Was will der Mensch?

Die Antriebe des Menschen lassen sich nach Abraham Maslow in zwei Kategorien unterscheiden: biologische Triebe und spezifisch menschliche Motivationen.

Biologische Triebe

Biologische Triebe sind diejenigen Bedürfnisse, die wir mit den Tieren (zumindest mit unseren nächsten Verwandten, den höheren Säugetieren) gemeinsam haben. Alle tierischen Lebewesen haben beispielsweise ein Bedürfnis nach Nahrung, nach Schlaf, nach Bewegung, nach Sexualität im biologischen Sinn, aber auch soziale Bedürfnisse beispielsweise nach Beachtung, Zuwendung oder Gemeinschaft. Wir sind also auch im biologischen Sinn soziale Wesen.

Biologische Triebe – inklusive der sozialen – sind auf das erreichen spezifischer Triebziele gerichtet. Wenn das Triebziel erreich ist (wenn das Tier satt, ausgeschlafen, sexuell befriedigt oder sozial integriert ist), so ist das Triebziel für den Moment erreicht, und die motivationalen Aktiviertheit des Tieres nimmt in diesem Bereich ab. Bei biologischen Trieben handelt es sich also um homöostatische Prozesse. Sie dienen der Aufrechterhaltung eines systemischen Fließgleichgewichts. Ist der Organismus auf den angezielten Zielzustand einreguliert, so ist das Tier zufrieden und in dem betreffenden Motivationsbereich für eine Weile nicht aktiviert.

Spezifisch menschliche Motivationen

Spezifisch menschliche Motivationen sind diejenigen Bedürfnisse, die uns von den Tieren unterscheiden. Menschen orientieren ihrer Handlungen nicht nur an ihrer momentanen Stimmungslage, und auch nicht nur an dem was ihr Körper derzeit biologisch braucht. Ihre biologische Triebhaftigkeit kann vorübergehend dominiert werden durch eine Orientierung an Werten, also an übergreifenden Zielvorstellungen, die aus der Weltanschauung und dem Selbstbild des betreffenden Menschen entspringen.

Die Komplexität einer Liebesbeziehung und Partnerschaft beinhaltet zwar die sexuelle Triebhaftigkeit, lässt sich auf diese aber nicht reduzieren. Liebe ist ein personales Bezogensein auf den anderen, ein wohlwollendes Interessiertsein an dessen Befinden und Erleben, ein Teilnehmen an dessen Leben, eine tiefe Bindung, ein emotionales Verbundensein. Partnerschaft ist nicht nur eine Bindung zum Zwecke der Kinderaufzucht (wie bei manchen Tieren), sondern eine wechselseitige „Seelenspiegelung“, eine Art, gemeinsam durchs Leben zu gehen, die Ereignisse des Lebens miteinander zu teilen und am Erleben des anderen teilzuhaben. All das trifft auf Tiere nicht oder höchstens bei den höheren Primaten in rudimentären Ansätzen zu.

Höhere, spezifisch menschliche Bedürfnisse können biologische Triebe zeitweise dominieren oder überformen. Ein Mensch kommt beispielsweise müde abends nach der Arbeit nach Hause, und sein Körper sehnt sich nach Schlaf, aber er möchte zu einer interessanten Theaterveranstaltung gehen, und er tut das, obwohl er müde ist. Ein Kulturbedürfnis dominiert hier also über die biologische Müdigkeit. Ähnlich kann es einem Wissenschaftler gehen, der von einem Projekt, an dem er gerade arbeitet, so gebannt ist, dass er vorübergehend vergisst zu essen und zu trinken oder sogar zu schlafen.

Die Werte, an denen wir uns orientieren, zielen auf einen persönlichen Sinn, der nicht immer vollständig bewusst ist, der aber dennoch unser Leben trägt und unsere Entscheidungen bestimmt. Was als persönlicher Lebenssinn erlebt wird, ist individuell unterschiedlich. Manchen Menschen gibt eine Weltanschauung, eine Religion oderdie Teilnahme an einer sozialen Bewegung Sinn, andere finden Sinn in der Gestaltung eines harmonischen Familienlebens, im Streben nach Erfolg, Reichtum und Schönheit, nach sozialer Anerkennung, nach neuen oder tiefen Erfahrungen.

Die Orientierung an persönlich sinnhaften Werten ist die stärkste Motivation des Menschen, aber sie kann nie „befriedigt“ werden. Die spezifisch menschlichen Bedürfnisse haben keinen homöostatischen Charakter, sie sind nicht „befriedigbar“. Vielmehr sind sie auf einen fortgesetzten Prozess des Wachstums hin orientiert – wir sprechen daher auch von „Wachstumsbedürfnissen„.

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Werner Eberwein