Was ist Trance?

Im Laufe eines Tages und im Lauf unseres Lebens befinden wir uns in verschiedenen Bewusstseinszuständen. Manchmal sind wir wach, manchmal schlafen wir. Manchmal aber sind wir, oft ohne es zu merken, in Bewusstseinszuständen, in denen wir weder im gewöhnlichen Sinn wach sind noch einfach schlafen. Bewusstseinszustände dieser Art werden in der Hypnotherapie als „Trance“ bezeichnet. Spontane Trancezustände kennt jeder Mensch. Gemeint sind beispielsweise die Zustände seltsamer Abwesenheit, die man gelegentlich bei längeren Autofahrten erlebt. In einer solchen „Autobantrance“ ist man in der Lage, zu beschleunigen, zu bremsen, Verkehrszeichen zu beachten und auf die Verkehrslage zu reagieren, kann sich aber hinterher nicht mehr erinnern wo man „die letzten 20 Minuten gewesen ist“. Vergleichbare Spontantrancen treten beispielsweise ein, wenn man versunken ist in einen spannenden Kriminalroman oder einen fesselnden Kinofilm. „Dissoziative Zustände“ dieser Art werden in der Hypnotherapie bewusst herbeigeführt und genutzt.

  • Trancezustände unterscheiden sich vom normalen nächtlichen Schlaf dadurch, dass ein Mensch in Trance auf die Suggestionen des Hypnotiseur reagiert, was er im Schlaf normalerweise nicht tun würde.
  • Vom alltäglichen Wachzustand unterscheiden sich Trancezustände dadurch, dass ein Mensch in Trance deutlich empfänglicher für Suggestionen(„suggestibler“) ist als im Wachzustand.

Menschen in Trance sind absorbiert in ihre innere Welt, bzw. in ihr inneres Erleben.

Wir unterscheiden verschiedene Tiefenschichten und verschiedene Formen von Trancezuständen. So gibt es beispielsweise ekstatische oder kathartische Trancezustände, wie sie beispielsweise in Naturvölkern im Rahmen ihrer schamanischen, Tanz-oder Trommelrituale vorkommen. Daneben gibt es so genannte Handlungtrancen, in denen ein Mensch subjektiv das Gefühl hat, wach und Reaktionsfähigkeit sein, während er sich doch in einer anderen („dissoziativen“) Realität befindet. Handlungtrancen entstehen in der Psychotherapie beispielsweise im Rahmen von Rollenspielen (Psychodrama) oder von Körperübungen.

Die Form der Trance, mit der in der Hypnose und Hypnotherapie in der Regel gearbeitet wird ist die Tiefentspannungstrance. Wenn eine Tiefentspannungstrance von einem Hypnotiseur durch Suggestionen herbeigeführt, vertieft, begleitet, geführt, genutzt und wieder zurückgenommen wird, sprechen wir von Hypnose.

  • Suggestionen können entweder Heterosuggestionen sein (d.h. sie werden dem Patienten von einem Hypnotiseur oder Hypnotherapeuten gegeben),
  • oder es können Autosuggestionen sein (d.h. der Patient gibt sie sich in seiner inneren Welt selbst).
  • Suggestionen können Worte sein („ich bin ganz ruhig.“ „Mein Herz ist weit und frei.“).
  • Aber auch durch seine Stimmlage kann ein Hypnotiseur hypnotisch Wirkungen erreichen („Stimmführung“).
  • Auch bestimmte, behutsame Berührungen oder
  • innere Bilder („Imaginationen“) werden im Rahmen der Hypnotherapie als Suggestionen eingesetzt.

Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, können Sie meine Bücher „Die Kunst der Hypnose“ oder „Wie Hypnose wirkt“ lesen.

Unter dem Begriff „Trance“ werden veränderte Zustände des Erlebens und Verhaltens zusammengefasst, die weder mit dem alltäglichen Wachsein noch mit Schlaf identisch sind. In Trance ist die kontrollierende Aktivität des Bewusstseins vermindert, die selbständigen Funktionen des Unbewussten sind verstärkt, und das Unbewusste ist leichter kommunikativ erreichbar.

