Ist Donald Trump ein Faschist?

Was ist überhaupt Faschismus? Ist Faschismus eine politische Struktur, die nur ein Staat oder eine politische Organisation haben kann, oder kann auch ein einzelner Mensch von seinem Charakter, seiner Denkweise und seiner politischen Orientierung her ein Faschist sein?

Vergleich: Auch Demokratie ist auch eine politische Struktur. Ein Staat kann mehr oder weniger demokratisch sein. Aber auch ein Verband, eine Organisation, ja sogar eine Familie oder eine Partnerschaft kann mehr oder weniger demokratisch strukturiert sein. Und ein einzelner Mensch kann von seiner Gesinnung und seinem praktischen Umgang mit anderen Menschen her ein Demokrat sein, ein Antidemokrat, etwas dazwischen oder etwas anderes sein.

Natürlich hatte Donald Trump bisher nicht die Macht, andere Staaten militärisch anzugreifen, dadurch die Weltherrschaft anzustreben oder ganze Völker oder Volksgruppen zu ermorden, wie im deutschen Faschismus geschehen. Sollte er aber von seiner Gesinnung her faschistisch strukturiert sein, dann könnte die Bedrohung für die Menschheit nicht größer sein.

Wie würde Donald Trump auf einen Terroranschlag wie 9/11 reagieren? Er hat sich ja schon mehrfach dazu bekannt, dass für ihn die „Nuke-Option“ (der Einsatz von Atomwaffen) kein Tabu ist. „Ich werde in Syrien den Sand zum Glühen bringen“, hat er gesagt.

Am 17.11.2016 schrieb Jakob Augstein auf Spiegel Online: „Alle reden von Rechtspopulismus. Das ist eine Verharmlosung. Wir erleben die Rückkehr des Faschismus. Die Demokratie hat die Gefahr verschlafen. Jetzt ist es zu spät: In den USA ist ein Faschist an die Macht gekommen.“

Und es geht ja nicht nur um Trump. Die Frage stellt sich in Bezug auf Pegida und die AFD in Deutschland, die FPÖ in Österreich, die Front National in Frankreich, PIS in Polen, Victor Orbán in Ungarn, Putin in Russland und Erdogan in der Türkei. Es geht um einen globalen Rechtsruck, zu dem auch der Brexit in Großbritannien und ähnliche Ausstiegstendenzen in Italien und Frankreich und den Niederlanden gehören. Wir erleben das Wiederauferstehen von Kräften, die endgültig überwunden schienen. „Der Leib ist fruchtbar noch aus dem das kroch“, schrieb Bert Brecht, und der Leib gebiert wieder Schreckliches.

Im Spiegel von 19.11.2016 schrieb dann Dirk Kurbjuweit, stellvertretender Chefredakteur des Spiegel, einen Artikel, in dem er Donald Trump einem „Faschismustest“ unterzog. Er verglich Trumps politische Orientierung mit 14 Kriterien, die der Schriftsteller Umberto Eco am 7.7.1995 in in „Zeit Online“ als eine Art Frühwarnsystem aufgestellt hatte, an dem man aufkommenden Faschismus erkennen könne. Eco betont, dass aus jedem einzelnen dieser Kriterien bereits ein Kristallisationspunkt des Faschismus werden könne.

Hier also die 14 Kriterien von Eco’s Faschismustest:

