Was ist hypnotischer Ressourcentransfer?
Ein relativ einfaches und häufig angewandtes Paradigma der kurzzeitpsychotherapeutischen Anwendung von Hypnose ist der hypnotische Ressourcentransfer. Das Grundprinzip dieser Methode besteht darin, eine oder mehrere starke emotionale Ressourcen des Klienten zu identifizieren, die ihm helfen können, sein Problem zu bewältigen, und diese in Trance auf das zu bearbeitende Problem zu applizieren. Die Technik erfolgt in folgenden Schritten:
1. Problem fokussieren
Da sich diese Methode am besten für eingrenzbare Probleme eignet, hilft der Therapeut dem Klienten, sich auf ein Problem bzw. auf einen eingrenzbaren Aspekt eines größeren Syndroms zu fokussieren, bei dem die begründete Aussicht besteht, dass dieser durch den hypnotischen Ressourcentransfer in die angestrebte Richtung transformiert werden kann.
Beispiel: Ein Klient in einer längeren Psychotherapie wegen multipler Ängste und damit zusammenhängenden psychosomatischer Störungen berichtet, dass er in der folgenden Woche eine wichtige Prüfung vor sich habe, bei der er schon zweimal durchgefallen sei. Er habe sich diesmal gründlich vorbereitet, befürchte aber, wegen seiner Prüfungsangst wieder zu versagen. Wir vereinbaren, die Sitzung dazu zu nutzen, seine innere Stabilität zu fördern, damit er in der Prüfung mehr inneren Rückhalt habe. In dieser Sitzung arbeiten wir also an der Prüfungsangst als fokussiertem Aspekt eines umfassenderen Syndroms quasi als Modul im Rahmen einer Langzeittherapie.
2. Emotionales Defizit identifizieren
Der Therapeut arbeitet gemeinsam mit dem Klienten im Wachzustand heraus, welches zentrale emotionale Defizit des Klienten das Problem aufrechterhält.
Beispiel: Das emotionale Defizit des obigen Klienten in Bezug auf die Prüfungssituation schien ein Mangel an innerer Sicherheit, an Selbstvertrauen und Standfestigkeit zu sein.
3. Starke emotionale Ressource/n identifizieren
Der Therapeut hilft dem Klienten, innere emotionale Ressourcen zu identifizieren, die ihm bei der Bewältigung des Problems helfen können. Das kann noch im Wachzustand oder schon in Trance geschehen.
3.1. Bewältigungserfahrungen
Hilfreich sind hierfür Erfahrungen des Klienten, in denen er das Problem, das er aktuell hat, oder ein ähnliches Problem positiv bewältigen konnte. Wichtig ist, dass diese Bewältigungserfahrungen im Klienten emotional stark positiv besetzt sind, weil daraus die Kraft für die Bewältigung des aktuellen Problems entsteht.
Beispiel: Immer noch im Wachzustand frage ich den Klienten, ob es in seinem Leben einmal eine Prüfungssituation gegeben habe, die er gut bewältigt habe. Der Klient kann sich an keine solche Erfahrung erinnern. Nachdem ich ihm einige mögliche Beispiele für ähnliche Erfahrungen genannt habe, erinnert sich der Klient, dass er als Schüler in einer Rockband gespielt hat, die einmal mit einem Auftritt ein großes Publikum begeistert hat. „Die Leute waren begeistert und wollten immer mehr von uns hören.“ Das ist eine für ihn stark emotional positiv besetzte Ressource dafür, sich erfolgreich vor Publikum zu präsentieren.
3.2. Modelle/Imaginationen
Falls eine geeignete, reale Bewältigungserfahrung nicht verfügbar ist, weil der Klient eine solche nicht hat, oder weil er sich in seinem problemgebundenen Zustand aktuell nicht an sie erinnern kann, so können auch imaginierte Ressourcen verwandt werden. Hierbei kann es sich um Bewältigungsmodelle aus Filmen, Büchern oder Mythen handeln, es können reale andere Personen als Modelle verwandt werden oder der Klient kann seine Zielvorstellung als Bewältigungsressource nutzen (utilisieren).
