Warum kann Gesprächspsychotherapie nicht über die Krankenkassen abgerechnet werden?

Hier ein Text von Prof. Jürgen Kriz, ehemaliges Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie (WBP) und Karl-Otto Hentze, ehemaliger Bundesgeschäftsführer der Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie (GwG), in dem beschrieben wird, wie der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Anerkennung der Gesprächspsychotherapie (GT) für die Abrechnung über die Krankenkassen verhindert hat:

 


Der Skandal um den „Gemeinsamen Bundesausschuss“ G-BA
bei seiner Blockade der Gespächspsychotherapie
oder: wie der Rechtsstaat ausgehebelt wird

Vorbemerkung

Die folgende skizzenhafte Dokumentation stammt wesentlich von Karl-Otto-Hentze (ehem. Bundesgeschäftsführer der GwG). Ein Papier, das bis 2007 geht, wurde durch Daten aus einem zweiten (ebenfalls von K.-O. Hentze) von mir (j.k.) ergänzt und insgesamt redaktionell angepasst. Nicht aufgeführt sind die danach vorgenommenen Verfahren u.a. vor dem Bundesverwaltungsgericht und Bundessozialgericht (m.E. ein weiteres Trauerspiel deutscher Rechtsprechung – wobei „Recht“ mit formalen juristischen Verfahrenstricks und Desinteresse an einer inhaltlichen Auseinandersetzung in der Sache letztlich in Unrecht verwandelt wurde – was aber einer gesonderten, umfassenden Dokumentation bedarf). Das Vertrauen des Autors (und vieler anderer) in den Rechtsstaat ist mit diesem Verfahren schwer erschüttert worden. Auch wenn Polit- und Wirtschaftsmagazine im deutschen Fernsehen leider Missstände, Willkür und verfahrensjuristisch sanktioniertes Unrecht auch in anderen Bereichen immer wieder anprangern: Ich hätte es noch vor einem Jahrzehnt für unglaubhaft gehalten, dass ein Gremium wie der G-BA zentrale Grundregeln rechtsstaatlicher Verfahrensordnung so eklatant verletzen sowie die einhelligen Urteile der Wissenschaft und Kammern beliebig ignorieren darf, ohne dass dem letztlich Einhalt geboten wird. Auch wenn manche Mitglieder des G-BA vielleicht in naiver Unterstellung „es sei schon alles in Ordnung“ die Fakten zu ihrer Entscheidung nicht geprüft sondern sich vor den Karren der Interessen Einzelner haben spannen lassen: Sie können nicht von der Verantwortung freigesprochen werden, da allen Mitgliedern vor der Entscheidung persönlich eine Dokumentation der mit einer Synopse der ungeheuerlichsten Vorgänge bei diesem „Verfahren“ zugestellt wurde.

Vor dem Psychotherapeutengesetz

In den 70er, vor allem aber in den 80er und 90er Jahren des 20.Jh. ist die „Gesprächspsychotherapie“ (GPT) in erheblichem Umfang nicht nur in Kliniken und bei Privatzahlern, sondern auch ambulant zu Lasten der GKV (gesetzlichen Krankenversicherung) etabliert. Zwar nicht als Richtlinienverfahren (wozu zunächst nur die – heute – „Psychodynamischen Verfahren“ zählen), sondern im Erstattungsverfahren. Allein in der „Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie“ sind über 2.000 Psychotherapeutinnen und –therapeuten organisiert. Die qualitativ hohen Standards der Ausbildung sehen vor, dass am Ende der Ausbildung mindestens fünf umfassend dokumentierte Fälle – je mit Diagnostik zu Beginn und am Ende der Therapie, Verlaufsdokumentation, mindestens drei Bandausschnitten etc. – die erfolgreiche Behandlung gegenüber dem Ausbilder und der Supervisionsgruppe nachweisen müssen. Allein dies entspricht über 10.000 erfolgreich behandelten Fällen – überwiegend zu Lasten der GKV. In der DDR war GPT seit ca. 1970 wichtigstes Psychotherapieverfahren des staatlichen Gesundheitswesens. Die Erkenntnis, dass die Einbeziehung der Gesprächspsychotherapie in die vertragliche Versorgung sachgerecht ist, ist fast so alt wie die vertragliche Psychotherapie. Bereits in der Psychiatrie-Enquete 1975 wurde ausdrücklich gefordert, die Gesprächspsychotherapie in die Versorgung und in das gesetzlich vorgesehene Ausbildungswesen einzubeziehen.

