Freeze

Erstarrung („Freeze“) ist eine von drei Möglichkeiten neben Kampf („Fight“) und Flucht („Flight“) in einer traumatischen Situation.

Was passiert, wenn Kampf oder Flucht unmöglich sind? Ist eine Situation extrem bedrohlich und kann man – obwohl das Stresssystem maximal aktiviert ist – weder kämpfen noch fliehen, verfällt der Organismus in einen Erstarrungszustand, den wir „Freeze“ nennen. Der Körper ist angespannt, wie erstarrt, der Blick geht ins Leere.

Dauert die Traumatisierung weiter an, eventuell über Stunden, ändert sich die Stressreaktion noch einmal. Das Opfer gerät in den „Submit-Zustand“, den physiologischen Zustand der Unterwerfung. Der Muskeltonus ist eher schlaff, der Blutdruck niedrig, das Opfer lässt völlig willenlos alles mit sich machen, was von ihm verlangt wird.

Es beschreibt ein Vermeiden von Situationen, die als bedrohlich empfunden werden, einen sozialen Rückzug, und die psychische Erstarrung und emotionale Taubheit oder emotionale Anästhesie („emotionales oder psychisches Zusammenziehen“). Der Betroffene hat keine Möglichkeit, eine Situation zu bewältigen (weder fliehen noch kämpfen) und gerät in einen schockartigen Erstattungszustand („Totstellreflex“).

Damit befindet er sich in einer traumatischen Zange, wodurch die während des „Freeze-Zustands“ ausgelöste Dissoziation, Abspaltung und Fragmentierung der traumatischen Gedächtnisinhalte zum Ausdruck gebracht wird.

Diese Schreckstarre lässt sich auch bei Tieren sehr gut beobachten, die sich im Angesicht von Bedrohung totstellen. Kämpfen und Flüchten sind Reaktionen, weil Betroffene die Hoffnung haben, so der Situation zu entkommen. Wenn diese Hoffnung nicht besteht oder die Situation ausweglos erscheint, folgt die Starre.

Der Mensch ergibt sich der Situation und resigniert.

Diese Reaktion kann in realen Gefahrensituationen hilfreich, gar lebensrettend sein (bspw. bei Opfern von Gewaltverbrechen, Unfällen und in anderen traumatisierenden Situationen). Bei dieser Reaktion wird der Puls heruntergefahren, Denken und Schmerzempfinden werden kurzzeitig ausgeschaltet und auch Erinnerungen danach sind kaum oder gar nicht vorhanden.

Die genannten Mechanismen verstärkt die Natur bei Bedarf mit einem weiteren „Überlebenstrick“: Steigert sich eine Stresssituation ins Extreme – in Momenten höchster Gefahr und maximaler Todesangst – werden ab dem „Freeze-Zustand“ zusätzlich Endorphine ausgeschüttet. Die Natur mildert das Geschehen dadurch gleichsam ab. In diesem Moment tritt das Phänomen der Bewusstseinsveränderung ein. Das Bewusstsein wird vage, trübe, alles erscheint unwirklich. Es gibt plötzlich kein Schmerzempfinden mehr, das Opfer kann sich an nichts mehr erinnern.

Diese Bewusstseinsveränderungen sind reflexartige Vorgänge im Gehirn und werden in Summe als „Dissoziation“ bezeichnet. Die Dissoziation kann sich in Form von Derealisation („alles ist so unwirklich“), von Depersonalisation („ich spüre mich nicht mehr“) oder sogar als Außer-Körper-Erleben (man nimmt sich selbst als Außenstehender wahr) äußern. Die Dissoziation hilft, etwas Schreckliches, das man erlebt, nicht wahrnehmen zu müssen.

Selbst wenn das Schreckliche schließlich durchlitten und die äußere Gefahr gebannt ist – der Schrecken ist längst noch nicht vorbei. Traumafolgestörungen wie die „posttraumatische Belastungsstörung“ machen den Opfern noch lange zu schaffen. Die anhaltende erhöhte Stressbereitschaft („Hyper­arousal“) etwa ist für die Betroffenen äußerst quälend. Sie befinden sich permanent in einer übermäßigen Anspannung, sie können nicht schlafen, werden sehr jähzornig oder schreckhaft.

Typische Symptome für eine Posttraumatische Belastungsstörung sind neben blitzartig auftretenden Nachhallerinnerungen („Flashbacks“) sogenannte dissoziative Zustände mit Gefühlsstörungen im Körper, wobei Betroffene gleichsam einfrieren, gedanklich wegdriften, ihre Umwelt nicht mehr bewusst realisieren  und sich nicht mehr spüren.

Das Wahrgenommene wird sozusagen abgespalten und unbewusst im Gedächtnis gespeichert. Deswegen fehlen bewusste Erinnerungen an ein Trauma später oftmals völlig oder sind nur bruchstückhaft vorhanden. Unser Gehirn merkt sich aber auch alle Reaktionen unseres Körpers in bestimmten Situationen, so auch jene während eines traumatisierenden Erlebnisses.

Zeitversetzt, auch lange Zeit später, unter Belastung oder bei gedanklichen Assoziationen, die in Verbindung mit der traumatischen Erfahrung stehen, kann es dazu kommen, dass Betroffene in einen ähnlichen Zustand geraten, wie in jenen während der Entstehung eines Traumas und Traumasymptome aufweisen, also in einen oben beschriebenen dissoziativen Zustand geraten. Fallweise kommt es als Folge zu Selbstbeschädigungen, wobei Betroffene sich selbst verletzen, um sich wieder zu spüren.

Literatur


Werner Eberwein