Ist Sensomotorische Psychotherapie (nach Pat Ogden) wirksam?
Grundprinzipien/Theorie
Die Sensomotorische Psychotherapie (SP) wurde speziell entwickelt, um die Lücke zwischen klassischer „Gesprächstherapie“ und dem körperlichen Erleben zu schließen. Sie basiert auf Erkenntnissen der Traumaforschung, Bindungstheorie und somatischen Psychologie. Pat Ogden geht davon aus, dass traumatische Erlebnisse und frühe Bindungsstörungen nicht nur kognitiv-emotional, sondern auch körperlich gespeichert sind – in Form von sensomotorischen Mustern (Fluchtimpulse, Erstarrungsreaktionen, Körperhaltungen).
Während herkömmliche Therapie oft bei Gedanken und Gefühlen ansetzt, integriert SP den Körper als aktiven Mitspieler: Körperempfindungen und automatische Bewegungen werden als direkte Zugangswege zum impliziten Gedächtnis genutzt. Wichtig ist der phasenorientierte Ansatz: zuerst Stabilisierung und Ressourcenstärkung, dann behutsame Traumabearbeitung, zuletzt Integration. Theoretisch unterscheidet SP zwischen Entwicklungsbedingten und traumatischen Themen – Borderline-Patient*innen haben oft beides (frühkindliche Bindungsverletzungen und akute Traumata), was sorgfältig ineinander verwoben betrachtet wird.
Typische Techniken
- Achtsames Tracking: Der Therapeut lenkt die Aufmerksamkeit des Patienten auf hier-und-jetzt Körperempfindungen – z. B. „Spüren Sie mal Ihre Füße auf dem Boden“ oder „Was nehmen Sie im Brustraum wahr, wenn Sie von dieser Erinnerung sprechen?“. Diese Empfindungen werden benannt und verfolgt, ohne sie sofort verändern zu wollen.
Impulse und Mikro-Bewegungen: Wenn der Körper einen Impuls zeigt (z. B. ballt der Patient unbewusst die Faust beim Sprechen über Wut), wird dies behutsam thematisiert: „Merken Sie, dass Ihre Hand sich anspannt? Vielleicht möchte ein Teil von Ihnen etwas tun…“. Der Patient darf diese Bewegung in sicherem Rahmen ausführen oder abbrechen. Dadurch können unvollendete Abwehrhandlungen (Fight/Flight) zu Ende gebracht werden, aber in Zeitlupe und kontrolliert. - Techniken zur Verlangsamung: SP arbeitet oft mit dem Verlangsamen von Vorgängen („titration“). Beispielsweise lässt man jemanden nur ein „Scheibchen“ einer belastenden Erinnerung fühlen – etwa einen leichten Anstieg der Herzrate – und stabilisiert dann wieder. Dieses dosierte Annähern verhindert Überflutung.
- Ressourcen verankern: Positive Körperressourcen werden gezielt einbezogen, z. B. „Wie sitzt Ihr Körper, wenn Sie sich sicher fühlen?“ oder Gesten der Stärke (eine Hand auf’s Herz, eine schützende Armbewegung). Solche somatischen Ressourcen helfen bei der Affektregulation.
- Arbeit mit Haltung und Bewegung: Im Verlauf können bestimmte Körperhaltungen ausprobiert werden, die neue Erfahrungen ermöglichen. Beispiel: Eine Patientin mit Opferhaltung (Schultern nach vorn, Blick nach unten) übt, eine aufrechte, kämpferische Haltung einzunehmen und beobachtet, welches Gefühl damit einhergeht – etwa mehr Selbstwirksamkeit. Diese sogenannten „Enactments“ werden in kleinen Schritten erarbeitet.
Zielsetzung
Für Borderline-Patient*innen ist SP besonders wertvoll, um sowohl die Traumaverarbeitung als auch die Emotionsregulation und Identitätsentwicklung zu unterstützen. Konkret hilft die Methode bei:
- Affektregulation: Indem der Fokus immer wieder auf körperliche Anzeichen von Gefühlen gelegt wird, lernen Patienten frühzeitiger zu bemerken, wenn z. B. Anspannung aufkommt (etwa durch Herzklopfen oder Zittern). Durch das Verlangsamen und Pendeln zwischen Anspannung und Entspannung wird der Window of Tolerance (die Spannbreite tolerierbarer Erregung) schrittweise erweitert. Gefühle werden dadurch weniger überwältigend und besser handhabbar.
- Selbstwahrnehmung und Integration: Viele Borderline-Betroffene erleben sich fragmentiert (dissiziativ abgespaltene Zustände). SP fördert einen zusammenhängenden Körpersinn – alle Anteile teilen denselben Körper, was gerade bei dissoziativen Tendenzen wichtig ist. Übungen zur achtsamen Wahrnehmung vermitteln das Gefühl „Ich bin in meinem Körper präsent und sicher“, was das Identitätsgefühl stärkt.
- Impulskontrolle: Statt impulsiv zu handeln, lernen Patienten erst wahrzunehmen, wo im Körper der Impuls sitzt (z. B. „es kribbelt in meinen Armen, ich will schlagen“). Allein dieses Bewusstwerden schafft schon einen kleinen Abstand zum Verhalten. Zudem können alternative Handlungsweisen körperlich eingeübt werden (z. B. bei Aggressionsimpuls erst fest gegen die Wand drücken statt sofort jemand verletzen).
- Beziehungsfähigkeit: Da SP auch entwicklungsbedingte Themen adressiert, werden über Körperübungen frühere Bindungsmuster aktiviert und im Hier-und-Jetzt mit dem Therapeuten neu erlebt. Wenn z. B. Nähe Angst macht (der Körper spannt bei Augenkontakt sofort an), wird dies thematisiert und schrittweise an neues Beziehungserleben gekoppelt (etwa lernen, Entspannung und Augenkontakt zu vereinbaren). Dies unterstützt Mentalisierung und Vertrauen im Zwischenmenschlichen.
Werner Eberwein