Wie funktioniert klassische Hypnose?
Was ist klassische Hypnose?
Die klassische, direktive Hypnose war bis etwa in die 1980er Jahre weltweit die gebräuchliche, ja in der Regel die einzig bekannte Technik der Hypnose. Heute wird sie meistens gemischt mit den modernen Methoden der ericksonianischen Hypnose. Von manchen (insbesondere älteren) Hypnotherapeuten, im medizinischen Bereich, im Rahmen der Verhaltenstherapie und in der klinischen Forschung wird die klassische Hypnose auch heute häufig noch unverändert angewandt.
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In der klassischen Hypnose
- … wird mit standardisierten Suggestionen gearbeitet, d.h. der Hypnotiseur verwendet bei jedem Patienten dieselben Formulierungen zur Ein- und Ausleitung der Hypnose sowie die selbe Basistechnik der therapeutischen Nutzung des Trancezustandes.
(In der modernen Hypnose dagegen wird die Hypnosetechnik je nach den individuellen Eigenheiten, Vor- und Abneigungen des Patienten variiert.) - … wird als therapeutisch wirkende Kraft („Agens“) lediglich die Kraft der hypnotischen Suggestionen selbst angewandt
(In der modernen Hypnose wird der Trancezustand dazu benutzt, um latente Ressourcen im Unbewussten des Patienten zu aktivieren und abgewehrte Anteile zu integrieren.) - … werden die therapeutischen Suggestionen direkt gegen die zu behandelnde Störungen und für das zu erreichen Ziel eingesetzt
(In der modernen Hypnose wird dagegen mit einer Vielfalt von kreativen und integrativen Techniken zur Linderung des psychischen Leids und für psychosoziale Weiterentwicklung des Patienten gearbeitet.)
Der Vorteil der klassischen Hypnose ist, dass sie sehr klar strukturiert, systematisch aufgebaut und relativ leicht erlernbar ist. Die klassische Hypnose kann von Menschen mit einer psychotherapeutischen oder medizinischen Grundausbildung durchaus in zwei Wochenenden erlernt werden. Außerdem begann die Geschichte der Hypnose mit der klassischen Form. Daher beginne ich in meinen Fortbildungen mit der Vermittlung einer modernisierten Form der klassischen Hypnose, die zwar direktiv ist in dem Sinne, dass dem Patienten eine unmittelbare Anleitung gegeben wird, aber dennoch sanft in dem Sinne, dass ihm keine Suggestionen äußerlich übergestülpt werden, schon gar nicht solche, die seinen Bedürfnissen, seinem Willen oder sogar seiner Würde zuwiderlaufen.
Im Folgenden beschreibe ich kurz die einzelnen Schritte der klassischen Hypnose, so wie ich sie in meinen Fortbildungen vermittele und häufig auch mit Patienten durchführe, die ausdrücklich eine hypnotische Kurzzeittherapie wünschen, ein klar strukturiertes Vorgehen brauchen, und bei denen es um ein eingrenzbares Problem und/oder eine klar definierbare Zielvorstellung handelt. Diese Arbeitsweise kann in einer einzigen bis einigen wenigen Sitzungen durchgeführt werden. Dabei sind durchaus therapeutisch signifikante, wenn auch begrenzte hypnotherapeutische Effekte zu erwarten.
Ich möchte ausdrücklich betonen, dass man Hypnose nicht auf theoretische Weise aus Blog-Beiträgen oder Büchern lernen kann, sondern nur durch persönliche Anleitung und unter Supervision eines gut ausgebildeten, erfahrenen und seriös arbeitenden Hypnotherapeuten.
Posthypnotische Suggestion vereinbaren
Zu Beginn fokussieren Therapeut und Patient gemeinsam, um welches Problem, Thema oder Ziel es sich in der Hypnose-Sitzung drehen soll. Es muss klar sein, worunter der Patient leidet bzw. welche Veränderung er sich wünscht, und dies muss knapp und präzise explizit formuliert werden.
Dann hilft der Therapeut dem Patienten, eine explizite Zielformulierung zu entwickeln und zu formulieren. Das ist erfahrungsgemäß nicht ganz einfach, weil die meisten Patienten zunächst ein recht unrealistisches Ziel in negativer Form präsentieren, z.B.:
- „Meine Kopfschmerzen sollen weg sein.“
- „Ich möchte frei von Depressionen sein.“
- „Ich möchte mit dem Rauchen aufhören.“
u.ä.