 

  • 1978: In dem Entwurf eines Psychotherapeutengesetzes (der auf der Psychiatrie-Enquete gründete) sind in § 5 Abs. 2 „die Gesprächspsychotherapie, die Verhaltenstherapie, die Individual-psychologische Psychotherapie und die Psychoanalytische Psychotherapie“ als die „anerkannten psychotherapeutischen Richtungen“ genannt.
  • 1991: In dem „Forschungsgutachten zu Fragen eines Psychotherapeutengesetzes“ (i.Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit wird festgestellt: „Die Gesprächspsychotherapie ist ein Behandlungsverfahren mit nachgewiesener klinischer Wirksamkeit. Ihr Ausschluss aus der Kassenfinanzierung innerhalb der gegenwärtigen Psychotherapierichtlinien widerspricht somit der empirischen Befundlage und ist damit ungerechtfertigt.“ Allerdings sieht die Vorläufer-Organisation des G-BA (die KBV) das anders:
  • 1987 hatte die förmliche Antragstellung ohne reguläre Überprüfung zu der Feststellung geführt: „Die Gesprächpsychotherapie erfüllt nicht die Erfordernisse der Richtlinien!“
  • 1990 hatte der erneute Antrag zu dem Zwischenbescheid geführt, „Eine Zulassung ist nach zweieinhalb Jahren zum 31.12.1993 durchaus erwägenswert“. Es wurden lediglich ergänzende Beschreibungen gefordert; die Fragen zu Wirksamkeit und Nutzen galten als positiv beantwortet.
  • 1995 führte die Einreichung weiterer Unterlagen durch die GwG zu der abschließenden Mitteilung: „Die eingereichten Unterlagen sind nach Ansicht (!) des Arbeitsausschusses nicht zufriedenstellend.“
  • 1998: am 14.09. beschließen die Länderbehörden, dass die bisherigen Richtlinienverfahren und die Gesprächspsychotherapie bundeseinheitlich als wissenschaftlich anerkannt gelten. Aber:
  • 1998: am 23.10. hingegen beschließt der Bundesausschuss wegen des Zeitdrucks vorläufig i.W. die bisherigen Richtlinien und damit auch nur die bisherigen Richtlinienverfahren in die neuen Richtlinien zu übernehmen.
  • 2002: durch Beschluss vom 16.5. empfiehlt der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP) den Ländern, das Verfahren GPT zur vertieften Ausbildung Psychologischer Psychotherapeuten zuzulassen.
  • 2002: am 16.11. entscheidet der Gesundheitsberufe-Ausschuss der Länder, Ausbildungsstätten zur vertieften Gesprächspsychotherapie-Ausbildung anzuerkennen. Alle zum damaligen Zeitpunkt errichteten Psychotherapeutenkammern und die Verbände des GK IIi forderten die Einbeziehung der Gesprächspsychotherapie in die vertragliche Versorgung spätestens jetzt beginnt die Geschichte der Verschleppungs- und Ablehnungs-Tricks des G-BA:
  • 2002: am 10.07. stellen die Vorstände der Kammern NRW und Baden-Württemberg den Antrag an den Bundesausschuss, die Gesprächspsychotherapie als viertes Richtlinienverfahren anzuerkennen mit der Begründung, dass „ .. .. der Wissenschaftliche Beirat nun nachvollzogen hat, was in der internationalen Fachöffentlichkeit schon seit langem unumstritten war.“ Die federführende Psychotherapeutenkammer NRW wurde vom Bundesausschuss zur zügigen Vorlage von Antragsunterlagen gedrängt: Der Antrag zur Gesprächspsychotherapie sollte – so hieß es – auf der nächsten Sitzung am 18. September 2002 im Arbeitsausschuss beraten werden.
  • 2002: am 8. 10. reichen die Fachverbände für GPT die Materialien am bei der Geschäftsstelle des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen ein. Dazu wurden diese von den antragstellenden Kammern mit der Beantwortung des Fragenkatalogs beauftragt. Der Arbeitsausschuss trat auf der Grundlage dieser Materialien in die Prüfung ein.
  • 2003: Im Juli – 10 Monate nach Eingang der angeforderten Unterlagen – stellt der Bundesausschuss fest, dass die Kammern nicht antragsberechtigt seien, es vielmehr eines Antrages der KBV, einer KV oder eines Spitzenverbandes der Krankenkassen bedürfe. Bei vorhergehenden Beratungen (z.B. zur psychoanalytisch-interaktionelle Psychotherapie, zur Systemische/ Familientherapie und zur Neuropsychologie) hatte der G-BA ein solches Antragserfordernis zu Recht nicht gesehen und war ohne solch einen Antrag in das Verfahren eingetreten. Tatsächlich hat der G-BA „von Amts wegen“ in die Prüfung einzutreten.
