Wie können Paarkonflikte gelöst werden?

Konflikte in Paarbeziehungen sind überaus schmerzhaft, weil sie sich im Intimbereich großer Nähe abspielen, so dass man sich nicht davon distanzieren kann. Wie können Paarkonflikte gelöst werden, so dass das Miteinander zum Lebensglück und zum Wachstum beider beiträgt?

Prinzipien

Ein demokratisches Miteinander als Paar setzt voraus, dass beide sich über bestimmte Prinzipien einig sind, die ein Miteinander überhaupt erst ermöglichen:

  1. Der andere ist anders. Das klingt banal, ist aber – vor allem im Konflikt – schwer anzuerkennen. Die Lösung von Beziehungskonflikten setzt voraus, das Anderssein des anderen anzuerkennen, ja zu begrüßen. Die Idee, große Nähe durch Identität zu erreichen („Wir sehen und empfinden alles gleich“) ist eine Illusion, die zu einer Pseudo-Vertrautheit führt, weil keiner von beiden wirklich er selbst ist und den anderen nicht so sehen kann, wie er wirklich ist. Die Pseudo-Nähe „platzt“ früher oder später, und dann scheint es gar nichts Verbindendes mehr zu geben. Paradoxerweise setzt wirkliche Nähe das Anerkennen von Unterschieden und den Dialog zwischen ihnen voraus. Nähe ist Begegnung zweier Ungleicher.
  2. Ringen um Frieden. Jeder Partner muss mit sich selbst um Gewaltfreiheit ringen, denn Gewalt bringt nur immer wieder Gewalt hervor. Beide Partner müssen sich bemühen, auf den anderen keinen Druck auszuüben, sei es körperlich oder verbal, sei es direkt oder indirekt. Bedürfnisse und Grenzen sollen deutlich gemacht werden, ihre Erfüllung darf aber nicht erzwungen werden. Besonders die indirekten oder passiven Formen von Gewalt (z.B. Ironie, Stichelei, manipulativer Rückzug, Überemotionalisieren, Bloßstellen, Lächerlichmachen) müssen selbstkritisch reflektiert werden. Sie bringen kurzfristig scheinbare Vorteile oder Entlastungen, vergiften aber langfristig die Beziehung.
  3. Grundvoraussetzungen müssen begrenzt werden. Was jeder Partner als unverzichtbar betrachtet, um die Beziehung führen bzw. aufrecht erhalten zu können (die „Basis“ der Beziehung) oder was er als unerträglich empfindet, weil es die Beziehung sprengen würde (die „Gürtellinie“) muss auf Entscheidendes begrenzt sein. Wenn Forderungen („Das brauche ich unbedingt“) oder Grenzen („Das kann ich nicht ertragen“) sich ausweiten und auf alles und jedes bezogen werden, engen sie den anderen ein und nehmen der Beziehung die Luft zum Atmen.

Anschauungen

Unterschiedliche Anschauungen (Erlebens-, Fühl-, Sicht-, Denk- und Betrachtungsweisen, Sprache, Wortwahl, Ausdrucksweise) können zu fruchtbarem, lustvollen Austausch, aber auch zu Spannungen in Beziehungen führen. Das selbe Thema, ja die selbe Situation kann von den Partnern teilweise oder vollständig unterschiedlich erlebt und verstanden werden. Dabei kann es um scheinbare Kleinigkeiten gehen (z.B. „Wer hat im Flur den Strumpf liegenlassen?“) oder um grundlegende Fragen der Beziehung (z.B. Arbeitsteilung, Geschlechterrollen, Kindererziehung, Sinnorientierung). Dabei können Differenzen auch dann entstehen, wenn es nicht (oder noch nicht) um Entscheidungen geht, sondern darum, wie die Partner „die Dinge sehen“ und über sie sprechen.

Im Bereich von Anschauungen sind keine Entscheidungen möglich oder erforderlich. Die Partner müssen (und können) sich nicht in jeder Hinsicht „einig“ sein. Es macht keinen Sinn, Diskussionen nach „richtig“ und „falsch“ zu führen, also darum zu streiten, wer „Recht“ hat und wer „falsch liegt“ und den anderen von der „Richtigkeit“ der eigenen Sichtweise überzeugen zu wollen. Was „stimmt“ bzw. „wie es wirklich ist“, ist nicht feststellbar. Es gibt keine objektive Realität, sondern zwei subjektive Realitäten. Das ist vor allem im Konflikt schwer zu akzeptieren, weil es scheinbar eine Einigung und Nähe unmöglich macht. In Wirklichkeit ist das Anerkennen des Andersseins des anderen die entscheidende Voraussetzung für wirklicher Nähe. Wenn beide nicht anerkennen, dass der andere anders ist und die Welt teilweise anders erlebt, wird Nähe zu einer Pseudo-Vertrautheit. Die Partner sind sich (scheinbar) nah, aber sie sind nicht sie selbst, und sie kennen einander nicht.