In grammatikalisch negativer Form formulierte Ziele werden als „Vermeidungsziele“ bezeichnet. Die negative Art der Formulierung ist für eine posthypnotische Suggestion nicht optimal (obwohl bei schlecht ausgebildeten Hypnotiseuren leider üblich), weil das Unbewusste sprachliche Negationen nicht versteht. So würde beispielsweise die Aufforderung „Denken Sie jetzt nicht an einen blauen Elefanten“ mit großer Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass genau das geschieht, was nicht geschehen soll, nämlich, dass der Patient an einen blauen Elefanten denkt. Analog würde er bei einer posthypnotischen Suggestionen wie „Ihre Kopfschmerzen sind verschwunden“ gerade auf die Kopfschmerzen fokussiert, die ja das Problem und nicht das Ziel sind.
Der Therapeut unterstützt daher den Patienten, eine explizite, möglichst präzise, passende, einfache und kurze Formulierung seines Ziels in grammatikalisch positiver Form zu finden, das in einer etwa 30-minütigen Behandlung mit klassischer, direktiver Hypnose realistisch erreichbar ist. In meiner psychotherapeutischen Praxis dauert das Herausarbeiten einer solchen posthypnotischen Suggestion mit Unterstützung durch den Therapeuten in der Regel zwischen 5 und 15 Minuten.
Wenn das Problem des Patienten aus (medizinisch als unbedenklich diagnostizierten) Spannungskopfschmerzen besteht, so könnte die posthypnotische Suggestion hier beispielsweise lauten: „Der Nacken ist gelöst und frei.“ Wichtig ist, dass der Patient die Formulierung als für sich persönlich passend, auf das Problem und das Ziel zutreffend und emotional wohltuend empfindet. Der Therapeut notiert sich die exakte Formulierung, damit er sie nachher während der Hypnose zur Verfügung hat.
Setting aufbauen
Das Setting ist das äußere Arrangement der Hypnose-Sitzung. Grundsätzlich ist die Induktion einer Trance in beliebigen Settings möglich. Trance-Prozesse entstehen spontan und können suggestiv eingeleitet bzw. gefördert werden sowohl in sitzender Haltung, als auch im Liegen, im Stehen, im Umhergehen und sogar bei intensiver körperlicher Aktivität.
In der von mir vermittelten Form der klassischen Hypnose lädt der Therapeut den Patienten ein, verschiedene Orte und Positionen im Therapieraum auszuprobieren, damit er spüren kann, welcher Ort und welche Körperhaltung es ihm am ehesten ermöglicht, in eine für ihn (den Patienten) angenehme Trance zu gehen. Im Rahmen einer hypnotherapeutischen Sitzung entscheiden sich die meisten Patienten entweder für eine bequeme Sitzposition oder für eine Trance im Liegen (falls vorhanden auf einer Liege, einer Liegematte, einer Matratze, einem weichen Teppich oder ähnlichem).
Wichtig ist, dass der Patient sich wohl, behaglich und geschützt fühlt. Der Therapeut bietet ihm ein oder mehrere Kissen und eine Decke zum Zudecken an. (Viele Patienten verzichten zu Beginn der Sitzung darauf, sich zuzudecken, aber bei längerem, relativ unbeweglichen Sitzen oder Liegen wird ihnen dann doch oft etwas kühl, so dass es eine gute Idee ist, eine Decke bereitzuhalten oder zumindest die Beine zu bedecken.) Das Zudecken dient nicht nur der Wärmeregulation, sondern es fungiert auch als Schutz, was insbesondere bei Patienten mit Abgrenzungsproblemen wichtig ist.
Dann fragt der Therapeut den Patienten, wo (d.h. in welcher Entfernung, Richtung, Höhe usw.) er, der Therapeut, während der Sitzung sein soll. Den meisten Patienten ist es am angenehmsten, wenn der Therapeut relativ nahe, aber nicht zu nahe seitlich neben ihnen sitzt.
Auch der Therapeut sollte auf größtmögliche Bequemlichkeit für sich selbst achten. Wenn der Therapeut unbequemen sitzt, entsteht in ihm über kurz oder lang eine innere Anspannung, die sich über die Stimmlage auf den Patienten überträgt.
Der Therapeut sollte deutlich und mit normaler Sprechlautstärke sprechen, also nicht Flüstern, nicht säuseln, nicht monoton oder überbetont sprechen usw.
