Was ist Humanistische Psychotherapie?

Humanistische Psychotherapie versteht sich als dritter Weg neben der Verhaltenstherapie und der Psychoanalyse/Tiefenpsychologie. In der Humanistischen Psychotherapie wird mit einer Vielfalt von Konzepten gearbeitet, die sich alle um eine im Zentrum stehende (eben die humanistische) Philosophie herum gruppieren.

Humanistisch in diesem Zusammenhang hat nichts mit „humanistischem Gymnasium“, jahrelangem Griechischunterricht o.ä. zu tun. Der Begriff Humanistisch meint hier vor allem das humanistische Menschenbild, in dem das psychische Wachstum des Menschen in den Mittelpunkt gestellt wird. Der Klient wird demnach nicht primär als „krank“, „gestört“ o.ä. gesehen, sondern vor allem in seinen Wachstumspotentialen, also mit seinen individuellen und sozialen Ressourcen. Der Klient soll in der Therapie dazu befähigt und darin bestärkt werden, im direkten Erleben Kontakt zu seinen Potentialen aufzunehmen, sie zu aktivieren und auf die zu bewältigenden Probleme anzuwenden.

Der Mensch wird vor allem auf den Ebenen gesehen, die über das bloß animalische (tierhafte) hinaus gehen, also spezifisch in seiner Menschlichkeit, also

  • in seinem Bedürfnis nach Sinn, der stets über ihn als Individuum hinaus auf die Gemeinschaft und auf die Zukunft verweist,
  • als bewusstes, zu Achtsamkeit und Gewahrsein fähiges Wesen mit der Fähigkeit zur Introspektion und zu reflektierendem Denken,
  • in seiner existenziellen Wahlfreiheit und Verantwortlichkeit für seine Entscheidungen,
  • in seiner Kreaktivität und der Möglichkeiten, sein Leben schöpferisch zu gestalten,
  • in seiner Fähigkeit zu lieben, die sich auf die geliebte Person als Ganzes bezieht,
  • in seiner Fähigkeit, sich aktiv und engagiert dafür einzusetzen, was ihm am Herzen liegt und
  • sich mit anderen Menschen und Themen aktiv und konstruktiv auseinanderzusetzen.

Die Humanistische Psychotherapie will die Lebendigkeit des Klienten und seine latenten Potentiale aus den Fesseln gefrorener Angepasstheit oder blinder Rebellion befreien. Zu diesem Zweck wird daran gearbeitet,

  • Beziehungsstörungen und Traumata erlebnisorientiert aufzuarbeiten und zu transformieren,
  • archaische Gefühle und Impulse zu kultivieren, also spürbar, lebbar und kontrollierbar zu machen und
  • dem Klienten zu helfen, seine Identität zu erfühlen und zu definieren und
  • die eigenen Grenzen zu spüren, zu schützen und auszuweiten um
  • einen vitalen, erfüllten Lebensweg zu gestalten.

Der therapeutische Prozess wird gesehen als Tiefenselbsterkundung des Erlebens des Klienten, besonders seiner Beziehungsmuster. Therapeut und Klient erkunden also gemeinsam, wie der Klient zu seiner Innenwelt und zu anderen Menschen Kontakt gestaltet, und wie die Muster seiner Kontaktgestaltung im Rahmen seiner Lebensgeschichte zu verstehen sind.

Dies geschieht stets in kooperativer Zusammenarbeit, also im Dialog mit dem Therapeuten. Die Aktivität des Therapeuten und die des Klienten gehen also Hand in Hand. In der Humanistischen Psychotherapie wird betont, wie wichtig es ist, dass der Klient aus seiner Eigenmotivation heraus an sich arbeitet und sich nicht passiv „behandeln“ lässt. Die Therapie wird somit als emanzipatorischer Prozess verstanden. Dem Klienten wird ein geschützter Raum zur Verfügung gestellt, in dem er über Ziele und Wege des Therapieprozesses selbst entscheiden kann. Der Therapeut unterstützt ihn dabei empathisch zugewandt, professionell abgegrenzt und manchmal auch herausfordernd oder konfrontativ. Dabei werden auch Prozesse der Übertragung und Gegenübertragung berücksichtigt und für den therapeutischen Prozess genutzt. So kann der Klient die Erfahrung machen, vom Therapeuten als Person akzeptiert, gewürdigt, wertgeschätzt und unterstützt zu werden, während sich beide gemeinsam mit den Kontakt- und Beziehungsmustern des Klienten auseinandersetzen.

Ziel des Humanistischen Therapieprozesses ist ein von persönlichem Sinn getragenes, selbstverwirklichendes, authentisches Leben. Das bedeutet einen fortgesetzten Wachstumsprozess, für den die Therapie ein vorübergehender Anstoß ist.

Das Spektrum der Humanistischen Verfahren und Techniken reicht von
  • verbaler und nonverbaler Arbeit mit Kontakt und an Kontaktmustern über
  • Rollenspiele,
  • Identifikationsmethoden und
  • körperorientierten Techniken bis zur
  • Arbeit mit veränderten Bewusstseinszuständen,
  • konfrontativen,
  • kreativen und
  • Gruppentechniken.
Ziel der Humanistischen Psychotherapie ist
  • die Integration von abgewehrten Anteilen,
  • die Förderung der Wahlfreiheit des Klienten,
  • die Entfaltung latenter Potenziale und
  • die Orientierung der Lebensperspektive an Sinn stiftenden Werten.

Wenn Sie tiefer in das Thema einsteigen wollen, könnten Sie sich mein Buch „Humanistische Psychotherapie“ anschauen oder auf der Website der Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie (AGHPT) weiterlesen.

Werner Eberwein