Ist Bioenergetische Analyse (Bioenergetik) bei depressiven Störungen wirksam?

Die Bioenergetik nach Alexander Lowen ist ein neoreichianisches Körperpsychotherapie-Verfahren. Sie geht davon aus, dass chronische muskuläre Verspannungen („Panzerung“) verdrängte Gefühle binden und den natürlichen Energiefluss im Körper blockieren.

Bioenergetische Therapeuten kombinieren Gespräch mit aktiven körperlichen Übungen. Zentral sind spezielle Atem- und Bewegungsübungen, die helfen sollen, muskuläre Spannungen wahrzunehmen und zu lösen. Oft wird mit tiefem Atmen, kräftigen Bewegungen und Haltungsexperimenten gearbeitet: Beispielsweise werden Patienten angeleitet, in einem bestimmten Stress-Position (etwa mit gebeugten Knien in den „Stuhlstellung“) zu schwingen oder zu vibrieren, um unterdrückte Impulse zu aktivieren. Körperausdruck ist ein weiteres Element – etwa kraftvoll Töne auszustoßen, Schreien oder in Kissen zu schlagen –, wodurch angestaute Wut oder Trauer abreagiert werden kann. Solche bioenergetischen Übungen integrieren meist Atmung, Bewegung und Selbstausdruck, um die im Körper festgehaltene Energie wieder in Fluss zu bringen.

Lowen, ein Schüler von Wilhelm Reich, nahm an, dass das Lösen dieser energetischen Blockaden nötig ist, um belastende Gefühle und negative Verhaltensmuster zu überwinden und die Lebensfreude zurückzugewinnen.

Körper und Geist werden dabei als Einheit betrachtet: Körperliche Spannungen spiegeln psychische Konflikte, und indem man die Spannungen abbaut, können auch die psychischen Symptome gelindert werden. Bioenergetik ist humanistisch und erfahrungsorientiert ausgerichtet; sie betont „Grounding“ – das bewusste Spüren des eigenen Körpers, insbesondere der Füße am Boden, als Grundlage von Sicherheit und Lebendigkeit.

Typische Techniken und Vorgehensweise

Der Therapeut „liest“ außerdem die Körperhaltung und Atmung des Patienten (Bodyreading), um Hinweise auf emotionale Blockaden zu erhalten, und nutzt manchmal leichten Körperkontakt (z. B. Halt geben an den Schultern) als Widerstand, gegen den der Patient sich drücken kann, um Spannung abzubauen. Wichtig ist stets, dass nach der körperlichen Aktivität die Gefühle verbalisert und reflektiert werden, damit Körpererlebnisse psychisch integriert werden.

Zielsetzung im Kontext depressiver Störungen

Bei Depression steht oft ein Gefühl von Starre, Energielosigkeit und unterdrückten Gefühlen im Vordergrund. Bioenergetik zielt darauf ab, diese Starre aufzubrechen und die „Lebensenergie“ des Patienten wieder anzuregen. Durch tiefes Atmen und expressive Bewegung soll die oft flache Atmung und verkrampfte Körperhaltung depressiver Patienten gelockert werden, was subjektiv als Befreiung und „wieder lebendig Fühlen“ erlebt werden kann. Die körperliche Aktivierung dient dazu, Gefühle wie unterdrückte Wut oder Schmerz an die Oberfläche zu bringen, statt sie weiterhin im Körper „einzufrieren“. So können z. B. verborgene Trauer über Verluste oder Ärger über Lebensumstände in einem körperlich geschützten Rahmen ausgedrückt und durchgearbeitet werden. Das Grundgefühl von Vitalität und Selbstwirksamkeit soll zurückkehren – Patienten erleben, dass sie durch eigene körperliche Aktionen ihren Zustand beeinflussen können (ein Gegenpol zum Ohnmachts- und Passivitätsgefühl in der Depression). Insgesamt strebt die bioenergetische Therapie an, Körper und Emotionen wieder in Kontakt zu bringen, sodass Freude, Lust und auch gesunde Aggression (Durchsetzungsfähigkeit) wieder spontan empfunden werden können, anstelle der emotionalen Leere und Erstarrung, die Depression kennzeichnet.

Werner Eberwein