Beispiel: Da der Klient große Angst vor der Prüfung hat, erscheint es mir sinnvoll, weitere Ressourcen zu sammeln, die anschließend in der Trance „gestapelt“ werden sollen. Ich frage ihn nach seiner Vorstellung, wie er während der Prüfung sein möchte. Er sagt: „Naja, wenn ich die innere Ruhe und dem Optimismus des Dalai Lama in mir hätte, die Kraft des Hulk und die Intelligenz von Stephen Hawking, dann würde ich es wohl schaffen.“ Ich lasse mir von ihm diese drei Personen (der Hulk ist eine Fantasy-Figur) detailliert beschreiben. Es handelt sich um modellhafte bzw. imaginative Ressourcen, die für die beabsichtigte Technik verwandt werden können.
3.3. Kraftsätze
Als Ressource können auch positive verbale Kognitionen („Kraftsätze“) genutzt werden, die die zu aktivierende/n Fähigkeit/en des Klienten prägnant auf den Punkt bringt. Diese sollten kurz und griffig, sowie grammatikalisch positiv in der Du-Form formuliert sein, und sie sollen beim Klienten eine unmittelbare verbale und nonverbale Zustimmungsreaktion hervorrufen.
Beispiel: Ich frage den Klienten nach einer Formulierung, die prägnant zum Ausdruck bringt, wie er in der Prüfungssituation gern wäre. Wir arbeiten den Satz heraus: „Du bist dir deiner selbst sicher.“ Ich sage den Satz probeweise zu dem Klienten. Der Klient atmet erleichtert auf, seine Augen leuchten und er nickt. Der Satz passt.
4. Trance induzieren
Der Therapeut führt den Klienten in einen Versenkungszustand, z.B. indem er vergangene Trance-Erfahrungen nutzt und via Pacing und Leading Entspannung und Versenkung suggeriert. Dabei kann der Therapeut bereits in der Induktionsphase Suggestionen einbauen, die den Klienten auf die Aktivierung der Ressourcen vorbereiten („Seeding“).
Beispiel: Ich bitte den Klienten, die Augen zu schließen, sich bequem hinzulegen und mit seiner Aufmerksamkeit in sein Inneres zu gehen. Ich beschreibe als Pacing zunächst Wahrnehmungen, die er in diesem Moment tatsächlich hat, zum Beispiel: „Du hörst meine Stimme … du spürst, wie du auf der Matratze aufliegst … du spürst deinen Atem …“ usw. Dann erinnere ich den Klienten an Trance-Erfahrungen, die er schon gemacht hat: „… du hast das schon einige Male erlebt, dieses Einsinken in dein Inneres …“ usw. Paralell suggeriere ich Entspannung und Versenkung: „… und du kannst zulassen, dass die Beine loslassen … so dass der Geist mehr und mehr auf angenehme Weise in das Innere versinkt …“. Dabei benutze ich gelegentlich Suggestionen, die in Richtung Kraft, Stabilität und innere Sicherheit gehen, die den Klienten also auf die später zu aktivierenden Ressourcen vorbereitet: „… und mit Sicherheit … liegst du hier ganz stabil … so dass du zuversichtlich sein kannst … dass du bald in tiefe innere Ruhe und Gelassenheit einsinken kannst …“.
5. Ressource/n aktivieren
Wenn der Klient eine leichte bis mittlere Trance erreicht hat, hilft der Therapeut dem Klienten, die Ressourcen in seinem Trance-Erleben zu aktivieren, indem er dem Klienten suggeriert, sich tief in das Erleben der Ressourcen hinein zu versenken.