  • 2003: am 21.08. stellt der Vorstand der KBV förmlich einen Antrag nach § 135 SBG V auf Überprüfung der Gesprächspsychotherapie.
  • 2004: am 04.02. stellt die KV Bayern einen Parallel-Antrag.
  • 2004: Im Februar werden der GwG von dem G-BA zwei weitere Fragen zur Beantwortung gestellt. Die Fragen beziehen sich auf die Formen der GPT, die Grundlage der WBP-Empfehlung waren und auf Nachweise des zusätzlichen Nutzens für die vertragliche Versorgung im Vergleich zu den bisher anerkannten Verfahren beziehen.
  • 2004: am 08.03 gehen dem G-BA die Antworten der GwG zu.
  • 2004: am 12.03. richtet der GK II ein Schreiben an den Vorsitzenden des GBA, Herrn Dr. Hess, mit dem die zügige Beratung zur Gesprächspsychotherapie gefordert und eine Bewertung der Gesprächspsychotherapie unter Beachtung der geltenden rechtlichen Anforderungen und des Gleichbehandlungsgrundsatzes eingefordert wird.
  • 2004: am 17. 3. – nach Eingang der Unterlagen auf die G-Ba-Fragen – beschließt der Unterausschuss Psychotherapie, dass jetzt erst eine Literaturrecherche durch die „Stabsstelle Medizin“ durchgeführt werden müsse (!). Die angeforderten Unterlagen der GPT-Verbände bleiben unberücksichtigt (wie im November 2006 bekannt wurde, wurden die Antworten als „Buch“ definiert und – wie alle „Bücher“ – als „irrelevant“ aus der Bewertung ausgeschlossen). Gleichzeitig beschließt der Unterausschuss Psychotherapie wohl auf Drängen der Patientenvertreter, einen GPT-Sachverständigen zu den künftigen Beratungen in der Arbeitsgruppe GPT beizuziehen. Prof. Jochen Eckert wird als Sachverständiger benannt. In diesem Zusammenhang wird der GwG mitgeteilt, die Studienauswertung werde von August bis Dezember 2004 erfolgen.
  • 2004: Am 20.04. beschließt der G-BA, auf die Überprüfung der Gesprächspsychotherapie die BUBRichtlinie anzuwenden. (Richtlinie zur Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden). Damit wird nachträglich eine Legitimation für das 10 Monate vorher im Juli 2003 rechtswidrig behauptete (s.o.) Antragserfordernis geschaffen.
  • 2004: Am 06.10. – d.h. mehr als 6 Jahre nach der bundeseinheitlichen Länderentscheidung, neben den Richtlinienverfahren die Gesprächspsychotherapie als wissenschaftlich anerkannt im Sinne des Psychotherapeutengesetzes gelten zu lassen, mehr als 2 Jahre nach dem Antrag der Psychotherapeutenkammern Baden-Württemberg und NRW, die GPT endlich als Richtlinienpsychotherapie anzuerkennen und mehr als 1 Jahr nach dem entsprechenden Antrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung veröffentlicht der G-BA das Beratungsthema Gesprächspsychotherapieim Bundesanzeiger und gibt damit sachverständigen Personen und Verbänden Gelegenheit zur Stellungnahme anhand eines strukturierten Fragenkatalogs. Damit wird das Verfahren völlig neu eröffnet und alle bisherigen Verlautbarungen und Beratungen ignoriert. Der Justiziar der BPtK kommt in einer gutachterlichen Stellungsnahme zu dem Ergebnis, dass der Fragenkatalog Entscheidungskriterien enthält, die keine gesetzliche Grundlage haben; dazu gehören Fragen nach der Verbesserung der Versorgung, der Überlegenheit und dem zusätzlichen Nutzen.
  • 2004: Im Juli, Oktober und November rügt das BMG den G-BA wegen der offensichtlichen Verzögerungen. Das bisherige Verfahren und die dazu erteilten Auskünfte seien “nicht hinnehmbar“.
  • 2004: Am 09.10. verabschiedet der 4. Deutsche Psychotherapeutentag zu dem immer wieder verzögerten G-BA-Verfahren eine Resolution und forderte die Anerkennung der GPT bis Ende 2004.
  • 2004: Beim G-BA gehen 80 Stellungsnahmen zur Gesprächspsychotherapie ein; 78 Stellungnahmen fordern die Einbeziehung der Gesprächspsychotherapie, 2 äußern sich ablehnend, darunter die eines VT-Ausbildungsinstitutes.