Ein demokratisches Miteinander setzt grundlegenden Respekt vor der Verschiedenheit des anderen voraus. Der andere „tickt“ teilweise anders, er sieht und erlebt die Welt teilweise anders. Das wird spätestens dann entdeckt, wenn die erste stürmische Verliebtheit in die Realität einer Beziehung einmündet. Teilweise unterschiedliche Anschauungen können einander befruchten, aber nicht aufheben. Wenn man nicht anerkennt, dass der andere anders ist, führt das zur „Kolonisierung“ des anderen (M. L. Möller), also zu dem Versuch, die Wirklichkeit des anderen der eigenen zu unterwerfen. Dieser Versuch, der scheitern muss, ist der Kern aller Paarkonflikte.

Wenn die Anschauungen der Partner weit auseinanderliegen, ist Nähe schwierig, aber auch dann nicht unmöglich. Ich denke hier z.B. an Paare, die unterschiedlichen Kulturkreisen, Volksgruppen, Religionen oder Parteien angehören (was in den Zeiten der Globalisierung immer häufiger der Fall ist). Unweigerlich bringt das Spannungen mit sich, aber diese können auch konstruktiv gewendet werden. Beide können die Welt des anderen als Bereicherung der eigenen Perspektive willkommen heißen und der Erlebensweise des anderen mit freundlicher Aufmerksamkeit zuhören, auch wenn sie die Anschauungen des anderen nicht teilen. Voraussetzung ist, dass es neben den Unterschieden genug Verbindendes gibt, insbesondere den gemeinsamen tiefen Wunsch, den anderen so zu sehen und anzunehmen wie er ist, und ihn nicht nach den eigenen Bedürfnissen „zurechtmodeln“ zu wollen.

Demokratisches Miteinander bedeutet die Ausdifferenzierung von Erlebensweisen im wirklichen Gespräch. Es geht darum, das Verbindende zu sehen und wertzuschätzen, aber auch das Unterscheidende nicht „glattbügeln“ zu wollen. Das erfordert die Fähigkeit, Differenzspannungen auszuhalten, ja sogar als etwas Belebendes zu empfinden. Wäre es nicht langweilig, wenn Frauen und Männer gleich fühlen würden? Wäre es nicht eine öde Welt, wenn es keinen Meinungsstreit zwischen Philosophien und Blickwinkeln gäbe? Wo sollten die Impulse zur Entwicklung und zum Wachstum herkommen?

Wenn man anerkennen kann, dass der andere in bestimmten Bereichen anders ist und die Welt teilweise anders sieht, dann wird das Miteinander zu einem fortgesetzten Dialog. Wirkliche Gespräche sind nicht Versuche, Differenzen als Probleme zu betrachten, die gelöst und überwunden werden müssten oder könnten, sondern ein fortgesetzter Austausch über teilweise unterschiedliche, dann aber auch wieder ähnliche oder verwandte Erlebensweisen.

Das wirkliche Gespräch ist eine Herausforderung, die eigenen Anschauungen immer differenzierter zu erfassen und auszudrücken und die Anschauungen des anderen immer differenzierter zu verstehen und zu „spiegeln“, also in Worte zu fassen, was man verstanden zu haben glaubt. Es ist eine Offenheit und liebevolle Neugierde auf den anderen und auch auf noch unerkannte Bereiche des eigenen Selbst und der Wunsch, dies miteinander zu erleben und zu teilen. Auf diese Weise wird jeder von beiden sich immer klarer, wer er ist und wer der andere ist, und beide entwickeln sich gemeinsam miteinander und im Dialog miteinander weiter.

Das ist aber nur möglich, wenn es eine grundlegende Übereinstimmung zwischen beiden gibt, die den Dialog erst auffaltet und entfalten kann: dass die eigene Anschauung ein Standpunkt ist und nicht die Wahrheit, und dass die Anschauung des anderen in gleichem Maße gültig ist und respektiert werden muss, auch wenn sie einem fremd ist oder nicht gefällt, ja sogar dann, wenn sie einem offensichtlich „falsch“ erscheint.

Die Begegnung mit dem anderen (und mit den noch unerkannten, fremden Anteilen in jedem der Beteiligten selbst) geschieht vor allem in Form von wirklichen Gesprächen, in denen jeder Partner in sich hineinfühlt und versucht, sein Befinden, seine Weltsicht und sein Erleben in Worte zu fassen, während der andere mit liebevoller Aufmerksamkeit zuhört und umgekehrt. Kein Streitgespräch also darüber, wie „es in Wirklichkeit ist“, sondern ein offener Dialog darüber „was/wie erlebe ich – was/wie erlebst du?“. Keine taktischen Überzeugungs- oder Aushebelungsversuche, kein kritisches Infragestellen des Erlebens des anderen, keine bohrenden Nachfragen, kein Enthüllungszwang, sondern ein freiwilliges Sich-dem-anderen-Öffnen und ein offenes Ohr für ihn, auch in all seiner Unsicherheit, also ein gemeinsamer Weg der Selbst- und Paarwerdung.

