Ich hatte einen Schlaganfall
Ich hatte am 31. Juli 2017 einen Schlaganfall.
Ich saß an meinem Computer und schrieb Beitrag für meinen Blog, als ich plötzlich einen kleinen, grauen, klar begrenzten Schatten außerhalb meiner sie Sehachse sah. Ich dachte mir nichts dabei. Habe gedacht, das geht schnell wieder vorbei. Plötzlich fiel ich hin, mein Kopf schlug auf dem Boden und ich konnte mich nicht mehr rühren. Ich konnte auch nicht sprechen. Mit meinem Gleichgewichtorgan war etwas nicht in Ordnung, wenn ich den Kopf hob, schlug er wieder gegen den Boden.
Ich war plötzlich gut drauf. (Ich denke das hängt mit meiner veränderten Hirnchemie zusammen.)
Meine Putzfrau, Mira heißt sie, hat mich nach anderthalb Stunden gefunden. Ihr war zuerst nicht klar, was passiert war, dann rief sie nach 20 Minuten die Feuerwehr. Seit der Notarzt kam, kann ich mich an nichts mehr erinnern. Schätze ich muss wohl einen Filmriß (eine Gedächtnisücke) gehabt haben. Das davor ist noch klar in meinem Gedächtnis.
Glücklicherweise bemerkte meine Putzfrau, das meine Badewanne noch warm war. Sonst hätte ich unter Umständen keine Thrombolyse bekommen (von griech. thrombus „Blutpfropf“, lyse „Auflösung“, auch abgekürzt „Lyse“). Bei einer Thrombolyse wird ein Medikament verabreicht, das das Gerinnsel auflöst. Das Zeitfenster dafür ist eng, die Therapie sollte möglichst innerhalb von viereinhalb Stunden nach Auftreten der ersten Schlaganfall-Symptome beginnen.
Ich bin dann erst im Krankenhaus (soweit ich weiß anderthalb Tage später), wieder „aufgewacht“. Ich war zwischendurch in der Stroke-Unit (Schlaganfall-Zentrum im Krankenhaus Neukölln). Jetzt war ich im Auguste Viktoria Krankenhaus (AVK), in einem vergitterten Bett aufgewacht … und war weiterhin guter Stimmung. Anschließend kam ich in die Reha beim Medical Park Berlin in die Humboldtmühle vom Vivantes-Krankenhaus in Tegel.
Direkt nach den Schlaganfall konnte ich nur mit einer nasogastalen Sonde ernährt werden und auch trinken. Der rechte Arm und das rechte Bein waren gelähmt.
Direkt nach den Schlaganfall konnte ich überhaupt nicht sprechen. Ich hatte eine Aphasie (Sprachstörung): ich konnte alles verstehen aber nicht sprechen. Die ersten Worte kamen kamen ganz allmählich. Das erste Wort, das mir einfiel, war „Strudel“ (vor der Humboldtmühle gab es eine Wasserfläche, darin war ein Strudel).
Nach den Schlaganfall konnte ich mich nur mit einem Rollstuhl bewegen, weil mein rechtes Bein total gelähmt war. Nach ca. einer Woche konnte ich am Rollator gehen. Ganz allmählich konnte ich wieder frei, aber ein wenig wackelig, gehen.
Nach den Schlaganfall hatte ich vergessen dass es elektrische Zahnbürsten gibt. Ich musste mühsam mit der linken Hand meine Zähne putzen (wer das schon einmal probiert hat weiß wie kompliziert das ist). Und ich konnte rechts von links nicht unterscheiden (vor dem Schlaganfall fiel mir das leicht). Ich wies mit zum Beispiel der Hand nach links und sagte gleichzeitig „rechts“.
Es fiel mir am Anfang noch sehr schwer mit der linken Hand zu essen. Ich hatte vergessen, das ich die Zähne benutzen kann, um z.B. Medikamentenbeutel aufzureißen und ich kam damit nicht klar mir meine Brille zu reinigen. Für all das musste ich die Schwestern und Pfleger um Hilfe bitten.
Ich hatte meinen Handy-PIN vergessen, daher hat es eine Weile gedauert, bis der PIN wieder aufgetaucht war. Meinen PIN hatten Anja und Marco, das sind Freunde von mir, nach der Suche in zig Papierordnern und meiner passwortgeschützten Datei (für das Marco glücklicherweise das Passwort hatte) auf dem Deskop-Rechner zuhause gefunden.
Ich hatte auch meine Bankkonto-PIN vergessen, glücklicherweise fiel mir die wieder ein.
