Was ist Humanistische Psychotherapie?
Die verschiedenen Ansätze der Humanistischen Psychotherapie verbindet vor allem ihr gemeinsames Menschenbild: die Vorstellung vom mündigen Menschen, der bewusst erlebt, wahlfrei und verantwortlich handelt und seine Existenz aktiv und kreativ gestaltet.
Die Ursprünge der HP liegen philosophisch vor allem in der Existenzphilosophie nach Søren Kierkegaard und Jean-Paul Sartre, der Dialogphilosophie nach Martin Buber sowie im modernen Humanismus in seinen vielfältigen Spielarten. Psychologisch liegen die Ursprünge vor allem in der humanistischen Psychologie nach Abraham Maslow, Carl Rogers, Rollo May und vielen anderen sowie in der Berliner Schule der Gestaltpsychologie von Max Wertheimer, Wolfgang Köhler, Kurt Koffka und im weiteren Sinn Kurt Goldstein und Kurt Lewin. Psychotherapeutisch spielen einige Dissidenten der Psychoanalyse eine große Rolle wie Wilhelm Reich, Fritz Perls oder Erich Fromm. In der Körper- und Bewegungsorientiertheit gibt es Verbindungen zu Yoga, Tanz, Schauspiel bis zu Massage.
HP besteht aus einer Reihe von Methoden, das sind zurzeit:
- die Gesprächspsychotherapie (maßgeblich begründet von Carl Rogers)
- die Gestalttherapie (Fritz Perls)
- das Psychodrama (Jakob Moreno)
- die Körperpsychotherapie (Wilhelm Reich)
- die Existenzanalyse und Logotherapie (Viktor Frankl)
- die Transaktionsanalyse (Eric Berne).
Diese sind in den letzten Jahrzehnten ausdifferenziert und integriert worden durch Ansätze wie Focusing (Eugene Gendlin), Emotionsfokussierte Therapie (Leslie Greenberg), Integrative Therapie (Hilarion Petzold), Personale Existenzanalyse (Alfried Längle), Pesso-Therapie (Albert Pesso) und andere.
In der Humanistischen Psychotherapie wird der Mensch holistisch gesehen, also in seiner bio-psycho-sozialen Ganzheit, in seiner Geschichtlichkeit, also seiner Vergangenheits- und Zukunftsorientiertheit, sowie in seiner Fähigkeit zur Introspektion und zu reflexivem Denken. Weiter wird der Mensch betrachtet in seiner Fähigkeit zur Kokreation sozialer Prozesse sowie zu personaler Liebe und Mitgefühl, die über die biologische Sexualität hinausgehen sowie zum engagierten Sich-Einsetzen und Sich-Auseinandersetzen, das nicht auf Aggression im biologischen Sinn reduziert werden kann.
Die Humanistische Psychotherapie versteht sich als
- experientell, weil sie sich an der unmittelbaren Erfahrung orientiert
- experimentell, weil der psychotherapeutische Prozess als Ergebnis kooperativer Kreativität gesehen wird und
- existenziell, weil Fragen nach Sinn, Werten und Zielen des Lebens einen zentralen Stellenwert im psychotherapeutischen Prozess einnehmen.
HP ist ein kooperativer, intersubjektiver Prozess, ein professioneller Dialog mit dem Ziel, das psychische und psychosomatische Leid des Patienten zu lindern. Der Dialog beinhaltet das Gewahrsein und die Förderung des Ausdrucks auf der verbalen (inhaltlichen), aber auch auf der nonverbalen (Körperausdrucks-) Ebene.
Ein Dialog findet sowohl zwischen Patient und Therapeut, als auch innerhalb des Patienten und innerhalb des Therapeuten unter ihren jeweiligen Selbstanteilen, Tendenzen und Impulsen statt. Dabei übernimmt der Therapeut die Funktion, die Dialoge des Patienten zu moderieren. In der Humanistischen Paar-, Familien- und Gruppentherapie können reale Dialogprozesse im therapeutischen Setting inszeniert, moderiert und konstruktiv transformiert werden.
Der Patient wird zur Selbstempathie ermutigt und seine selbstreflexiven und empathischen Fähigkeiten sowie seine Fähigkeit zu klarem, authentischem und respektvollem Ausdruck in seinen Beziehungskontexten werden gefördert.
Psychische Störungen können als Folge mangelnder Übereinstimmung zwischen Erfahrung und Selbstbild betrachtet werden, wenn also der Patient seine emotionalen Erfahrungen nicht mit den Konzepten und Schemata vereinbaren kann, die er von sich selbst hat. Dies geht mit Erfahrungen multipler Entfremdung einher, zum Beispiel einer Entfremdung vom Körper, von den eigenen Gefühlen, vom sozialen Miteinander, von den eigenen Fähigkeiten, Grenzen, Strukturen oder Bindungen.
