Wie funktioniert Hypnotherapie?

Hypnose hat ja den Ruf, praktisch universell und sehr einfach anwendbar zu sein und sehr schnell und zuverlässig zu funktionieren. Allerdings wird genau das auch heftig bezweifelt, oder es macht sogar Angst, weil man befürchtet, einem so „mächtigen“ Instrument willenlos ausgeliefert zu sein. Hypnotherapie ist ein Set von Konzepten und Techniken, die in Verbindung mit anderen Betrachtungsebenen und Kommunikationsformen einen psychotherapeutischen Prozess effektiver und sanfter machen können.

  • Das klassische, mechanische Paradigma der hypnotischen Therapie ist die Symptombehandlung: der Patient kommt zum Hypnotherapeuten, schildert ihm, was ihn stört, der Hypnotherapeut versetzt den Patienten in Trance und versucht durch die eine oder andere Art der Suggestion, die Symptome des Patienten zu heilen. Hier definiert sich der Patient selbst als inkompetent und den Therapeuten als Experten für den Heilungsprozess: „Ich kann nicht… mach du mit mir!“ – und der Therapeut belässt ihn darin. Die hypnotische Suggestion wird hier als eine Art „Verbalmedikation“ verstanden, also in der Wirkung ähnlich wie ein Medikament, nur eben durch Worte. Dieses Paradigma bestärkt den Patienten in der Passivität. Der Patient muss sich lediglich der hypnotischen Behandlungen passiv hingeben. Wenn diese funktioniert, war die Behandlung ein Erfolg, wenn sie nicht funktioniert hat der Therapeut bzw. die Technik versagt. Für den Therapeuten hat dieses Paradigma den Nachteil, dass es ihn unter Erfolgsdruck setzt, denn der Erfolg oder Misserfolg der Behandlung ist allein von seiner Aktivität abhängig. Der Vorteil für den Therapeuten (sofern er diesen braucht) ist die narzisstische Befriedigung, also das Erfolgserlebnis, wenn die Hypnose „funktioniert“ hat, das er dann freudestrahlend seinen Kollegen erzählen kann (die Misserfolge werden meistens lieber verschwiegen).
  • Im humanistischen, kooperativen Paradigma wird Hypnotherapie als Wachstumscoaching verstanden: der Patient befindet sich in einem Zustand, in dem seine Selbstgestaltungsfähigkeiten blockiert sind. Der Hypnotherapeut lädt ihn zu einer reflektierenden Tiefenselbsterkundung und Auseindersetzung mit sich selbst in Trance ein, was, wenn es gut läuft, zu einer kreativen, sozialen Weiterentwicklung des Patienten beiträgt. Hier präsentiert sich der Patient in seiner Selbstgestaltungskraft: „Ich setze alle meine Kraft ein – bitte unterstütze mich dabei!“- und er wird vom Therapeuten nach Kräften bestärkt. Die hypnotherapeutischen (und sonstigen) Interventionen werden verstanden als Stimulation der Auseinandersetzung des Patienten mit sich selbst. Der Nachteil dieses Paradigmas für den Patienten und den Therapeuten ist es, dass es wesentlich mehr an Eigenaktivität vom Patienten fordert und daher für beide mühsamer ist. Der Vorteil dieses Paradigmas ist es aber, dass es den Patienten in seinem Kompetenzgefühl stärkt und bestärkt, was sich über die Behandlung konkreter Störungen hinaus langfristig positiv auf sein Selbstbild und sein Selbstwertgefühl auswirkt.

Damit das gut „funktionieren“ kann, sind also bestimmte Voraussetzungen erforderlich:

  • Eigenmotivation des Patienten: Auch in einer hypnotischen Psychotherapie ist es entscheidend wichtig, dass der Patient auch auf einer bewussten, willentlichen Ebene am Prozess der Bewältigung seiner Probleme und zur Herausarbeitung und Erreichung seiner Ziele aktiv mitarbeitet. In der Regel kommt der Patient ja zum Psychotherapeuten und berichtet ihm ein zu behandelndes Symptom oder eine Gruppe von Symptomen, deren Beseitigung oder zumindest Linderung er sich von der Therapie erhofft. Auf der bewussten Ebene ist es entscheidend wichtig, dass der Patient eine starke und klare Eigenmotivation zur Bewältigung seiner Probleme mitbringt. Das klingt vielleicht selbstverständlich, ist aber in der Praxis in aller Regel nur in beschränktem Umfang und/oder in eher ambivalenter Form der Fall. Dennoch kommt eine auch Hypnotherapie ohne eine klare und explizite, aktive Bewältigungsmotivation des Patienten nicht aus. Mit unmotivierten oder mangelnd motivierten Patienten kann auch ein Hypnotherapeut nicht sinnvoll arbeiten.
  • Annäherungsziele: Wenn ein Patient einen Hypnotherapeuten aufsucht, berichtet er in der Regel vor allem zu Beginn der Therapie vorwiegend von Symptomen die er „loswerden“ möchte. Hypnotherapeuten sprechen hierbei von „Vermeidungszielen“, also von Zielvorstellungen, die darin bestehen, dass etwas verschwinden soll, was der Patient nicht haben will. Er betrachtet seine Symptome zunächst in der Regel vergegenständlicht, also wie Dinge, die ihn stören, wie ein Stachel im Fleisch, wie Kakerlaken in der Küche, wie einen Virus, der ein Organ befallen hat, und „das“ soll weg. Die Vorstellung, das störende „Etwas“ durch Hypnose loszuwerden erscheint zunächst einmal evident. Für einen fruchtbaren hypnotherapeutischen Prozess ist es jedoch erfahrungsgemäß wesentlich günstiger, Zielvorstellungen in positiver Form zu entwickeln, das heißt Vorstellungen davon, wo der Patient „hin“ will, was er anstrebt, was ihn motiviert. Solche „Annäherungsziele“ entwickeln in einem hypnotherapeutischen Prozess einen spezifischen Magnetismus, d.h. eine Anziehungskraft, die den Weg zu diesen Zielen hin deutlich erleichtert.
  • Eigenarbeit: In aller Regel wird das psychische Leid, mit dem der Patient zum Hypnotherapeuten kommt, durch bestimmte Verhaltensweisen aufrechterhalten, was dem Patienten meistens nicht oder nicht vollständig bewusst ist, oder wofür er zunächst keine Alternative sieht. Damit eine Hypnotherapie erfolgversprechend ist, ist ein gewisses Maß an willentlicher Eigenarbeit des Patienten unabdingbar (z.B. das Notieren der Intensität der Symptome im Alltag oder kleine, experimentelle, alltagspraktische Veränderungen).