Kurz nach dem Schlaganfall fiel mir das SMSen außerordentlich schwer. Ich hatte vergessen, dass ich auch SMSe diktieren kann. Das fiel mir erst ganz lange nicht ein. Als mir das plötzlich wieder einfiel, fiel mir ein Stein vom Herzen.
Vor dem Schlaganfall konnte ich Zehnfinger problemlos schreiben, nach den Schlaganfall konnte ich, wenn ich vor einer Tastatur saß, die Tasten nicht mit dem Buchstaben zusammenbringen. Das ist manchmal immer noch so.
Ich hatte und habe auch Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung. Wenn ich „Mafred“ geschrieben habe, dann war mir irgendwo klar, dass da ein Buchstabe fehlt, aber ich habe nicht gewusst, welcher das ist. Das geht mir manchmal heute immer noch so. Ich konnte z.B. nicht sagen, ob „morgendlich“ mit „-ch“ oder mit „-g“ geschrieben wurde. Und das ist manchmal heute auch immer noch so.
Moralische Bedenken hatte ich nach dem Schlaganfall kaum. Ich habe in der Klinik einmal z.B. eine Patientin mit einem großen Muttermal im Aufzug gesehen. Ich habe sie gleich gefragt, was das ist, ob es ihr weh tut, ob es sie stört usw. Im Augenblick scheint mir meine (humanistische) Moral eher stärker zu werden als vor dem Schlaganfall.
Der Wortschatz wird allmählich besser. Wortfindungsstörungen hatte ich kurz nach dem Schlaganfall sehr viele, aber habe ich momentan kaum noch.
Im vierten Stock gab es zu ein Zimmer, wo die Patienten, die nicht in der Kantine essen konnten, essen gegangen sind. Da habe ich mehrere Wochen auch gegessen. In der Kantine mochte ich nicht essen. Es war sehr eng, man musste an Vierertischen sitzen, neben immer den selben Patienten. Als ich Sauce über meine Hose geschüttet hatte, wollte ich nicht mehr in der Kantine essen und ich habe mich in das Zimmer im vierten Stock „geflüchtet“.
Lesen konnte ich am Anfang gar nicht. Jetzt geht es. Ich lese auf meinen Kindl (einem E-Book-Reader) z.B. die „Blätter für deutsche und internationale Politik“, „Künstliche Intelligenz“ von Phillip Kuhlmann oder „Mensch und Maschine“ von Thomas Ramge. Das geht schon ganz gut.
Ich kann mich schlecht erinnern wie mein Gesundheitsstatus in den vorigen Monaten war. Freunde geben bin mir das Feedback, dass meine Sprache sich wesentlich verbessert hat, seit ein paar Monaten.
Manche von den Krankenpflegern in der Reha waren nicht besonders motiviert. Ich kann mich erinnern, es gab es einen Krankenpfleger, der morgens ins Zimmer kam, als ich noch schlief, das Licht anmachte und sagte ich müsse Aufstehen. Als ich das Licht wieder ausmachte (ich war noch verschlafen und das Licht tat mir in in den Augen weh), das sagte er ziemlich aggressiv: „Wie alt sind sie eigentlich?“ … und ich konnte nicht sprechen.
Auch manche Ärzte in der Humboldtmühle waren reichlich unmotiviert. Ich erinnere mich, der Arzt, der für mich zuständig war, versäumte fast immer seinen Termin mit mir. Er kam dann unangemeldet und lustlos in mein Zimmer, holte sich mein: „Wie geht es Ihnen?“ „Gut.“ oder „Nicht so gut, ich habe Krämpfe im rechten Arm.“ „Da machen wir eine Botox-Injektion, sonst noch was?“ … ab und verschwand wieder.
Das Sprechen fällt mir sehr schwer. Ich kann manchmal die Worte nicht finden. Kognitiv weiß ich, was ich sagen will, aber es fehlt mir das Verbale. Wenn der oder die Gegenüber zu schnell spricht (und das kann leicht passieren bei Berlinern …) habe ich Mühe, der Sprechgeschwindigkeit zu folgen. Manchmal ist sie oder er schon beim übernächsten Thema und ich hechele hinterher.
Ich muss mir das, was ich sprechen will, vorher genau im Kopf zurechtlegen, nur dann kann ich es sprechen. Wenn ich versuche, zu schnell zu sprechen, dann passiert es mir meistens, dass ich ein Wort nicht finde. Der oder die Gegenüber sagt dann meistens: „Nur die Ruhe, ganz langsam“ … und schaut mich auffordernd an – aber mein Gehirn ist dann ganz leer.