Beispiel: Der Klient entspannt sich und zeigt Anzeichen einer leichten bis mittleren Trance. Ich suggeriere ihm: „… und da war diese Situation, als du in deiner Rockband spielst … die Gitarre in deinen Händen … du hörst die Musik, die du spielst sehr laut, aus den großen Lautsprechern hinter dir … deine Freunde sind um dich herum … die Stimmung ist gut … du wirst durchflutet und getragen von der Musik … du fühlst dich ganz sicher … wie von selbst entsteht aus deinem Inneren etwas, das sich sehr gut und richtig anfühlt … und während du diese Kraft und Sicherheit in dir spürst … kann sich ein anderer Teil deines Gewahrseins erinnern an den Vortrag des Dalai Lama … in dem du diese unerschütterliche Ruhe und Gelassenheit wahrnimmst, die der Dalai Lama ausstrahlt … als ob er mit seinem freundlichen, jugendlichen Lächeln dir etwas schenkt … was dich durchflutet … und in dir eine tiefe Empfindung von Zuversicht … und heiterer Gelassenheit … spürbar werden lässt …“ usw. Ich suggeriere den Klienten also in ein vertieftes Erleben seiner ressourcevollen Erfahrungen und Fantasien hinein.
6. Ressourcen aneignen
Im Alltagsbewusstsein des Klienten ist die Verfügbarkeit seiner Ressourcen zunächst an bestimmte äußere Gegebenheiten gekoppelt. Er glaubt, er habe seine Ressourcen nur unter bestimmten äußeren Voraussetzungen zur Verfügung, nicht aber in der Problemsituation.
6.1. Ressourcen im Körper ankern
Der Therapeut hilft dem Klienten daher auf hypnosuggestive Weise, seine Ressourcen gleichsam aus den spezifischen situativen Bedingungen herauszulösen und sie im Hier-und-Jetzt emotional in seinem Körper zu erfahren. Die Ressourcen werden suggestiv „angeeignet“, also als emotionales Erleben im Körper geankert.
6.2. Ressourcen an einen Auslösereiz koppeln
Unterstützend kann der Therapeut darüber hinaus suggestiv die Verfügbarkeit der Ressourcen an einen Auslösereiz (Signal) koppeln und damit die jederzeitige Verfügbarkeit der Ressource/n fördern.
Beispiel: Ich suggeriere dem Klienten das Gefühl von Stabilität, innerem Halt, Selbstsicherheit und Zuversicht unabhängig von den spezifischen, ressourcenvollen Situationen zu erleben: „Du spürst in deinem Körper dieses sichere Gefühl von Vertrauen in dein Wissen … von zuversichtlicher Gelassenheit … in dem Wissen … dass das deine eigene Kraft ist … die du in dir spürst …“ usw. Ich gebe dem Klienten vorsichtig eine Kastanie in die Hand und suggeriere: „… du spürst die Kastanie in deiner Hand … aus der einmal ein großer und kräftiger Baum werden kann … und diese Kastanie … mit ihrer lebendigen und vitalen Festigkeit … wird deinen Körper erinnern an dieses Gefühl von Sicherheit … von Kraft, Zuversicht und vitaler Gelassenheit …“. (Der Klient soll später die Kastanie als Ressourcenanker in die Prüfungssituation mitnehmen.)
7. Ressourcen aktiv und angeeignet?
Der Therapeut suggeriert dem Klienten ein idiomotorisches Signal, das dem Therapeuten nach außen anzeigt, dass der Klient seine Ressourcen intensiv emotional in seinem Körper erlebt und sie als etwas Eigenes, als verfügbare Fähigkeit empfindet.
Beispiel: Ich suggeriere dem Klienten: „Wenn du diese tiefe Empfindung von Sicherheit, zuversichtlicher Gelassenheit und Vertrauen auf dein Wissen in dir fühlst … und spürst, das ist deine Sicherheit … du kannst dir selbst vertrauen … du hast dich gut vorbereitet … und du hast all dein Wissen sicher zur Verfügung … wird sich dann dein Kopf auf eine Weise bewegen, als ob du nickst … und zeigt mir dadurch, dass du diese Kraft spürst …?“ Nach einigen Sekunden nickt der Kopf des Klienten. (Die Suggestion in Frageform ermöglicht dem Klienten, die idiomotorische Antwort als etwas zu erleben, das von ihm selbst kommt, nicht als mechanisches Ergebnis meiner Suggestion.)
