Was ist Vegetotherapie?
In seinem Buch „Charakteranalyse“ (1970) beschrieb Wilhelm Reich die Theorie und Technik der Vegetotherapie. Nach Reich können psychische Abwehrsymptome geheilt werden, wenn abgewehrte Anteile und Erinnerungen zugänglich gemacht werden, indem die damit verbundenen Gefühle von Wut, Hass, Trauer, Ekel, Schmerz, Angst oder Verzweiflung durch emotionale Ausdrucksbewegungen wie Zittern, Weinen oder Schlagen auf ein Kissen körperlich ausgedrückt werden. Nach Reichs Anschauung werden auf diese Weise „gestaute“ körperenergetische Ladungen befreit und die darunter liegenden primären Energien spürbar. (Dieses „hydraulische“ Konzept Reichs wurde in der weiteren Geschichte der Körperpsychotherapie vielfach verändert und weiterentwickelt.)
Freud hatte mit seinem Grundkonzept „Erinnern statt Agieren“ alle Formen des körperlichen Ausdrucks von Gefühlen sowie jeden körperlichen Kontakt zwischen Therapeut und Klient aus der Psychotherapie ausgeschlossen und die Psychoanalyse zu einem rein verbalen Verfahren gemacht (Freud 1914). Reich überschritt diese Einschränkungen. Er forderte seine Klienten auf, ihre Gefühle körperlich auszudrücken, er massierte ihre verhärteten Muskelpartien und bat sie, tiefer und schneller zu atmen. Durch die psychotherapeutische Arbeit unmittelbar am Körper gelang es Reich, zu verdrängten Emotionen vorzudringen, die im psychosomatischen System des Klienten als Einheit von Gefühlen, Körperimpulsen und Erinnerungen festgehalten sind. Diese körperlich fixierte Verdrängungsmuster nannte er „Charakterpanzer“.
„Es überrascht immer wieder, wie die Lösung einer muskulären Verkrampfung nicht nur vegetative Energie entbindet, sondern darüber hinaus diejenige Situation in der Erinnerung reproduziert, in der die Triebunterdrückung sich durchgesetzt hatte. Wir dürfen sagen: Jede muskuläre Verkrampfung enthält die Geschichte und den Sinn ihrer Entstehung.“
Reich 1987, S. 226 f
In der Körperpsychotherapie kann der Therapeut den Klienten einladen, seine Gefühle und Impulse körperlich auszudrücken. Das ist besonders dann sinnvoll, wenn der Therapeut bemerkt, dass sich ein körperlicher Ausdruck beim Klienten bereits in Ansätzen zeigt, aber zurückgehalten wird, oder wenn bestimmte Emotionen oder körperliche Ausdrucksformen beim Klienten dauerhaft unterdrückt oder zurückgehalten sind. Der körperliche Ausdruck von Gefühlen verstärkt und differenziert die Wahrnehmung dieser Gefühle.
Der Therapeut kann den Klienten auch auffordern, einen spontanen Körperausdruck zu wiederholen, zu intensivieren, zu übertreiben, zu verändern oder in sein Gegenteil zu verkehren. Wenn sich der Klient mit einem realen oder imaginierten Gegenüber auseinandersetzt, kann der Therapeut den authentischen emotionalen Ausdruck (bei gleichzeitigem Respekt für das reale oder imaginierte Gegenüber) fördern. Dabei kann der Ausdruck intensiv und raumgreifend, aber auch nur subtil und beiläufig geschehen (Makro- bzw. Mikro-Ausdrucksbewegungen).