oder unterfordert?

Substanz

  • Wie hoch ist das Abhängigkeitspotential der Substanz?
  • Wie wirkt die Substanz?

Neben den genannten Risikofaktoren gibt es auch Schutzfaktoren, die das Risiko verringern, eine Sucht zu entwickeln. Das sind z.B.: 

  • Hat die Person Selbstvertrauen und ein gesundes Selbstwertgefühl?
  • Sind Eltern bzw. Erziehungsberechtigte ein Vorbild und vermitteln einen verantwortungsbewussten Umgang mit bestimmten Substanzen (z.B. Alkohol)? 
  • Wird frühzeitig – nicht erst im Jugendalter – über das Thema Sucht und die damit verbundenen Gefahren aufgeklärt? 
  • Hat die Person ein Familienleben und Umfeld, in dem keine Substanzen konsumiert werden? 
  • Wird das Umfeld auf der Arbeit, in der Schule sowie in der Familie als unterstützend wahrgenommen?
  • Kann die Person Probleme und Konflikte gut bewältigen bzw. lösen? Verfügt sie über gute Kommunikationsfähigkeiten und ein gesundes Maß an Frustrationstoleranz?
  • Empfindet die Person ihre Freizeit als erfüllend? 
  • Bekommt sie Unterstützung im Umgang mit Gruppendruck oder -zwang?

Literatur

Werner Eberwein