Blickfixation
Die Blickfixationsmethode ist eine traditionelle Technik der Trance-Induktion aus dem Methodenrepertoire der klassischen Hypnose. Der Vorteil dieser Technik besteht darin, dass sie den Erwartungen vieler Patienten bezüglich der Einleitung einer Hypnose (und dem Aktivitätsbedürfnis vieler Hypnotherapeuten) entspricht. Die Technik hat im Erleben des Patienten etwas „Magisches“, weil dem Patienten, der die Feinheiten der Technik nicht kennt, in der Regel nicht deutlich wird, wie sie funktioniert.
Ein Nachteil der Methode besteht darin, dass sie relativ invasiv, autoritär und überrumpelnt ist, so das besonders Patienten mit Abgrenzungsproblemen oder strukturgestörte Patienten sich davon leicht überwältigt oder bedroht fühlen können. Die Methode ist zum Erlernen der Hypnose gut geeignet, in der praktischen Anwendung mit Patienten setzt sie eine intensive Strukturdiagnostik voraus, um subtile oder offene Retraumatisierungen auszuschließen.
Zur Fixation des Blicks des Patienten hält der Therapeut zwei ausgestreckte Finger (in der Regel der rechten Hand) leicht angeschrägt in ca. 30 cm Abstand etwas oberhalb der Blickachse des Patienten vor ihn hin und fordert den Patienten auf, seine Fingerspitzen fest zu fokussieren.
Nonverbales Leading der Augen
Nun bewegt der Therapeut seine Finger sehr langsam (innerhalb von ca. 1 Minute) in Richtung der Stirnmitte des Patienten.
Verbale Ruhesuggestion
Gleichzeitig gibt der Therapeut dem Patienten die verbale Ruhesuggestion: „Du wirst ruhiger.“
In der traditionellen Formulierung aus dem Autogenen Training lautet die entsprechende Suggestion: „Ich bin/du bist ganz ruhig“. Diese Formulierung ist vor dem Hintergrund der Linguistik der modernen Hypnose nicht optimal, weil hier ein bereits erreichter Zustand von Ruhe behauptet wird, der an dieser Stelle vermutlich beim Patienten noch nicht vorhanden ist. Im Sinne eines zutreffenden Pacing ist daher eine Kontinuitätsformulierung („wirst ruhiger“) sinnvoller.
Suggerierter Augenschluss
Wenn die Fingerspitzen des Therapeuten etwa 10 cm von der Stirnmitte des Patienten entfernt sind, hat der Patient Schwierigkeiten, die Fingerspitzen zu fokussieren. Das Fokussieren in nahem Abstand vor den Augen und in leicht erhöhter Position ist anstrengend für die Augen, und sie beginnen leicht zu schmerzen. Der Patient spürt ein Bedürfnis, die Augen zu schließen. Er beginnt zu blinzeln, oder die Augenlider beginnen zu flattern.
Der Therapeut bleibt einen Moment an dieser Stelle, dann bewegt er die Fingerspitzen relativ schnell noch 2-3 cm näher in Richtung Stirnmitte. Gleichzeitig streicht er mit der anderen (in der Regel der linken) Hand einige Zentimeter über dem Gesicht des Patienten von oben nach unten über die Augen mit der verbalen Augenschluss-Suggestion: „Die Augen schließen sich, und sie bleiben fest geschlossen.“
Schweresuggestion
Jetzt suggeriert der Therapeut dem Patienten muskuläre Entspannung analog der Formulierung aus dem Autogenen Training: „Die Füße… <usw.> werden schwerer.“
Von unten nach oben suggeriert der Therapeut ein Schweregefühl (d.h. Entspannung) in allen Körperteilen. Er bemüht sich dabei, jeweils beim Ausatmen des Patienten zu sprechen, um sich an das subjektive Zeiterleben des Patienten anzugleichen.
Wärmesuggestion
Dann suggeriert der Therapeut, wiederum von unten nach oben: „Die Füße … <usw.> … werden wärmer.“ Dabei sollte er den Kopf auslassen, denn es folgt die …
Stirnkühlesuggestion
Der Therapeut suggeriert fünfmal jeweils beim Ausatmen des Patienten und mit Pausen zwischen den Sätzen: „Die Stirn wird angenehm kühl.“
Optionale Suggestionen zur Vertiefung
Nun können einige optionale Suggestionen folgen, die oft hilfreich sind, um die Trance zu vertiefen, z.B.: „Das Herz wird ruhig und warm“, „Der Atem wird ruhiger“, „Es atmet dich“, „Du kannst immer tiefer in Trance gehen“ u.ä.