  1. Ein Merkmal des Faschismus ist der Traditionskult, der quasireligiöse Bezug auf eine ursprüngliche Wahrheit. Spielt bisher bei Trump keine erkennbare Rolle: Trifft (noch) nicht
  2. Typisch für den Faschismus ist die Ablehnung der Moderne, der Aufklärung und der Vernunft. Kurbjuweit meint, Trump als Kapitalist denke vernünftig, obwohl er politisch einen starken Zug zum Irrationalen und Unbeherrschten habe, gibt ihm also ein Unentschieden. Ich kann in Trumps politischen Programm nicht viel Vernünftiges erkennen. Seine Absichten sind wirr, er will drastisch aufrüsten und zugleich die Steuern senken, die Wirtschaft voranbringen und sich zugleich ökonomisch abschotten. Ich weiß nicht, was Unvernunft noch bedeuten soll, wenn nicht das. Meine Meinung also: Trifft zu.
  3. Misstrauen gegenüber der Welt des Intellekts. Ist eigentlich dasselbe wie Punkt 2.). Intellektuelle sind für Trump Teil des von ihm verhassten „Establishment“ (dem er aber zweifellos selbst angehört, und aus dem er seine komplette Minister-Riege zusammengestellt hat – auch hier: Irrationalität). Also: Trifft zu.
  4. Ein geschlossenes Weltbild, dem sich in totaler Übereinstimmung alles unterwerfen muss. Ist zurzeit bei Trump nicht zu erkennen. Kein Mensch weiß, was für ein Weltbild er überhaupt hat, abgesehen von wütenden Rassismus und radikalem Nationalismus. Kurbjuweit gibt hier ein „Negativ“, ich würde sagen: Unentschieden.
  5. Ausbeutung und Verschärfung der Angst vor Unterschieden und rassistischer Kampf gegen Eindringlinge. Das ist ganz klar: Trifft zu.
  6. Appell an eine frustrierte Mittelklasse die unter einer ökonomischen Krise oder der Empfindung politischer Demütigung leidet und sich vor dem Druck sozialer Gruppen von unten fürchtet. Ganz klar: Trifft zu.
  7. Nationalismus. Keine Frage: Trifft zu.
  8. Die Anhänger müssen sich vom Reichtum und der Macht ihrer Feinde gedemütigt fühlen. Ist in Trump Kampf gegen das „Establishment“ eindeutig erkennbar: Trifft zu.
  9. Für einen Faschisten ist das Leben nur um des Kampfes Willen im ewigen Krieg Ist bisher bei Trump nicht zu erkennen – beten wir dafür, dass es so bleibt: Trifft (noch) nicht zu.
  10. Massenhaftes Elitebewusstsein. Kurbjuweit meint, das Demütigungsgefühl sei bei Trumps Anhängern stärker als das Elitebewusstsein und gibt diesem Punkt daher ein „Negativ“. Ich bin gar nicht seiner Meinung. Ein Politiker, der sich zum Vertreter des „White Trash“ macht, also vollkommen unverblümt gegen Menschen anderer Hautfarbe hetzt und Frauen verachtet kann durchaus als Vertreter der Idee der Überlegenheit des weißen Mannes über alle anderen Menschen verstanden werden. Meine Meinung also: Trifft zu.
  11. Der Faschist erwartet den Tod mit Ungeduld. Immerhin: Ist bei Trump nicht erkennbar.
  12. Er überträgt den Willen zur Macht auf die Sexualität. Das wissen wir spätestens seit dem entlarvende Video, das von Trump im Wahlkampf veröffentlicht wurde: Trifft zu.
  13. Zieht die Legitimität des Parlaments in Zweifel, wenn es dem „Willen des Volkes“, der nur von ihm selbst repräsentiert wird, nicht mehr entspricht. Das ist die Grundlage des Rechtspopulismus überhaupt, der ja behauptet, besser zu wissen was „das Volk“ will, als seine Vertretung in den Parlamenten: Trifft zu.
  14. Schließlich: Faschisten bedienen sich eines verarmten Vokabulars um komplexes und kritisches Denkens im Keim zu ersticken. Diese demagogisch verdrehte Sprache kann auch beispielsweise in der scheinbar unschuldigen Form einer populären Talkshow daherkommen. Das ist, als hätte Eco das Auftreten von Donald Trump vorhergesehen: Trifft zu.

Rechnen wir zusammen: Kurbjuweit meint: “Achtmal ja, fünfmal Nein, einmal unentschieden“. Meine persönliche Einschätzung ist etwas pessimistischer: Zehnmal ja, dreimal Nein, einmal unentschieden.

Kurbjuweit schlägt eine Gegenprobe vor nach dem Standardwerk „Anatomie des Faschismus“ von Robert Paxton, in dem neun „mobilisierende Leidenschaften“ für Faschismus genannt werden. Ich möchte sie hier wörtlich zitieren:

„Fünf davon bilden die Stimmung unter Trumps Wählern eindeutig ab:

  1. ein überwältigendes Krisengefühl,
  2. die Angst vor dem Niedergang durch die zersetzen Effekte von individualistischem Liberalismus, Klassenkonflikten und Einflüssen aus dem Ausland,
  3. das Bedürfnis nach einer reineren Gemeinschaft,
  4. das Bedürfnis nach Autorität durch geborene Anführer,
  5. die Überlegenheit der Instinkte des Führers über abstrakte und universelle Vernunft.

Nicht oder nur teilweise zu treffen sind:

  1. der Glaube an die Vorrangstellung einer Gruppe, die über jedem Recht stehe,
  2. der Glaube, Opfer zu sein, womit jede Handlung gerechtfertigt sei, ohne gesetzliche oder moralische Grenzen,
  3. eine Ästhetik der Gewalt,
  4. das Recht der Auserwählten, andere ohne die Schranken irgendeines menschlichen oder göttlichen Gesetzes zu beherrschen.“

Nun, wir werden sehen, wie sich die Trump-Regierung in Bezug auf die letzten vier Punkte entwickeln wird.

Bisher haben wir von Trump nur Worte gehört, aber noch keine politischen Taten als Präsident der USA gesehen. Manche hoffen, er werde nach seiner Amtseinführung domestiziert werden, sich also vom bösen Wolf in einen braven Haushund verwandeln. Das haben liberale Politiker Mitte des letzten Jahrhunderts auch gedacht, als sich aggressiv-nationalistische Bewegungen weltweit erhoben haben, weil sie sich einfach nicht vorstellen konnten, dass nach Jahrhunderten der Aufklärung brutale Kräfte globaler Zerstörung tatsächlich tun, was sie vorher ausdrücklich versprochen haben.

Noch niemals aber hatten solche Kräfte die unkontrollierte Verfügungsgewalt über eine so gigantische Militärmaschinerie, wie die der USA, und vor allem hatten sie nie den Daumen auf dem Atomknopf, den sie drücken konnten, ohne dass irgendjemand, kein Parlament und kein Gericht das verhindern kann.

Wir haben keine Zeit mehr für erschrockenes Schweigen. Demokraten aller Länder – vereinigen wir uns!

Werner Eberwein