Andere Aspekte eines hypnotherapeutischen Prozesses bewegen sich auf eher unbewussten Ebenen und können daher kognitiv kaum erreicht und willentlich kaum beeinflusst oder verändert werden:

  • Mobilisierbare Energie: Auf einer teil- oder unbewussten Ebene liegt der psychischen Symptomatik von Patienten oft ein erlerntes und oft schon aus der frühen Kindheit stammendes Gefühl der Hilflosigkeit zu Grunde. Wenn es um psychotherapeutisch sinnvolle bzw. notwendige innere oder äußere Veränderungen geht, beispielsweise um Klarheit und Standfestigkeit in Konflikten, um Selbstbehauptung oder um die Bereitschaft, sich mit unangenehmen Situationen oder Gefühlen zu konfrontieren, glaubt der Patient häufig, davon überfordert zu sein. Einer der von Patienten zu Beginn einer Hypnotherapie am häufigsten verwandten Formulierungen ist daher „Ich kann nicht …“. Da es sich hier meistens um tief eingefahrene, biografisch weit zurückreichende und unbewusst eingewurzelte Muster handelt, ist in diesem Bereich auf der Ebene des kognitiven Bewusstseins meist nicht viel zu erreichen. Hier können spezielle hypnotische Techniken (z.B. Ressourcenmetaphern) dem Patienten helfen, sich an innere Kraft- bzw. Energiequellen anzukoppeln die ihm das Gefühl vermitteln, dass er sehr wohl zu solchen relevanten oder auch existenziellen Veränderungen und Fortschritten in der Lage ist. Eine tragfähige, warmherzige und vertrauensvolle Beziehungen zum Psychotherapeuten ist meines Erachtens hierfür eine unabdingbare Voraussetzung.
  • Praktische Perspektiven: Eine weitere, in den Anfangsphasen einer Hypnottherapie häufig verwandte Formulierung ist „Ich weiß nicht…“. Der Patient ist mit seinen gewohnheitsmäßigen Strategien auf einem geistigen Raum begrenzt, der ihm für das zu bewältigende Problem offenbar keine Lösungsmöglichkeiten eröffnet. Er weiß schlicht nicht, was er tun soll, und wie „das“ gehen kann. Hier ist es durch den Einsatz spezifischer hypnotherapeutischer Instrumente möglich, gemeinsam mit dem Patienten praktische Perspektiven zu entwickeln, die ihm eine Vorstellung davon vermittelt, wie eine Bewältigung seiner Probleme vorstellbar bzw. möglich wäre. Eine vielfach dafür angewandte Möglichkeit sind hypno-imaginative Aufstellungen oder Rollenspiele („Hypnodrama“), die es dem Patienten ermöglichen, mit inneren Prozessen und Zeitabläufen imaginativ wie mit Objekten zu hantieren, dabei probeweise Veränderungen vorzunehmen und deren langfristige Beziehungsfolgen vorweg zu erahnen.
  • Selbst und Weltbild: Die Basis psychischer Störungen sind pathogene (also Leid aufrechterhaltende) Beziehungs- und Verhaltensmuster. Diese entstehen biografisch durch unverarbeitbare Beziehungsverstrickungen oder unerträgliche Traumata, die den Patienten psychisch zu zerstören drohten. Die Leid aufrechterhaltenden Muster entstanden damals als Bewältigung-Notlösungen, um Unerträgliches zu bewältigen, sie bringen aber heute kaum Erträgliches (nämlich die psychische Symptomatik) hervor bzw. erhalten es aufrecht. Diese Muster sind meistens zunächst unbewusst, sie können aber durch bestimmte hypnotherapeutische Arbeitsweisen (bspw. durch Zeitlinienarbeit) bewusst gemacht und transformiert werden, um die Herausbildung eines ressourcenvollen Selbst- und Weltbildes zu fördern.

Werner Eberwein