  • 2004: am 07.12. wird erstmals der Gesprächpsychotherapie-Sachverständige zu den Beratungen hinzugezogen, nachdem der Arbeitsausschuss bereits die wesentlichen Beschlüsse, die das weitere Beratungsverfahren präjudizieren, getroffen hat. Unter anderem will der G-BA nur Studien bewerten – die in die „Anwendungsbereiche“ fallen, zu denen der WBP positiv votiert hatte – die im Vergleich mit Richtlinienverfahren durchgeführt wurden – die im ambulanten Bereich durchgeführt wurden – in denen Erwachsene behandelt wurden (Ausschluss aller KJP-Studien) Der Unterausschuss hatte damit ohne Prüfung bereits die Vorentscheidung getroffen, die GPT nicht als Richtlinienverfahren anzuerkennen. Die Beiziehung des Sachverständigen für GPT muss daher als reine Alibifunktion gesehen werden. Entgegen den vorliegenden Anträgen der KBV und der KV Bayern wollte der Unterausschuss die Gesprächspsychotherapie nicht auf Ihre Eignung als Richtlinienverfahren prüfen, sondern nur Nutzennachweise für die „Anwendungsbereiche“ in seine Bewertung einbeziehen, die der WBP seiner uneingeschränkten positiven GPT-Empfehlung gegenüber den Landesbehörden zugrunde gelegt hatte.
  • 2004: am 13.12. teilt der Vorsitzende des G-BA, Dr. Hess, der GwG mit, die GPT könne nur für 4 Anwendungsbereiche – das heißt also, nicht als Richtlinienverfahren – anerkannt werden.
  • 2005: am 15.02.findet dazu ein Rechtsgespräch im BMG statt, dessen Ergebnis der G-BA-Unterausschuss dann erst am 14. Juni 2005 umsetzt:
  • 2005: am 14.6. entwickelt der G-BA daraufhin das (vom BMG später beanstandete) Kriterium „Versorgungsrelevanz„, das die Grundlage schaffen soll, ein Psychotherapieverfahren (die GPT) zur „Methode“ der Richtlinienverfahren wandeln zu können. Dazu war es erforderlich, die Nutzennachweise auf ein Minimum zu reduzieren.
  • 2005: Am 23.04. fordert der 5. Deutsche Psychotherapeutentag den Vorstand der BPtK auf, fachliche Bedenken gegen die Zerlegung der Psychotherapie in eine Vielzahl von „Anwendungsbereichen“ gegenüber dem G-BA zu vertreten.
  • 2005: Am 02.11. wird vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg in einer Berufungsverhandlung die Klage eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten auf Eintrag in das Psychotherapeutenregister auf der Grundlage seiner Fachkunde in Gesprächspsychotherapie verhandelt. Der GBA war beigeladen. Zum schriftlichen Vortrag des G-BA, die GPT sei das erste Psychotherapieverfahren, das nach § 135 Abs. 1 SGB V überprüft werde, betont das Gericht: Gemäß dem Gleichheitssatz (Art. 3 GG), der für Richtlinien- und Gesprächspsychotherapeuten gilt, ist die Gesprächspsychotherapie nach den Maßstäben anzuerkennen, nach denen die Richtlinienverfahren derzeit anerkannt sind.
  • 2005: Im November erklärt der Vorsitzende des Unterausschuss Psychotherapie, J.Weidhaas, : „Die jüngste Entwicklung in der Rechtsprechung und die gesetzlichen Änderungen durch die letzte Gesundheitsreform machen eine Änderung der Psychotherapie-Richtlinien notwendig.“
  • 2006: am 11.01. – wohl in Reaktion auf die Verhandlung vor dem LSG Baden-Württemberg, in der das LSG den verfassungsrechtlichen Anspruch des Klägers auf Zulassung betont und festgestellt hatte, dass die Psychotherapie-Richtlinien eine Lücke aufweisen, die durch GPTzu füllen sei – erarbeitete der Unterausschluss Grundzüge zur Änderung der PTR.
  • 2006: am 11.01. behauptet der Vorsitzende des Unterausschusses Psychotherapie, Weidhaas, der Unterausschuss stehe vor der Frage: „Wie können neue Psychotherapieverfahren in die Psychotherapie-Richtlinien aufgenommen werden, wenn sie nicht in allen Anwendungsbereichen vom WBP anerkannt wurden?“ Damit ignoriert der Vorsitzende die ihm im Februar 2005 vom BMG gegebene Rechtsbelehrung.
