Was ist Psychoanalyse?

Die Psychoanalyse wurde von dem Wiener Neurologen Sigmund Freud (1856-1939) begründet. Aus ihr heraus habe sich verschiedene Schulen der Tiefenpsychologie entwickelt bzw. abgespalten.

Definition

Freud hat die Psychoanalyse folgendermaßen definiert:

„Psychoanalyse ist der Name

  1. eines Verfahrens zur Untersuchung seelischer Vorgänge, welche sonst kaum zugänglich sind;
  2. ein Behandlungsmethode neurotischer Störungen, die sich auf diese Untersuchung gründet;
  3. eine Reihe von psychologischen, auf solchem Wege gewonnenen Einsichten, die allmählich zu einer neuen wissenschaftlichen Disziplin zusammenwachsen.“

(Freud Gesammelte Werke Bd. XIII, S. 211, Erstveröffentlichung 1923)

Konzepte

Psychoanalyse versteht sich als aufdeckendes Verfahren, weil sie vertieftes Verständnis (Einsicht) in die ursächlichen unbewussten Zusammenhänge des Leidens des Patienten fördern will. Durch Einsicht soll eine Umstrukturierung der Persönlichkeit und insbesondere des Gefühlslebens des Patienten erreicht werden.

Es wird angenommen, dass unbewusste Vorgänge (Primärprozesse) anderen Funktionsprinzipien gehorchen als dem bewussten Erleben. Bekannte Beispiele für die Wirkung unbewusster Prozesse sind z.B. Fehlleistungen, Abwehrmechanismen und Traumbilder.

Psychische oder psychosomatische Symptome werden als Erscheinungsformen unbewusster Dynamiken aufgrund von verinnerlichten frühen Beziehungserfahrungen verstanden. Man geht also davon aus, dass für das psychische Geschehen die Strukturen und Störungen der Beziehungen vor allem mit den Eltern in der frühen Kindheit von entscheidender Bedeutung sind.

Symptome können entstehen, wenn Erfahrungen schwerer oder chronischer Konflikt- oder Mangelsituationen in der Kindheit nicht verarbeitet werden konnten und daher Anteile unbewusste Konflikte durch verschiedene Formen der Abwehr (z.B. Verdrängung, Spaltung) vom Bewusstsein bzw. voneinander getrennt gehalten werden müssen. Psychischen Traumata in der Kindheit behindern die ganze weitere psychische Entwicklung.

Die wichtigsten Abwehrprozesse sind

  • Verdrängung – ein „Hinausschieben“ unerträglich schmerzhafter Gefühle und Erinnerungen (Traumata) aus dem Bewusstsein („horizontale Dissiziation“),
  • Spaltung – das Getrennthalten von psychischen Anteilen, die nicht miteinander integriert werden können, wobei beide Anteile bewusste und unbewusste Elemente enthalten („vertikale Dissoziation“).

Der Psychoanalyse liegen Konfliktmodelle (von widerstreitenden Kräften in der Persönlichkeit) und Mangelmodelle (von fehlenden Voraussetzungen zur Entwicklung einer integrierten Persönlichkeit) zugrunde.

Die psychischen Prozesse werden als dominiert durch ein Spiel von Kräften (Psychodynamik) verstanden, dem Triebe oder andere unbewusste motivationale Prozesse zugrundeliegen, die das Seelenleben mit Energie ausstatten. Freud maß dem Sexualtrieb eine zentrale Bedeutung bei und nannte die zugehörige Triebenergie „Libido“.

Die wichtigsten Weiterentwicklungen der Psychoanalyse sind:

  • Ichpsychologie (Heinz Hartmann)
  • Objektbeziehungstheorie (Melanie Klein, Otto Kernberg)
  • Bindungstheorie (John Bowlby)
  • Selbstpsychologie (Heinz Kohut)
  • Strukturale Psychoanalyse (Jacques Lacan)
  • Intersubjektive Psychoanalyse (Robert Stolorow, Bernhard Brandchaft, Georg Atwood)
  • Neuropsychoanalyse (Mark Solms, Allen Schore, Daniel Siegel)

Als Abspaltungen gingen aus der Psychoanalyse unter anderem hervor:

  • Individualpsychologie (Alfred Adler),
  • Analytische Psychologie (Carl Gustav Jung)
  • Körperpsychotherapie (Wilhelm Reich).

Ablauf

Eine Psychoanalyse findet in der Regel über mehrere Jahre hinweg mit 3 bis 5 Sitzungen wöchentlich à 50 Minuten statt.

Der Patient („Analysand“) liegt dabei auf einer Couch und soll möglichst unzensiert alles aussprechen, was ihn gerade bewegt bzw. ihm gerade durch den Sinn geht („freie Assoziation“). Der Analytiker sitzt hinter ihm, hört mit einer (idealtypischen) Haltung der „gleichschwebenden Aufmerksamkeit“ zu und teilt dem Patienten seine im Laufe des Prozesses gewonnenen Erkenntnisse mit („Deutung“).

Der Analytiker versucht, formale und inhaltliche Muster im Erleben und Verhalten des Patienten zu erfassen, um aus ihnen Hypothesen über dynamische Zusammenhänge und unbewusste Phantasien im Patienten zu entwickeln. Ein wichtiger Zugang zu diesen Prozessen sind die eigenen Gefühle und Phantasien des Analytikers im Laufe der Analyse, die er reflektiert und in Form von Deutungen in den Therapieprozess einbringt.

Insbesondere bemüht sich der Analytiker, die sich in der Beziehung mit dem Patienten sich einstellenden Beziehungsmuster („Übertragung und Gegenübertragung“) aufzuspüren und ihren Stellenwert im unbewussten Kräftespiel des Patienten zu interpretieren („Übertragungsdeutung“). Eine Übertragung liegt vor, wenn jemand Erwartungen, Wünsche, Befürchtungen oder Vorstellungen, die sich in früheren wichtigen Beziehungen gebildet haben, an das Verhalten oder die Eigenschaften anderer Personen (z.B. den Analytiker) richtet. Die Deutung von Übertragungsprozessen ist ein Spezifikum psychoanalytischer Therapieansätze und wird als entscheidendes therapeutisches Instrument verstanden.

Eine besondere Rolle spielt in der Psychoanalyse die Deutung von Träumen.

Ziel der psychoanalytischen „Kur“ ist es, dem Patienten bei der Aneignung unbewusst gewordener Lebensgeschichte zu helfen. Der Patient wird ermutigt, seine unbewussten Motive zu erforschen sowie abgespaltene Anteile seines Selbst zu integrieren. Dadurch soll der Patient befähigt werden, aus seinen Einsichten in die Bedingungen seines Erlebens und Verhaltens Konsequenzen zu ziehen („Durcharbeiten„).

Der psychoanalytische Prozess löst Angst vor dem Unbekannten aus, mit dem er den Patienten in Kontakt bringt, was die Ursache für eine Reihe von Abwehrprozessen in der bzw. gegen die Analyse selbst ist („Widerstand„).

Von den gesetzlichen Krankenkassen werden Einzel-Psychoanalysen mit Stundenkontingenten bis zu 300 Sitzungen übernommen.

Werner Eberwein