Muss man in der Psychotherapie immer „in der Vergangenheit herumwühlen“?
Manche Patienten wollen es unbedingt, andere wollen es auf keinen Fall: sich auf die Suche nach „Ursachen“ eines gegenwärtigen psychischen Leids in ihrer Kindheit begeben.
Es gibt Therapieverfahren, die ihre Hauptaufgabe darin sehen (oder die zumindest den Ruf haben), „in der Vergangenheit zu wühlen“ – dazu zählt insbesondere die Psychoanalyse und ihre Varianten. Andere Therapieverfahren erklären die Vergangenheitsorientiertheit für weitgehend überflüssig – beispielsweise die Verhaltenstherapie und die meisten Kurzzeittherapien, in denen es eher um die Gestaltung der persönlichen Zukunft geht. Wieder andere Verfahren wie die Gestalttherapie legen den Schwerpunkt auf das Erleben und die Kontaktgestaltung im Hier-und-Jetzt, also auf die Gegenwart und verstehen die Beschäftigung mit Vergangenheit und Zukunft als Ablenkung davon.
So wie ich Psychotherapie verstehe und anwende, gehören diese zeitlichen Orientierungen untrennbar zusammen. Es geht gar nicht darum, in einem mechanischen Verständnis „Ursachen“ in der Vergangenheit zu finden, in der Hoffnung, dass sich schon dadurch in der Gegenwart etwas ändert. Vielmehr dient der Rückblick in die persönliche Lebensgeschichte dazu, die Gegenwart vor dem Hintergrund der Vergangenheit verstehbar, kommunizierbar und veränderbar zu machen. Es geht immer um das, was den Patienten aktuell beschäftigt, wobei das in der Regel nur biografisch verstehbar ist, und wie das konstruktive Wahlfreiheiten in der persönlichen Zukunft eröffnet.
- Das Verstehen der biografischen Vergangenheit ist hilfreich, um Erlebtes zu verarbeiten und sich die eigene Lebensgeschichte wieder anzueignen.
- Das vertiefte und achtsame Erleben der Gegenwart hilft, sich selbst zu spüren und sich mit den eigenen Gefühlen und Kontaktmustern zu verbinden.
- Das bewusste Gestalten der persönlichen Zukunft hilft, Wahlfreiheiten zu erkennen und auszuweiten und das eigene Leben als fortgesetztes persönliches Wachstum zu gestalten.