  • 2006: Am 15.01. erklären die ersten Vorsitzenden des WBP, Prof. Hoffmann und Prof. Markgraf gegenüber der Fachöffentlichkeit und den Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen, dass eine Bewertung von Psychotherapie nach Anwendungsbereichen nicht auf die Arbeit des WBP gestützt werden könne. Die Prüfung in einzelnen Anwendungsbereiche sei lediglich eine interne Operationalisierung des WBP-Vorgehens, um zu einer Feststellung über die wissenschaftliche Anerkanntheit des Verfahrens (als Ganzes) zu kommen. Eine gesonderte Anerkennung für einzelne Bereiche liege nicht im Konzept des WBP und sei damit nicht verbunden.
  • 2006: Am 13.02. teilt der G-BA in seinem Newsletter mit, dass der Unterausschuss nunmehr erst einmal „die in den Psychotherapie-Richtlinien formulierten Kriterien für die Aufnahme neuer Psychotherapieverfahren in die Richtlinie an die in der Verfahrensordnung festgelegten Bestimmungen anpassen müsse.“ Diese Änderung der Psychotherapie-Richtlinien dient offensichtlich dem Ziel, „Psychotherapieverfahren“ zu „Methoden“ wandeln zu können. Zwischen „Verfahren“ und „Methoden“ soll in den künftigen Richtlinien nach dem noch zu konkretisierenden Kriterium „Versorgungsrelevanz“ unterschieden werden, mit dem „sichergestellt werden soll, dass nur solche Verfahren Eingang in die GKV erhalten, die das Versorgungsgeschehen in den relevanten Bereichen, das heißt den häufigsten Indikationen, abdecken.
  • 2006: am 06.03. wendet sich der GK II an den -BA: „Nach derzeitigem Stand der Psychotherapieentwicklung und der Psychotherapieforschung ist eine einzelheitliche, z. B. diagnosebezogene Bewertung nicht möglich, da es einen normierbaren Erkenntnissen fehlt.“
  • 2006: am 31.03. erklärt der Vorsitzende des Unterausschusses Psychotherapie, Weidhaas,: „Dem G-BA geht es grundsätzlich darum, auf rechtssicherer Grundlage neue Verfahren in die vertragsärztliche Versorgung aufnehmen zu können. Sobald die geänderten Psychotherapierichtlinien anschließend in Kraft treten, können – erst dann auf rechtssicherer Grundlage – weitere Psychotherapieverfahren in die Psychotherapie-Richtlinie aufgenommen werden.“
  • 2006: am 02.04. teilt Prof. Eckert daher dem Vorsitzenden des G-BA, Dr. Hess, mit, dass er seine Mitarbeit als GPT-Sachverständiger in der AG GPT des Unterausschusses Psychotherapie unter Protest mit sofortiger Wirkung einstelle. Letzter Anlass war, dass der KBV-Vorsitzende, Dr. Köhler, lange vor Abschluss der Bewertung der Unterlagen erklärt hatte, im Unterausschuss stehe bereits fest, dass die GPT nicht als Richtlinienverfahren anerkannt werde. Die inhaltliche Richtigkeit der Auskunft gegenüber Herrn Köhler wurde Herrn Prof. Eckert auf seine Nachfrage von dem Vorsitzenden der Themengruppe GPT, Herrn Weidhaas, am 2. März 2006 bestätigt.
  • 2006: im März beauftragt die Bundespsychotherapeutenkammer aufgrund dieser Entwicklung eine 5-köpfige Expertengruppe mit der Erarbeitung einer Stellungnahme und lässt durch den Justiziar der BPtK, Herrn RA Stellpflug, eine juristische Beurteilung zur Frage der Anerkennung der GPT (exemplarisch für die Berücksichtigung von Psychotherapieverfahren) erarbeiten. Dort wird unter anderem ausgeführt: „Im Ergebnis können Regelungen in den Psychotherapie-Richtlinien verfassungsrechtlich keinen Bestand haben, wenn sie dazu führen (können), dass in den Richtlinien eine Anerkennung als Behandlungsverfahren unterbleibt, obwohl das Verfahren berufsrechtlich zur vertieften Ausbildung (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 PsychThG) zugelassen ist und zur Approbation führt.“
  • 2006: am 20.06. beschließt der G-BA die Richtlinienänderung, mit der er sich die Voraussetzung schaffen will, die GPT zur Methode der Richtlinienverfahren zu machen.