Und wenn ich etwas ausspreche, dann kostet mich das eine Menge Konzentration, die Worte richtig zu bilden. Nach spätestens anderthalb Stunden bin ich total erschöpft und muss mich erst mal auszuruhen.
Es fällt mir noch schwer, Worte zu bilden die mit bspw. -geld enden. Es fällt mir wahnsinnig schwer, beispielsweise „Papiergeld“ zu finden. Andererseits fällt es mir leichter, Worte zu finden die mit Geld- beginnen, beispielsweise Geldautomat.
Längere komplizierte (beispielsweise juristische) Texte zu lesen fällt mir sehr schwer. Aber es bleibt mir manchmal nichts anderes übrig. Der Vertrag für unsere Praxis läuft beispielsweise Ende des Jahres aus. Wir haben eine Anwältin mit der Aufgabe betraut, die Positionen, die wir gegenüber dem Vermieter haben, zu formulieren. Und ich musste das wiederholt lesen und korrigieren.
Ich erinnere mich an einen Betroffenen, der einen Schlaganfall hatte. Der war rechtsseitig gelähmt, saß in einem Rollstuhl, konnte nicht gehen und nicht sprechen. Aber er konnte ganz doll mit Wasserfarben malen. Als ich seine Frau fragte (das fiel mir sehr schwer, weil ich nur mühsam sprechen konnte), wie lange denn der Schlaganfall her war, traten Tränen in ihre Augen und auch bei dem Betroffenen. Sie sagte: „Das ist 8 Jahre her.“ Als ich die Reha verließ, schenkte ich ihm eine Stoffpuppe. Der Mund der Stoffpuppe war durch einen Reißverschluss verschlossen und konnte geöffnet werden. Er schenkte mir ein Wasserfarbenbild, das war sehr schön.
Ich habe eine Theorie wo der Schlaganfall herkam. Ich rauche nicht, und ich habe einen niedrigen Blutdruck. Die Blutfettwerte (Cholesterinwerte) sind moderat erhöht. Mein Vater hatte einen Schlaganfall mit 61, ich war 62. Ich habe ihn rasiert nach seinem Schlaganfall. Ich kann mich erinnern wie sich seine Haut auf der betroffenen Gesichtshälfte schlaff anfühlte. Er hat mich wahrscheinlich verstanden, aber das hab ich nicht gewusst. Ich war damals 18 und im ersten Semester Sozialpädagogik. Ich war sehr naiv.
Außerdem: Ich hatte vorn neun Jahren Krebs in der linken Mandel. Ich wurde operiert, die linke große Halsvene wurde entfernt und kriegte Chemotherapie und Bestrahlung. Vermutlich ist durch die Bestrahlung meine linke Halsschlagader sozusagen „porös“ geworden, und als sich im Laufe der Zeit eine Arterienverkalkung (Arteriosklerose) durch Blutfetteinlagerungen in der linken Halsschlagader gebildet hat, kam es zu einer Minderdurchblutung der linken Gehirnshälfte (wo die Kontrolle über meine rechte Körperseite und das Sprachzenrum liegt – das Broca-Areal und das Wernicke-Zentrum), mit anderen Worten: zum Schlaganfall (Apoplex). Während der Operation wurde mir ein Gefäßstütze (Stent) implantiert, der meine Halsschlagader offenhält.
Ich habe eine Kollegin, die mit mir Jobsharing macht, d. h. sie arbeitet mit meinem Praxissitz. Wir teilen uns die Sitzungen, die erforderlich sind für einen Praxis. Meine ehemalige Assistentin Anja Horn hat mich sehr unterstützt bei der Organisation von diesem Jobsharing.
Heute schaue ich Serien auf Netflix (z.B. NCIS), höre den ZEIT-Online Podcast „Was jetzt?“ (den höre ich jeden Tag), schaue Aufgenommenes mit meinem Festplattenrekorder (vor allem Krimis und Science-Fiction), und höre Hörbücher (z.B. „Sag mal du als Physiker“, „Zukunftsmedizin“, „Das Universum in deiner Hand“, „Kreativität“ von David Eagleman, „Das Gedächnis des Körpers“ von Joachim Bauer usw.).
Ich habe Blumen gesät auf meinem Balkon (im September), die prächtig geblüht haben (in November), das macht mir irre Spaß.
Ich habe mir ein E-Dreirad gekauft. (Das war unheimlich teuer: das kostete 7000 € und die Versicherung noch mal 1200 €.) Aber es macht Spaß, mit dem Dreirad (das hat einen Motor) durch die Stadt zu fahren, vorwiegend durch den Volkspark, mich in den kleinen Biergarten zu setzen, Moccacino zu trinken und Podcasts zu hören.