8. Ressource/n auf das Problem applizieren
Wenn der Klient starke, emotional positiv besetzte Ressourcen zur Verfügung und angeeignet hat, suggeriert der Therapeut, dass diese Ressourcen auf das Problem appliziert werden. Das kann auf verschiedene Weise geschehen, z.B.:
- als ein „Fluss von Kraft“ oder als eine „Heilungsenergie“, die von einem als kraftvoll und gesund erlebten Körperteil zu einem als krank und bedürftig empfundenen Organ strömt,
- als „Mitnehmen“ eines ressourcevollen Gefühls in eine Problemsituation hinein, oder
- als eine Ressourcenfarbe, mit der eine Problemszenerie „ausgemalt“ wird, usw.
Dabei kann der Therapeut den Auslösereiz und die positive Kognitionen, die er zuvor etabliert hat, als Ressourcen-Anker nutzen.
Beispiel: Ich suggeriere dem Klienten: „Mit deiner ganzen Sicherheit … heiteren Gelassenheit und Zuversicht … mit all deinem Selbstvertrauen … in dein Wissen … kannst du in die Prüfung gehen … und spüren, wie du diese Sicherheit, Kraft, Gelassenheit und dieses Selbstvertrauen in der Prüfung zur Verfügung hast … und die Kastanie in deiner Hand oder in deiner Hosentasche kann dein Inneres jederzeit erinnern … an diese Sicherheit aus dem Bauch heraus … an die heitere Gelassenheit … und das Vertrauen in deine Intelligenz …“. Dazwischen gebe ich ihm einige Male die vereinbarte direktive Suggestion: „Du bist dir deiner selbst sicher.“
9. Das Problem als Auslöser für die Ressourcen
Der Therapeut kann im Klienten eine suggestive Koppelung der Ressourcen an das Problem etablieren, so dass das Problem selbst bzw. ein Detail der Problemsituation das Ressource-Empfinden auslöst.
Beispiel: Ich suggeriere: „… wenn du in dem Prüfungsraum sitzt … und die Prüfungsunterlagen siehst … spürst du ein tiefes Vertrauen in all dein Wissen, das erforderlich ist, diese Prüfung mit Sicherheit zu bewältigen … wenn du die Uhr in dem Prüfungsraum siehst, dann ist die ganze Zeit, die der Minutenzeiger überstreicht … in deinem Inneren erfüllt von Durchströmt-Sein mit Kraft, gelassener Zuversicht und Selbstvertrauen …“ Der ressourcenvolle Zustand wird also suggestiv an Aspekte der Problemsituation gekoppelt.
10. Ressourcen in der Zukunft ankern
Um dem Klienten zu helfen, nicht nur die unmittelbar anstehende Problemsituation oder das aktuelle, fokussierte Problem bewältigen zu können, sondern seine Ressourcen in Zukunft überhaupt stärker zur Verfügung zu haben, suggeriert der Therapeut dem Klienten, dass dieser seine Ressourcen in Zukunft immer dann spüren wird, wenn er sie braucht.
Beispiel: Ich suggeriere dem Klienten: „… du kannst immer wieder prüfen, ob sich dieses Gefühl von Sicherheit und Selbstvertrauen in allen Situationen, in denen du gefordert bist, dein gut vorbereitetes Wissen zu präsentieren … sich so fühlen kann … als ob du durchströmt wirst von großer Kraft … durchrieselt von zuversichtlicher Gelassenheit … und Vertrauen in deine Fähigkeiten …“ usw. Der Klient absolviert die Prüfung mit der Kastanie in der Hosentasche mit Erfolg und ohne Angst: „Ich war nur ein bißchen aufgeregt, aber das war okay. Ich habe dann die Kastanie mit der Hand gedrückt, das hat wirklich geholfen.“