Biografisch entstehen psychische Störungen durch verinnerlichte pathogene Beziehungsmuster wie
- Deprivation – wenn jemandem etwas vorenthalten wird, was er notwendig braucht
- Invasion – gewaltsames Durchbrechen schützender Intimitätsgrenzen
- Repression – anhaltende Unterdrückung vitaler Lebensimpulse oder
- Konfusion – dauerhaft verwirrende Kommunikationsmuster.
In den verschiedenen Richtungen der Humanistischen Psychotherapie wurden viele Interventionstechniken entwickelt, deren Wirksamkeit inzwischen durch eine Vielzahl hochwertiger Studien nachgewiesen wurde. Sie werden auf Basis einer grundsätzlich akzeptierenden, personal wertschätzenden Haltung zur konstruktiven Auseinandersetzung des Patienten mit seinen Beziehungs- und Einstellungsmustern angewandt, was dem Patienten die Erfahrung vermittelt, als Person gewürdigt und unterstützt zu werden.
Humanistische Psychotherapie wird verstanden als ein gemeinsames Ringen um konstruktive Antworten auf die Herausforderungen, die das Leben an den Patienten stellt. Der Patient wird gefördert und begleitet in seiner Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen wie: „Wofür lebe ich eigentlich?“, „Wie gehe ich mit Erlebnissen von Gewalt, Verachtung, Schmerz oder Verlust um?“ in dem Bewusstsein, dass die Haltung des Patienten zu solchen Fragen erhebliche Auswirkungen auf die emotionale und psychosomatische Befindlichkeit des Patienten hat.
In der Behandlung von psychischen Störungen stellt die Humanistische Psychotherapie die Förderung der psychischen Weiterentwicklung des Patienten in seinen sozialen Bezügen in den Mittelpunkt. Dies geschieht unter anderem durch Aktivierung und Entfaltung spezifisch menschlicher Potenziale (Ressourcen) und ist auf ein von persönlichem Sinn getragenes, selbstverwirklichendes, authentisches und sozial verantwortliches Leben hin ausgerichtet.
Humanistische Psychotherapie ist fortgesetzte dialogische Erkundung und Transformation der Beziehungs- und Einstellungsmuster des Patienten in Achtsamkeit für Prozesse an der Grenze des Gewahrseins. Im Fokus des Humanistischen Psychotherapieprozesses steht das unmittelbare emotionale Erleben des Patienten in seiner Funktion der Bewertung der Lebensrealität auf Basis von Bedürfnissen und als Grundlage von Entscheidungsprozessen. Der Patient wird ermutigt, seine zunächst noch unklaren oder unbewussten inneren Prozesse differenziert zu erleben und zu verarbeiten, kognitiv zu integrieren, zu verstehen, der Symbolisierung und Verbegrifflichung zugänglich zu machen und sozial angemessen verbal und nonverbal zu kommunizieren.
Orientiert an der humanistischen Philosophie wird dem Patienten in der Therapie die optimale Freiheit gegeben, über Ziele und Wege des psychotherapeutischen Prozesses selbst zu entscheiden. Die empathisch zugewandte und zugleich professionell abgegrenzte, gegebenenfalls auch konfrontative Haltung des Therapeuten sowie die Halt, Struktur und Experimentierraum gebende Therapeut-Patient-Beziehung werden als fundamentale Ressourcen für konstruktive psychotherapeutische Fortschritte verstanden.
Der Humanistische Psychotherapeut bemüht sich, empathisch, also in stellvertretender Introspektion und durch Förderung des Erfahrungszugangs des Patienten zu seinen körperlichen, psychischen und interaktiven (Er-)Lebensprozessen mit diesem sinnhaft zu klären und zu verstehen, was und wie der Patient erlebt. Das hilft dem Patienten, sich auch in seinen zunächst noch unklaren Anteilen und Zuständen allmählich besser zu verstehen, sowie sich mit seinen Erfahrungen, Wünschen, Bedürfnissen, Lebenseinstellungen und Werten konstruktiv auseinanderzusetzen.
Die Tendenz des Patienten zur Aktualisierung alter Beziehungsmuster und Einstellungen in der Psychotherapeut-Patient-Beziehung wird als Möglichkeit gesehen und genutzt, um diese Muster dem Erleben und Verstehen im Rahmen der psychotherapeutischen Transformation zugänglich zu machen.
Humanistische Psychotherapie dient dazu, die Resilienz, Vitalität und Kreativität des Patienten, seine latenten Fähigkeiten zur Gestaltung, Selbstregulation, Strukturierung und Abgrenzung zu fördern. Durch eine Vielfalt von erlebnisaktivierenden und reflexionsfördernden Interventionstechniken sollen abgespaltene Selbstanteile integriert, die psychische Struktur stabilisiert und harmonisiert sowie verkörperte Blockaden und Hemmungen gelöst werden.