Was taugt KI in der Psychotherapie?
Künstliche Intelligenz (KI) in der Psychotherapie ist ein spannendes, aber auch sensibles Thema. Es geht dabei nicht darum, menschliche Therapeut*innen zu ersetzen, sondern vielmehr um Unterstützung, Assistenz und neue Werkzeuge im therapeutischen Prozess.
Hier ein Überblick über zentrale Anwendungsfelder, Chancen und Grenzen:
Anwendungsfelder von KI in der Psychotherapie
1. Diagnostik und Screening
- KI-gestützte Fragebögen oder Sprachanalyse können Symptome früh erkennen (z. B. Depression, Angst).
- Tools wie natural language processing (NLP) analysieren Sprache (Schrift oder Audio) auf psychische Belastung.
2. Therapieunterstützung
- Chatbots wie Woebot oder Wysa bieten niedrigschwellige, textbasierte Unterstützung bei leichten Krisen.
- Psychoedukation durch KI kann Patient*innen zwischen den Sitzungen begleiten.
- Trance-/Meditationsgenerierung: KI kann personalisierte Audios erstellen (wie du es ja selbst nutzt), z. B. zur Entspannung oder Ressourcenaktivierung.
3. Selbsthilfe und Prävention
- KI-Apps motivieren zu Achtsamkeit, Tagesstruktur, Emotionsregulation – oft auf DBT- oder ACT-Grundlagen.
- Adaptive Programme passen sich an Stimmung und Fortschritt an.
4. Forschung und Auswertung
- KI kann große Datenmengen aus Therapieverläufen auswerten (z. B. in Studien oder zur Qualitätssicherung).
- Stimmungs- oder Wortmusteranalyse liefert Hypothesen über Verlaufsdynamiken.
5. Administrative Entlastung
- Diktat- und Dokumentationshilfe, z. B. durch automatische Gesprächsprotokolle (Achtung: Datenschutz!).
- Hilfe bei Verlaufsdokumentation, EBM-Verschlüsselung, KV-Reports etc.
Chancen
- Barrierefreiheit: Soforthilfe für Menschen mit wenig Zugang zur Psychotherapie.
- Entlastung für Therapeut*innen, vor allem bei Routineaufgaben.
- Früherkennung durch kontinuierliches Monitoring.
- Individualisierung: KI kann Inhalte anpassen – z. B. an Stimmungen, Sprache, Fortschritt.
Grenzen und Risiken
- Keine Beziehung: KI kann keine echte therapeutische Beziehung herstellen.
- Fehlinterpretationen: Sprach-KI kann emotionale Nuancen oder Ironie missverstehen.
- Datenschutz & Ethik: Besondere Vorsicht bei sensiblen Patient*innendaten.
- Überforderung oder falsche Sicherheit: Patient*innen könnten sich zu früh auf „digitale Therapie“ verlassen.
Zukunftsperspektiven
- Kombination aus menschlicher Präsenz + KI-Assistenz (z. B. hybride Therapieformate).
- KI als Co-Therapeut im Hintergrund (z. B. für Zusammenfassungen, Verlaufsanalysen, personalisierte Hausaufgaben).
- Ethikrichtlinien und Supervision von KI-Einsatz durch Psychotherapeut*innen werden entscheidend.
KI-gestützte Tools für Therapeut*innen (deutschsprachig)
1. TherapAI
Funktion: Assistenzsystem zur Dokumentation, Verlaufsanalyse und Supervision
🇩🇪 Sprache: Deutsch
Besonderheiten:
- Erstellt auf Basis von Therapiesitzungen (Audio/Notizen) strukturierte Protokolle und Hypothesen
- Visualisiert Therapieentwicklung
- DSGVO-konformer Betrieb auf Servern in Deutschland
Zielgruppe: Verhaltenstherapie & integrative Verfahren
Website: https://therapai.de
2. Psytelligence
Funktion: KI-Analyse psychologischer Texte und Patient*innenaussagen (Transkript oder Freitext)
Nutzung: zur Hypothesenbildung, emotionalen Tonalität, kognitiven Verzerrungen
Entwickelt für: Forschung, aber auch für klinische Supervision nutzbar
Hinweis: Der Anbieter arbeitet mit Hochschulen zusammen (z. B. Universität Hamburg)
3. MindDoc Pro (Therapeut*innen-Zugang)
Funktion: App-basiertes Monitoring durch Patientinnen mit Zugriff für Therapeutinnen
Merkmale:
- Patient*innen beantworten regelmäßig Fragen zu Stimmung, Schlaf, Symptomen
- Therapeut*innen erhalten ein Dashboard mit Auswertung + Verlauf
- Optional mit KI-generierten Empfehlungen (z. B. Risikohinweise)
Website: https://minddoc.de
4. KaraMind
Funktion: KI-gestützte Meditationen und Imaginationsreisen für den klinischen Einsatz
