Wie kann man Hypnose in der Psychotherapie anwenden?

Hypnose in der Psychotherapie – ist das nicht Manipulation? Funktioniert das denn bei jedem? Werden da die Symptome einfach wegsuggeriert? Kann man damit nicht auch Schaden anrichten? – Das sind einige der typischen Fragen, die Hypnotherapeuten oft gestellt werden.

Hypnotherapie ist Psychotherapie in veränderten Bewusstseinszuständen, die unter dem Begriff „Trance“ zusammengefasst werden. In der Hypnotherapie werden vielfältige Techniken der Suggestion und Imagination zum Dialog mit dem Unbewussten angewandt.

In Trance hat der Patient Möglichkeiten, die seinem bewussten Willen nicht zur Verfügung stehen. Es können z.B. vegetative Funktionen beeinflusst werden, Schmerz kann vermindert oder ausgeschaltet werden, Stimmungen können recht schnell verändert werden, der Patient kann seine Kindheit wiedererleben, sich in eine Vision seiner persönlichen Zukunft oder in andere Personen hineinversetzen. In Trance sind einschränkende Aspekte des kontrollierenden Wachbewusstseins reduziert, so dass latente und unbewusste Potentiale aktiviert und abgespaltene Anteile integriert werden können.

Ein Trance-Prozess wird unweigerlich in gewissem Umfang vom Hypnotherapeuten gelenkt. Dennoch wird in der modernen Hypnotherapie die Eigenmotivation des Patienten strikt respektiert, und seine autonome Kreativität wird nach Kräften gefördert. Der Patient wird niemals in eine Richtung gedrängt, die ihm fremd ist oder die ihm widerstrebt.

Die klassische, direktive Hypnose, wie sie bis vor etwa 25 Jahren ausschließlich praktiziert wurde, arbeitet mit hypnotischen Standardverfahren. Jeder Patient wird auf die gleiche Weise in Trance geführt. Darin werden ihm dann Standardsuggestionen für spezifische Indikationen gegeben (z.B. „Sie werden nie wieder rauchen“). Die Suggestionen werden als Behauptung („Sie sind ganz entspannt“) oder als Befehl („Entspannen Sie sich!“) formuliert. In der klassischen Hypnose geht man davon aus, dass die Hypnotisierbarkeit ein invariantes Persönlichkeitsmerkmal ist, das mit standardisierten Suggestibilitätstests gemessen werden könne. Der Vorteil der herkömmlichen, klassischen Hypnose ist, dass sie relativ leicht erlernbar ist und wenig individuelle Vorbereitung erfordert; ihr Nachteil ist, dass sie nur bei einem relativ kleinen Prozentsatz von Patienten nachhaltige Wirkungen hervorzubringen vermag.

In den 1970er Jahren wurden die neuartigen hypnotischen Techniken des amerikanischen Psychotherapeuten Milton Erickson in Europa bekannt. Erickson führte seine Patienten so kunstvoll in Trance, dass selbst qualifizierte Beobachter zunächst kaum nachvollziehen konnten, wie Erickson Trance eingeleitet und genutzt hatte. Er arbeitete abgestimmt auf die Bedürfnisse und Abneigungen des individuellen Patienten, mit indirekten Suggestionen, gezielter Verwirrung sowie mit hypnotischen Metaphern und Geschichten. Mit den modernen ericksonschen Techniken kann man heute praktisch jeden motivierten Patienten in eine Trance hineinführen, die für die meisten therapeutischen Zwecke ausreichend tief ist.

Durch hunderte von kontrollierten Studien ist inzwischen empirisch gut belegt, dass Hypnotherapie therapeutisch wirkungsvoll ist. 2006 wurde sie daher vom Wissenschaftlichen Beirat (zunächst nur als Methode für Abhängigkeits- und psychosomatische Störungen) als wissenschaftlich anerkannt.

Eine relativ einfache Anwendung der Hypnose in der Psychotherapie besteht darin, Hypnose als Entspannungsverfahren einzusetzen. Bspw. kann ein Hypnotherapeut dem Patienten die Formeln des Autogenen Trainings („Der rechte Arm ist ganz schwer“) als Suggestionen unterbreiten oder ihn suggestiv in eine entspannende Strand-Szenerie hineinversetzen. Hypnotische Entspannung kann z.B. zur Behandlung von Stress-Symptomen, bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlafstörungen, psychosomatischen Störungen oder zur Burnout-Prophylaxe eingesetzt werden.

In der hypnotischen Traumatherapie kann zunächst die Fähigkeit des Patienten zur therapeutischen Dissoziation von unerträglichen Gefühlen gestärkt werden, um den Patienten vor akuten Überflutungen zu schützen, um dann, ggf. ebenfalls auf dissoziative Weise, eine allmähliche Integration des Traumas zu ermöglichen. Bspw. kann der Patient in Trance mit einem ressourcenvollen Persönlichkeitsanteil kommunizieren, das Kontakt mit dem traumatisierten Anteil hat, um auf indirekte Weise das Trauma zu verarbeiten.

In der Verhaltenstherapie wird Hypnose z.B. bei Ängsten zur Entspannung im Rahmen der Systematischen Desensibilisierung angewandt, sowie zur posthypnotischen Förderung gewünschter Verhaltensänderungen, zur Korrektur dysfunktionaler Denkmuster und Selbstbilder, zur Behandlung von posttraumatischem Stress und von Phobien, zur Kontrolle von Gewohnheiten oder zur Bewältigung von chronischen Schmerzen.