  • 2006: 15. August Das BMG macht von seinem Recht Gebrauch, dieser Beschluss des G-BA zu beanstanden. Die Beanstandung richtet sich gegen die Einführung des Schwellenkriteriums „Versorgungsrelevanz“ und gegen die vom G-BA vorgenommene Abgrenzung der Begriffe „Verfahren“, „Methoden“ und „Techniken“. Für besonders problematisch hält das BMG, dass nach der Richtlinienänderung ein psychotherapeutisches „Verfahren“ in eine „Methode“ umdefiniert werden könne. Damit können die beanstandeten Teile der Richtlinienänderung nicht in Kraft treten. Der G-BA klagt nun gegen das BMG. Abschließend teilt das BMG dem G-BA mit: „Das BMG geht davon aus, dass die laufende Bewertung der GPT unabhängig von der vorliegenden (Teil-) Beanstandung auf der Grundlage der derzeit gültigen Psychotherapie-Richtlinien abgeschlossen werden kann.“ Die Behauptung des Vorsitzenden des Unterausschusses, Weidhaas, zur Aufnahme neuer Verfahren bedürfe es erst einer Änderung der Richtlinien, erweist sich damit als substanzlos.
  • 2006: am 25.09. verabschiedet der Unterausschuss Psychotherapie einen Beschlussempfehlungs- Entwurf, die GPT „weiter in der Anlage 1 Nr. 3 der Psychotherapie-Richtlinien als Verfahren zu führen, dass die Erfordernisse der Psychotherapie-Richtlinien nicht erfüllt“. Die ausführlichen Unterlagen belegen allerdings, dass der G-BA gar nicht die Gesprächspsychotherapie bewertet hat – so wie das Verfahren von allen in Deutschland lehrenden Wissenschaftlern, in Lehrbüchern und auch vom WBP definiert wird. Stattdessen benutzt der G-BA eine von ihm selbst erfundene Definition – die zum Ausschluss sehr vieler Studien führt.
  • 2006: am 30.10 veröffentlicht die BPtK eine Stellungnahme, in der sie zu dem Ergebnis kommt, dass die GPT alle Voraussetzungen für die sozialrechtliche Anerkennung erfüllt.
  • 2006: am 21. 11. trifft der G-BA den erwarteten – und wohl schon bei der Wiederaufnahme des Bewertungsverfahrens im Juli 2002 feststehenden – ablehnenden Beschluss zur GPT.
  • 2007: am 30. Januar beanstandet das BMG den Beschluss des G-BA vom 21.11.06 zur GPT und teilt dem G-BA am 15. Februar 2007 seine Gründe mit. Damit tritt der Beschluss nicht in Kraft. Das BMG beanstandet formal, dass der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) keine ausreichende Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben worden sei, weil ihr der 604-seitige Bericht zur Nutzenbewertung der Gesprächspsychotherapie nicht zur Verfügung gestellt worden war. Damit stärkt das BMG erneut – wie schon in seiner Beanstandung des Richtlinien-Änderungsbeschlusses vom 15.08.06 – die Funktion und Aufgabe der BPtK. Ihr soll jetzt Gelegenheit zu einer erneuten Stellungnahme auf der Grundlage des Nutzenberichtes gegeben werden. Gleichzeitig wird der G-BA aufgefordert, einen neuen Beschluss zur GPT zu fassen und in diesen die neu zu erarbeitende BPtK-Stellungnahme einzubeziehen. 2007: am 5.11. gibt die BPtK ihren Stellungsnahme-Nachtrag ab, in dem sie (erneut) festgestellt, dass die GPT auch auf der Grundlage der Studienbewertung alle Anforderungen erfüllt. Grundlage ist das Gutachten der von der BPtK eingesetzten Expertenkommission, in die fünf international renommierte Psychotherapiewissenschaftler und -forscher berufen wurden. Diese, kommt zu dem Ergebnis, dass die Gesprächspsychotherapie alle Anforderungen der Psychotherapierichtlinien erfüllt.
  • Nach Eingang der BPtK-Stellungnahme vom 5.11.2007 verschiebt der G-BA die Beschlussfassung zur GPT vom (geplanten) 20.12. 2007 auf einen späteren Termin.
  • 2007: am 20.12. ändert der G-BA nun erstmal die Richtlinien, um – nach Nichtbeanstandung durch das BMG – auf dieser neuen Grundlage seinen Beschluss zur GPT zu fassen.
  • 2008: am 01.04. gibt die BPtK ihre (dritte) Stellungnahme zur Gesprächspsychotherapie ab, in der sie wieder feststellt, dass die Gesprächspsychotherapie auch die Anforderungen der neuen Richtlinien erfüllt und in die vertragliche Versorgung aufzunehmen ist.
  • 2008: am 24.04. wiederholt der G-BA den Ablehnungsbeschluss vom 21.11.2006. Während der WBP seine Empfehlung an die Landesbehörden auf 34 Studien und die BPtK und die BPtK-Expertenkommission ihre Nutzenbewertung zur Gesprächspsychotherapie auf 27 aussagekräftige Studien stützen, fand der G-BA nach wie vor nur eine einzige geeignete Studie (Depressionsbehandlung mit GPT).