Einer der häufigsten und am schwersten zu durchschauenden Fallstricke dabei ist das projektive Sprechen. Eine projektive Formulierung beginnt mit einem „Ich fühle mich …“ und wird dann fortgesetzt mit Anklagen: „Ich fühle mich … von dir nicht verstanden“ „Ich fühle mich … nicht gesehen“ „Ich fühle mich … entwertet“ usw. Im Grunde handelt es sich um Aussagen über den anderen („Du verstehst mich nicht“ „Du siehst mich nicht“ „Du entwertest mich“), die nur so klingen wie Mitteilung eigener Befindlichkeiten. Eine solche Sprechweise führt sehr leicht zu Verwicklungen, denn sie enthält indirekte aggressive Unterstellungen und Forderungen, die als solche nicht deutlich sind. Der projektiv Sprechende ist nicht wirklich bei sich und nicht wirklich beim anderen. Wirkliches Gespräch ist selbstempathisches Mitteilen eigener Befindlichkeiten und annehmendes Einfühlen in das Erleben des anderen (M. Rosenberg).

Entscheidungen

Natürlich kann ein Paar sich nicht immer nur emotional austauschen – manchmal müssen Entscheidungen getroffen werden. In den meisten Fällen geschieht das beiläufig, ohne dass es zum Problem wird. Aber wie geht ein Paar damit um, wenn der eine das eine will und der andere das andere? Der eine will Urlaub im Sommer am Meer machen, der andere im Winter in den Bergen. Der eine will ins Kino, der andere ins Theater. Der eine will Zärtlichkeit, der andere will Sex. Wie trifft ein Paar Entscheidungen, wenn jeder etwas anderes will?

Zunächst werden solche Entscheidungen vor allem dann schwierig, wenn „in der Beziehung“ etwas nicht geklärt ist, wenn also unterschwellige Spannungen vorhanden sind. Dann kann sich selbst die banalste Entscheidung zu einem schier unlösbaren Knoten auswachsen. Wenn dagegen die Partner aufeinander „eingestimmt“ sind, das heißt wenn sie sich in wirklichen Gesprächen miteinander regelmäßig austauschen, sich einander mitteilen und für den anderen ein offenes „Ohr“ haben, finden sich fast immer Wege, die die Bedürfnisse beider befriedigen im Sinne eines „sowohl als auch“. Meistens kann man ja das eine tun und das andere nicht lassen. Die Bedürfnisse des einen können zu einer Befruchtung des Lebens des anderen werden. Jeder von beiden kann (und will ja auch) zum Glück des anderen beitragen.

Wenn das nicht möglich ist, z.B. wenn die Zeit oder die Ressourcen knapp sind, oder wenn es gerade nicht möglich ist, sich aufeinander einzustimmen, können Kompromisse getroffen werden. Das setzt die Bereitschaft beider voraus, auf den anderen zuzugehen und aktuell partielle Abstriche von den eigenen Wünschen zu machen. Hier ist es wichtig, dass beide gemeinsam darauf achten, dass diese Abstriche längerfristig in einem Gleichgewicht bleiben. Wenn einer von beiden auf Dauer öfter verzichtet oder nachgibt, erzeugt das einen Groll in ihm, der seine künftige Kompromissbereitschaft mindert. Der andere kriegt dann zwar, was er will, aber er wird damit nicht glücklich.

Manchmal ist auch eine Kompromisslösung nicht möglich, weil kein „mittlerer Weg“ gefunden werden kann. Dann gibt es noch die Möglichkeit, sich darauf zu einigen, dass einer von beiden entscheidet, der andere diese Entscheidung aber mitträgt. Auch dies setzt voraus, dass sich das längerfristig ausgleicht, d.h. dass nächstes Mal der andere entscheidet. Und derjenige, der nicht entschieden hat, muss bereit sein, die Entscheidung des Partners ohne Groll mit zu tragen.

Wenn auch das nicht möglich ist, muss die Entscheidung aufgeschoben werden. Manches entscheidet sich leichter, wenn man eine Nacht darüber geschlafen hat. Andere Entscheidungen „schweben“ jahrelang „in der Luft“, weil sie nicht entschieden werden können. Auch das kann Spannungen machen, es ist aber manchmal unvermeidlich, weil die einzige Alternative eine autoritäre Entscheidung des einen gegen den anderen wäre, und das würde keinen auf Dauer befriedigenden Zustand hervorbringen.

Die Lösung von Paarkonflikten durch wirkliches Gespräch ist ein fortgesetzter Prozess des Suchens und Findens, wieder Verlierens und aufs neue Suchens, der niemals „fertig“ ist, den niemand „beherrscht“, der immer neue Herausforderungen bereithält. Diese „Liebesarbeit“ kann anstrengend sein, aber das Ergebnis ist eine fortgesetzte Vertiefung der Beziehung und fortgesetztes Miteinander-Wachsen.

Werner Eberwein