Trance kann verschiedene Tiefenstadien erreichen, vom leichten Tagtraum nahe dem Wachzustand bis hin zum hypnotischen Tiefschlaf, an den man hinterher keine Erinnerung mehr hat. Viele Untersuchungen beweisen, dass Menschen auch in hypnotischem Schlaf noch auf Suggestionen reagieren, selbst dann, wenn das Bewusstsein „verschwunden“ ist und sie sich hinterher an nichts mehr erinnern („hypnotische Amnesie“).

Manche Menschen denken, Trance-Erlebnisse seien etwas Exotisches, das nur wenige Auserwählte nach jahrelangem Training oder intensiver, raffinierter Beeinflussung erleben könnten. Das ist aber nicht der Fall. Jeder Mensch erlebt häufig Zustände von „Alltagstrance“, die manchmal nicht weniger tief sind, als die Trancen, die von den erfahrensten Hypnotiseuren bei ihren begabtesten Medien hervorgebracht werden. Jeder Mensch kennt sogar Tieftrance-Zustände mit spontanem Gedächtnisverlust, Schmerzfreiheit oder posthypnotischen Reaktionen:

  • Viele Autofahrer haben schon das Phänomen der „Autobahntrance“ erlebt: sie sind länger auf der Autobahn gefahren, und nach einer Weile merkten sie, dass sie fünf oder zehn Minuten lang „unbewusst“ fuhren, und sich an diese Zeit nicht mehr erinnern konnten. Offenbar waren sie reaktionsfähig: sie konnten lenken, überholen, beschleunigen, bremsen und Verkehrsregeln beachten, aber ihr Bewusstsein war „weg“, und sie wussten hinterher nichts mehr. Sie würden das normalerweise nicht so nennen, aber faktisch waren sie in einer Tieftrance, in einem somnambulen Zustand, ähnlich dem Schlafwandeln. Die Monotonie der Straße, das Motorgeräusch und das regelmäßige Vibrieren des Autos haben dabei die Rolle der hypnotischen Induktion übernommen.
  • Ein persönliches Beispiel von mir: Vor einigen Jahren bin ich in den Bergen in Portugal eine Geröllhalde hinuntergeklettert. Ich rutschte mit den Füßen ab, dabei schrammte ein großer Lavabrocken von hinten über meinen Unterschenkel und hinterließ eine etwa zwei Handflächen große Hautabschürfung, die stark blutete. Ich merkte sofort, dass die Sache nicht gefährlich war und war eher verärgert als erschrocken. Ich ging zurück zum Auto, spülte die verletzte Fläche mit Mineralwasser ab und pinselte sie mit Jodtinktur ein – und spürte dabei zu meiner Überraschung nicht den geringsten Schmerz. Die Haut und das Unterhaut-Bindegewebe im Bereich der Wunde war ohne mein bewusstes Zutun für etwa drei Stunden vollkommen taub. Erst am Abend, wieder in der Pension angekommen, kehrte die Sensibilität zurück und die Wunde schmerzte heftig. Ich hatte eine spontane Anästhesie, obwohl ich definitiv nicht in einem psychischen Schockzustand war und mich subjektiv vollkommen wach fühlte.
  • Auch wenn wir gefesselt sind von einem spannenden Roman, einem Kinofilm oder einer ergreifenden Musik, und dabei die Außenwelt zeitweise fast vergessen, sind wir in Trance. Ebenso in dem von Phantasien durchzogenen Grenzzustand zwischen Wachen und Schlaf jeden Morgen und jeden Abend.

Jeder Mensch kennt also Trance-Effekte, auch wenn er sie nicht bewusst bemerkt und in der Regel nicht als Trance bezeichnet. Daher ist auch jeder Mensch hypnotisierbar, sofern man ihm nicht eine Methode überstülpt, die ihm nicht entspricht, sondern ihm erlaubt, seinen eigenen Weg in die Trance und wieder heraus zu finden. Ein Therapeut, der schematisch jeden Klienten auf die gleiche Weise hypnotisiert, wird in vielen Fällen keinen Erfolg haben. Um z.B. ängstliche oder überkontrollierte Menschen in Trance zu führen, muss man sich ihren Mustern anpassen, ihre Gewohnheiten und Charakterzüge nutzen. Dieser Gedanke ist eine der grundlegenden Neuerungen, die Milton Erickson in die moderne Hypnose eingeführt hat.

Werner Eberwein