Nachtrag

2010 publiziert die Expertengruppe der BPtK nochmals eine ausführliche Analyse im „Psychotherapeutenjournal“ , in der sie zu dem Schluss kommt: Es „ stellt sich heraus, dass der G-BA seine Beurteilung nicht auf der Grundlage des aktuellen Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse vorgenommen hat und so zu einem Ergebnis kommt, das weder von der Wissenschaft noch vom Berufsstand geteilt wird. Es erhebt sich der Verdacht, dass ein Interessenkonflikt vorliegt.“ (Strauß et al. 2010, S. 160). Vernichtender kann ein öffentlich publiziertes Urteil einer Wissenschaftlergruppe kaum ausfallen. Doch dieser fachlich wie wissenschafts- und gesundheitspolitische Skandal des G-BA interessierte letztlich weder das zuständige Gesundheitsministerium noch die Bundesgerichte – letztere ließen alle fachlichen Fragen unberücksichtigt und zogen sich hinter die Feststellung zurück, dass das Entscheidungsprozedere des G-BA formaljuristisch nicht zu beanstanden sei. Die vielen unredlichen „Tricks“ – u.a., dass gar nicht GPT sondern stattdessen ein vom G-BA selbst definiertes Vorgehen geprüft worden war, womit viele Wirkstudien unterschlagen wurden, oder die Pervertierung der Kriterien evidenzbasierter Medizin zu einem fast beliebig willkürlich anpassbaren Ablehnungsinstrument, oder die ständige „Nachjustierung“ des Procedere, um beanstandete Kriterien nachträglich doch noch zu legitimieren – all dies war für die Gerichte gar nicht „Thema“.

 

Jürgen Kriz