Pause
An dieser Stelle hat der Patient vermutlich zumindest einen vertieften Entspannungszustand und/oder eine leichte bis mittlere Trance erreicht. Nun macht der Therapeut eine Pause, die er explizit ankündigt, um es dem Patienten zu ermöglichen, noch einen Schritt tiefer in Trance zu gehen: „Ich werde jetzt für <z.B.> 2 Minuten nicht sprechen, in dieser Zeit kannst du tief entspannen und träumen.“
Wichtig ist hier, dass der Therapeut die angekündigte Zeit strikt einhält, um dem Patienten einen Gefühl von Vertrauen in seine Suggestionen zu vermitteln.
Posthypnotische Suggestion geben
Nach der Pause ist ist der Entspannungs-/Versenkungszustand des Patienten vermutlich am tiefsten Punkt angelangt.
Nun gibt der Therapeut dreimal, jeweils beim Ausatmen des Patienten, die vorher vereinbarte direktive posthypnotische Suggestion mit einer Pause zwischen den Sätzen und einer längeren Pause danach, z.B.: „Nach der Trance ist dein Kopf leicht und frei“, „Nach der Trance wirst du dich kraftvoll und zentriert fühlen“, „Morgen früh nimmst du dir eine Dreiviertelstunde Zeit, um gemütlich zu frühstücken“ o.ä.
Rehypnose-Suggestion geben
Nun folgt die Rehypnose-Suggestion, einmal gesprochen, wieder mit einer etwa einminütigen Pause danach: „Das nächste Mal kannst du noch schneller und tiefer in Trance gehen“, „In der nächsten Trance wirst du sehr schnell sehr tief in Trance gehen“ o.ä.
Reorientierung
Es folgt die suggestive Reorientierung („Exduktion“). Diese sollte sanft und gründlich in einer etwas (aber nicht zu betont) frischer und lebendiger werdenden Stimmlage gesprochen: „Du kannst jetzt langsam zurückkommen. … Deine Füße <usw.> werden frisch und wach.“ usw.
Auch hier ist es linguistisch besser, die Suggestion im Sinne eines Kontinuums zu formulieren („… werden frisch und wach“ und nicht „… sind frisch und wach“), weil das dem subjektiven Empfinden des Patienten entspricht.
Danach sollten auch die wichtigsten psychischen Funktionen reorientierend angesprochen werden, z.B.: „Der Geist/die Gefühle/die Energie <usw.> wird/werden frisch und wach“.
Nun suggeriert der Therapeut direktiv und aktivierend als direkte Aufforderung: „Atme 3,4 mal tief ein und aus. Reck’ dich und streck’ dich. Öffne die Augen. Du bist wieder hellwach.“
Es ist wichtig, dem Patienten genug Zeit zu lassen, um ganz zurückzukommen (Richtwert: 3-5 Minuten).
Die Zähltechnik („Ich zähle jetzt bis 5 und bei jeder Zahl wirst du wacher …“) ist unnötig grob, mechanisch und veraltet.
Wichtig nach der Reorientierung
Der Patient ist nach der Trance für eine ganze Weile (Richtwert: ca. 15 Min. lang) noch genauso empfänglich für Suggestionen (auch unbeabsichtigte), wie während der Trance. Daher muss der Therapeut etwa 15 Minuten nach der Trance sehr behutsam damit sein, was er zu dem Patienten sagt oder wie er sich ihm gegenüber verhält.
Auch wenn der Patient wach aussieht, mit dem Therapeuten spricht und im Raum umhergeht, wirkt der hypnotische Rapport noch nach. Daher wirken alle Aussagen und Verhaltensweisen des Therapeuten weiterhin als Suggestionen, auch wenn der Therapeut das nicht bemerkt.
Aus dem selben Grund sollte der Therapeut unmittelbar nach einer Hypnose sehr zurückhaltend sein mit verunsicherten Nachfragen (z.B. „Geht es dir auch wirklich gut?“) oder mit nett gemeinten Verlegenheitswitzen, auch dann, wenn der Patient so aussieht, als ob er komplett wieder wach ist.
Werner Eberwein