Ich bin Rechtshänder, meine rechte Hand ist gelähmt. Daher kann ich nur mit der linken Hand tippen. Das ist unheimlich mühsam. Noch dazu kommt, das ich sehr schnell erschöpft bin. Wenn ich einen Text diktiere, dann musste ich außerordentlich viel korrigieren. Das macht mir sehr viel Mühe.
Ich hatte Überlastungschmerzen im linken Arm, daher bekam mich dreimal Cortison (ein Nebennierenhormon, das entzündungshemmend und die immunologischen Prozesse unterdrückend wirkt) gespritzt.
Und ich hatte Krämpfe und eine Spastik im rechten Arm (in dem Gelähmten), daher bekam ich Botox (einen Muskellähmungsmittel) in den Arm gespritzt.
In meinen Träumen kann ich ohne weiteres sprechen.
Ich nehme folgende Medikamente ein:
– Atorvastin, ein Cholesterin-Senker, weil meine Cholesterinwerte grenzwertig sind,
– ASS, ein Blutverdünner (Thrombozytenaggregationshemmer), weil sie das Auftreten von Thrombosen in den Gefäßen vermindert, wirkt also dem Zusammenklumpen von Blutplättchen entgegen,
– Pantroprazol, ein Magenschutz (Protonenpumpenhemmer), weil ASS Sodbrennen verursacht,
– Euthyrox, ein Schilddrüsenhormon, weil meine Schilddrüsen durch die Bestrahlung grenzwertig funktionieren.
und außerdem:
– Tardyferon, ein Eisenpräparat,
– Vitamin B Komplex
– Calzium
– Vitamin D
… weil ich mich seit ein paar Wochen vegan ernähre. Ich habe einen veganen Koch eingestellt. Er bringt mir Essen in Tupperware mit. Er ist ein ausgezeichneter Koch.
Ich könnte ohne weiteres noch mal einen Schlaganfall haben. (Mein Vater hatte einen zweiten Schlaganfall und ist daran gestorben.) Oder ich könnte sterben oder, warum auch immer, nicht mehr rechtskräftig kommunizieren können, beispielweise weil ich im Koma läge. Daher habe ich meinem Freund Andreas eine Patientenverfügung (Patientenvollmacht) gegeben.
Ich habe auch einen Haus-Not-Ruf, das ist ein Knopf, der um meinen Hals hängt, mit dem ich mit einen Dienstleister telefonieren kann. Wenn ich nicht sprechen kann und auf den Knopf drücke, dann ruft der Dienstleister den Notarzt an.
Ich mache je ungefähr zweimal die Woche Ergotherapie (Behandlung durch Alltagstätigkeit), Physiotherapie (Krankengymnastik), Logopädie (für die Sprachentwicklung), Ostheopathie (die Osteopathin legt ihre Finger auf meinen Kopf und massiert den ganz leicht) und lasse mich alle drei Wochen 1,5 Stunden massieren.
Ich habe beobachtet, dass die Leute auf der Straße sehr hilfsbereit sind. Sie bieten mir z.B. an, mein Fahrradschloss zuzumachen wenn ich damit nicht zurecht komme. Die Kassierer bei Edeka packen sehr gerne meine Einkaufsachen ein, weil ich das mit der linken Hand schwer kann usw. Andererseits ist ein wahnsinniges Gedrängel bei Edeka auf den Gängen. Unentwegt schiebt sich ein Kunde vor mich. Und ich habe beobachtet, dass viele (vor allem ältere) Leute auf der Straße den Mundwinkeln nach unten ziehen und grimmig schauen.
Mit meinem E-Dreirad hatte ich einmal einen kleinen Unfall. Ich bin an einem Pfosten hängen geblieben, mein Schutzblech hat sich nach innen verbogen in das Rad, so dass ich nicht weiter fahren konnte. Ein junger Mann kam sofort zu mir und bot mir Hilfe an. Er bemühte sich, mit seinem Schlüssel das Schutzblech von Reifen zu lösen, was nicht gelang. Eine junge Frau bot ebenfalls Hilfe an. Sie hatte einen großen Löffel, mit den die „Reparatur“ schließlich gelang. Ich war fassungslos, das hätte ich nicht gedacht, dass die Leute so hilfsbereit sind.
Ich möchte allen Freunden danken, dass sie sich so liebevoll um mich gekümmert haben. Das werde ich ihnen niemals vergessen.
Werner Eberwein