Einsatzbereiche:
- ressourcenorientierte Trancen, Achtsamkeitstraining, Psychoedukation
- Inhalt personalisierbar nach Diagnose oder Therapieziel
- Audio-Ausgabe für Patient*innen (DSGVO-konform, werbefrei)
Besonderheit: Entwickelt in Kooperation mit Psychotherapeut*innen (Systemisch & VT)
Website: https://karamind.de
5. MENTALis (Plattform für ambulante digitale Nachsorge)
Funktion: App- und KI-gestützte Unterstützung von Patient*innen zwischen oder nach stationären Aufenthalten
Features:
- Monitoring psychischer Stabilität
- KI-Coach für Selbsthilfe & Übungen
- Feedback-Funktion für Therapeut*innen
Ziel: Rückfallprophylaxe, auch in Kooperation mit Kliniken und Vertragsärzt*innen
Website: https://mentalis.health
Weitere Tools im Grenzbereich KI/Therapie
Tool | Kurzinfo | Einsatzgebiet |
Nilo.Health | Coaching-Plattform mit KI-Triage | Betriebliche Gesundheit |
HelloBetter Coach | Begleitender KI-Coach zu Online-Kursen | Online-Programme (z. B. Depression, Angst) |
Sympatient | KI-gestützte VR-Therapie gegen Angst | Verhaltenstherapie mit Exposition (z. B. Höhenangst, Agoraphobie) |
Wichtig bei der Auswahl:
- DSGVO-Konformität prüfen (speziell bei Audio/Sprachdaten!)
- Transparenz über KI-Modelle (z. B. erklärbare Algorithmen)
- Supervision durch menschliche Fachkraft immer gewährleisten
- Tools sollten unterstützen, nicht ersetzen
Klinisches Anwendungsszenario: MindDoc Pro
Ausgangslage:
Frau S., 34 Jahre, leidet unter rezidivierenden depressiven Episoden. In der aktuellen Therapie (VT, Einzel, 50 Minuten/Woche) berichtet sie über Stimmungsschwankungen, Grübelattacken und Schlafprobleme – doch oft kann sie diese in der Sitzung nur vage erinnern („Ich weiß nicht mehr, was wann war…“).
Einsatz von MindDoc Pro:
- Die Patientin wird eingeladen, über die MindDoc App täglich kurze Fragen zu beantworten (Stimmung, Energie, Schlaf, Appetit, Grübeln etc.).
- Die Antworten werden durch eine KI voranalysiert (Mustererkennung, Risikohinweise) und im Therapeut*innen-Dashboard visualisiert.
In der Sitzung:
- Der Therapeut sieht z. B., dass an Tagen mit extrem schlechtem Schlaf auch die Grübelintensität steigt.
- Gemeinsam werden dann spezifische Zusammenhänge reflektiert („Wie hängt Schlaf mit deiner Stimmung zusammen?“) und gezielte Interventionen entwickelt (z. B. Schlafprotokoll, kognitive Techniken bei Grübeln).
Wirkung:
- Die Patientin fühlt sich „ernster genommen“, weil ihre täglichen Erfahrungen sichtbar werden.
- Die therapeutische Zielarbeit wird konkreter und die Alltagsdaten verbessern die Selbstbeobachtung.
Kritische Bewertung von KI-Tools in der Psychotherapie
Chancen
Vorteil | Erklärung |
Erhöhte Transparenz | Therapeut*innen sehen auch die Zwischenzeiten, nicht nur Sitzungsberichte. |
Frühwarnsystem | KI erkennt z. B. plötzliche Risikosteigerung (Suizidgedanken, Schlafentzug). |
Stärkung der Selbstwirksamkeit | Patient*innen erleben sich aktiver im Verlauf. |
Individualisierung möglich | KI kann Inhalte und Feedback adaptieren. |
Risiken / Grenzen
Risiko | Erklärung |
Falsche Sicherheitsgefühle | KI ersetzt keine Krisenintervention, auch wenn Warnhinweise vorhanden sind. |
Fehlinterpretation durch KI | Ironie, kulturelle Nuancen oder subtile emotionale Ausdrucksformen können missverstanden werden. |
Datenschutz-Bedenken | Sensible psychische Daten müssen besonders geschützt sein (z. B. bei Cloud-Diensten). |
Techniklastigkeit | Gefahr, dass die Beziehungsebene zu stark in den Hintergrund tritt oder Patient*innen „überwacht“ fühlen. |
Fazit
KI-Tools wie MindDoc Pro können therapeutische Prozesse unterstützen, strukturieren und individualisieren – sofern sie verantwortungsvoll eingebunden werden. Sie eignen sich besonders für:
- Verlaufskontrolle,
- Psychoedukation,
- Ressourcenstärkung,
- und situationsbezogene Auswertung.
Aber sie brauchen immer die Einbettung in eine bewusste therapeutische Beziehung.
Werner Eberwein