In der psychodynamischen Hypnotherapie kann durch Altersregression in Trance am Aufdecken und Integrieren verdrängter Erinnerungen und Gefühle gearbeitet werden. Das Katathyme Bilderleben ist ein tiefenpsychologisches Imaginationsverfahren, in dem vorgegebene Motive (z.B. Wiese, Bach, Waldrand, Höhle) vom Patienten in einem Versenkungszustand ausfantasiert werden. Die dabei entstehenden inneren Bilder werden dann psychodynamisch gedeutet, ähnlich wie Träume.

In der systemischen Hypnotherapie geht man davon aus, dass das Wohlbefinden des Patienten durch „Problemtrancen“ gestört wird, die selbsthypnotisch erzeugt werden. Der Therapeut hilft dem Patienten durch Fokussierung auf seine Ressourcen zum Übergang in „Lösungstrancen“. Man arbeitet dafür z.B. mit paradoxen posthypnotischen Aufgaben, mit kognitivem Umdeuten oder mit Fragen nach Ausnahmen vom Symptom, die dann in Trance suggestiv ausgearbeitet werden. In der hypnosystemischen Familientherapie können auch Familienmitglieder während der Behandlung des Symptomträgers hypnotisch indirekt mitbehandelt werden.

In der humanistischen Hypnotherapie wird der Patient als Co-Subjekt des therapeutischen Prozesses gesehen, der als emanzipatorischer Dialog zwischen Patient und Therapeut verstanden wird. Humanistische Hypnotherapie ist nicht primär interventionistisch ausgerichtet, sondern sie dient vor allem dazu, durch einen gemeinsamen Suchprozess den konstruktiven inneren Dialog des Patienten mit seinem Unbewussten zu fördern. Der Therapeut moderiert während der Trance die inneren Dialoge des Patienten z.B. mit dessen Persönlichkeitsanteilen oder mit imaginierten relevanten Personen seines Lebens.

Ziele, Verlauf und Dauer einer humanistischen Hypnotherapie stehen zu Beginn der Therapie nicht fest. Vielmehr ist das gemeinsame Erarbeiten von Lebenszielen, sowie der Wege, die dorthin führen können, der zentrale Inhalt des therapeutischen Prozesses selbst. Dabei wird nicht nur an der Bewältigung umgrenzter Symptome gearbeitet, sondern der Patient setzt sich in Trance auch mit damit verbundenen existenziellen Fragen auseinander, z.B. nach Sinn und Werten, Freiheit und Verantwortung, Endlichkeit und Absurdität.

In der humanistischen Hypnotherapie kann der Patient durch vertieftes Erleben des Hier-und-Jetzt in Trance lernen, seine Probleme vor dem Hintergrund seiner Biografie zu verstehen und sich auf konstruktive Zukunftsentwürfe hin zu orientieren. Ein humanistischer Hypnotherapeut leitet den Patienten in Trance z.B. an, Beziehungs- und Einstellungsmuster, ungelebte Bedürfnisse und Fähigkeiten sowie einschränkende Selbstbilder zu erkunden und zu reflektieren. Dies kann z.B. durch empathisch begleitete freie Assoziation in Trance oder durch angeleitetes hypnotisches Fantasieren und Identifizieren geschehen.

Humanistische Hypnotherapie will dem Patienten signifikante emotionale Erfahrungen vermitteln, durch die die posthypnotischen Wirkungen der Trance-Erfahrung über lange Zeit hinweg anhalten können. In der humanistischen Hypnotherapie geht man davon aus, dass jeder Mensch latent über eine „innere Weisheit“ verfügt, mit der er in Trance in Dialog treten kann. Dies kann vor allem dann hilfreich sein, wenn der Patient existenzielle Entscheidungen treffen muss, die er auf einer rationalen Ebene allein nicht treffen kann.

Zentrales Ziel der humanistisch-hypnosuggestiven Arbeit ist es, die Eigenaktivität und -motivation, sowie die Selbstgestaltungsfähigkeiten des Patienten zu fördern, um ihn zu befähigen, Möglichkeiten der Wahl und der Lebensgestaltung zu erkennen und zu nutzen, die ihm vorher nicht gegenwärtig waren. In diesem Rahmen finden Umstrukturierungen von Einstellungen statt, indem der Patient in Trance lernt, alternative oder erweiterte Sichtweisen einzunehmen.

Zur Illustration eine hypnotherapeutische Sequenz aus der 14. Therapiesitzung mit einem 23jährigen Medizinstudenten. Er spricht zu Beginn der Sitzung über „übertriebene Ängste“ vor einer anstehenden Prüfung, auf die er inhaltlich gut vorbereitet sei. Ich leite ihn in einen Versenkungszustand, in dem er innerlich hin und her pendelt zwischen einer Phantasie der Prüfungssituation und einer Situation aus seiner Kindheit, in der ihn sein Vater auf beschämende Weise maßregelte. Wir suchen gemeinsam nach einer für ihn emotional evidenten Unterscheidung zwischen „sich anstrengen“ und „unter Leistungsdruck stehen“. Ich bestärke ihn suggestiv in seinem Gefühl der Verwurzeltheit in seinen Kompetenzen und lade ihn gleichzeitig ein, sich von Perfektionswahn zu distanzieren. Mehr und mehr erlebt er sich in der imaginierten Prüfungssituation als sicher und kompetent, und dann wieder in seiner Kindheit mit seinem unerfüllten Bedürfnis nach bedingungslosem Angenommensein von seinem Vater. Ich agiere als Moderator des Prozesses und gleichzeitig als Repräsentant eines „guter Vaters“, der den Patienten mit seinen Ängsten ernst nimmt. Es handelt sich also um eine Trance-Erfahrung auf mehreren Ebenen zugleich, von denen hier nur einige angedeutet werden konnten.

Werner Eberwein